Gehört die Ukraine in die EU? Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sind wichtige Kriterien für einen Beitritt. Da schaut es in der Ukraine nicht gut aus.

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"Ich bin überzeugt davon, dass wir jetzt die Verantwortung haben, der Ukraine nicht nur deutlich zu machen, ihr gehört zu Europa, sondern sie in unseren europäischen Kreis aufzunehmen", jubelt die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock von den Grünen. Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) ist da weit skeptischer in Sachen EU-Beitritt.

Doch bei den deutschen Grünen scheint es regelrechte Denkverbote zu geben, wenn es um die dunklen Schatten auf der blütenweißen Weste der Ukraine geht. So belegt etwa die Webseite ukraineverstehen.de, betrieben von der grünen deutschen Ex-Abgeordneten Marieluise Beck, detailliert die finanziellen Verflechtungen ukrainischer Politiker mit dubiosen Off-Shore-Firmen. Millionenzahlungen von Oligarchen stehen im Raum. Auch der Präsident sei beteiligt, heißt es.

"Beeindruckendes Format"

"Die zwei Gesichter des Wolodymyr Selenskyj", lautet die Überschrift. Doch vor dem Artikel steht eine "Vorbemerkung der Redaktion": "Dieser Text entstand vor Putins brutalem Überfall auf die Ukraine. Im Krieg hat Wolodymyr Selenskyj beeindruckendes Format bewiesen. (...) Alle Kritik an seiner Politik aus der Zeit vor dem Angriff auf sein Land ist angesichts der aktuellen Situation bedeutungslos geworden."

Wirklich? Und warum?

Gehört die Ukraine also in die EU? Wie reif ist das Land dafür? Demokratie und damit Rechtsstaatlichkeit, etwa die Bekämpfung der Korruption im Land, sind wichtige Kriterien. Und da schaut es in der Ukraine, gelinde gesagt, nicht gut aus. Die Organisation Transparency International untersucht Jahr für Jahr, inwieweit Korruption weltweit 180 Länder prägt. Die Ukraine liegt weit hinten auf Rang 122, gerade einmal ein paar Plätze vor Russland auf Platz 136. Der andere EU-Beitrittskandidat Moldau ist auf Rang 105 – das von der EU verschmähte Georgien hingegen auf Rang 45.

Vernichtender Bericht

Seit Jahren unterstützt die EU mit viel Geld den Kampf gegen die Korruption in der Ukraine. Mit "unzureichenden Ergebnissen" – zu diesem Schluss kam der EU-Rechnungshof im September 2021. Ein vernichtender Bericht: "Ukrainische Oligarchen dominieren eine Vielzahl von Wirtschaftssektoren und Märkten, die eng mit staatseigenen Unternehmen verbunden sind. (...) Politisch vernetzte Einzelpersonen/Unternehmen – insbesondere Oligarchen – haben den Rechtsrahmen beeinflusst, um sich eine Reihe von staatlichen Vorteilen zu verschaffen." Viele Milliarden Dollar gingen in der Ukraine Jahr für Jahr durch Korruption verloren, so die EU-Rechnungsprüfer.

Korruption hat in der Ukraine eine lange Geschichte und ist auch im Alltag gang und gäbe. Ein paar Scheine garantieren einen schnelleren Arzttermin ebenso wie die bevorzugte Behandlung bei Behörden. Die EU-Rechnungsprüfer stellten fest: "Bürgerinnen und Bürger begründen ihre Beteiligung an derartiger Kleinkorruption häufig mit der Feststellung, dass hochrangige Beamte und Oligarchen an Bestechung in weitaus größerem Ausmaß beteiligt sind.

Vernichtendes Fazit

Fazit des EU-Berichts: "Großkorruption aufgrund von unzureichender Rechtsstaatlichkeit und weitverbreitetem oligarchischem Einfluss laufen den EU-Werten zuwider und stellen ein erhebliches Hindernis für die Entwicklung der Ukraine dar." Und weiter: "Der fehlende politische Reformwille und der Widerstand gegen Antikorruptions- und Justizreformen führten zu schweren Rückschlägen, die nicht durch Abhilfemaßnahmen verhindert wurden."

Korruption im Großen wie im Kleinen wird es wohl auch weiterhin geben. Und auch mit der Rechtsstaatlichkeit ist es nicht weit her – beides eigentlich ein No-Go in Sachen EU-Beitritt. Hinzu kommt: In der Vergangenheit haben ukrainische NGOs recherchiert, Korruption immer wieder öffentlich gemacht. Ein wichtiges Korrektiv. Nun, im Krieg, gibt es gar keine Kritik mehr.

Beispiel: das Anti-Corruption Action Center. Eine Woche vor Beginn der russischen "Spezialoperation" veröffentlichten die ukrainischen Korruptionsbekämpfer einen Artikel unter dem Titel "Diener des Geldes: Die größten Korruptionsskandale der Ära Selenskyj". Heute sieht das Team seine Aufgabe so: "Wir veröffentlichen Videos mit Geschichten über unseren heldenhaften Kampf." (Jo Angerer aus Moskau, 23.6.2022)