Eleni Myrivili, Hitzebeauftragte von Athen: Seit 1860 ist die Temperatur um 1,9 Grad gestiegen.

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Sie will grüne Korridore durch die Betonstadt Athen schneiden, das Wasser aus der Tiefe holen und die Bürger per Handy-App warnen, wenn es zu heiß wird und sie lieber zu Hause bleiben sollten. Die ehemalige Vizebürgermeisterin Eleni Myrivili ist Hitzebeauftragte der griechischen Hauptstadt und kooperiert mit Forschungseinrichtungen, um Lösungen für das (Über-)Leben bei extremer Hitze zu finden. Was hier erprobt wird, kann man teilweise auch auf andere europäische Städte umlegen.

STANDARD: Weshalb ist es wichtig, Daten über Hitze und Gesundheit in Verbindung zu bringen?

Myrivili: Wenn man einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall hat, wird das nur selten damit in Verbindung gebracht, dass es zu dem Zeitpunkt mehr als 37 Grad hatte. Bringt man aber die Sterblichkeitszahlen großflächig mit Daten zu Hitzewellen in Verbindung, kann man den Zusammenhang sehr gut sehen. Hitzewellen sind von allen extremen Wetterphänomenen wie Hurrikans, Kälte oder Überflutungen bei weitem am tödlichsten. Dabei spielt auch der Zeitpunkt eine Rolle: Im August sind unsere Körper schon besser an hohe Temperaturen gewöhnt. Eine Hitzewelle im Mai ist also viel gefährlicher. Wichtig ist auch, sie zu kategorisieren. Wenn etwa Warnstufe drei ausgerufen wird, soll man nicht hinausgehen und nur ganz in der Früh zum Arbeitsplatz fahren. Bei einem Hurrikan erwartet ja auch keiner, dass eine Pizza geliefert wird. So sollte es auch bei Hitzewellen sein.

STANDARD: Welche Warnstufen hat Athen?

Myrivili: Wir konnten durch Daten zu Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Luftdruck, Wind und Sterblichkeit herausfinden, wann es problematisch wird. Es gibt drei Kategorien: gefährlich, sehr gefährlich und extrem gefährlich. Die Pilotphase beginnt diesen Sommer. Die Warnungen sollen dabei helfen, sich selbst und andere zu schützen. Über die Handy-App Novoville der Stadt werden die Leute direkt per SMS informiert. Und über die Handy-App Extrema-Global kann man herausfinden, wo es in der Stadt besonders heiß ist, und nach kühleren Orten suchen, etwa nach klimatisierten Räumen, die die Stadt zur Verfügung stellt. Man kann über die App auch checken, wo es Trinkwasser gibt.

STANDARD: Soll man dann auf den Stadtstrand?

Myrivili: Wenn man älter ist als 60, schwanger oder man ein Baby hat, dann sollte man das nicht tun. Alle anderen können im Wasser abkühlen – wenn es kühler ist als der Körper. Wenn etwa die Lufttemperatur in der Wohnung höher ist als die Körpertemperatur, sollte man keine Ventilatoren verwenden. Damit würde heiße Luft auf den Körper gefächelt – das trocknet ihn schneller aus. Man kann aber in Plastikflaschen Eiswürfel am Ventilator befestigen. Auf Youtube gibt es Anleitungen dazu. Menschen, die keine Klimaanlage haben, sollten sich täglich mindestens zwei Stunden in einem klimatisierten Raum aufhalten.

Viele Athener nutzen auch den Strand, um sich abzukühlen.
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STANDARD: Es gibt Bürger, die sich keine Klimaanlage leisten können. Welchen Zusammenhang gibt es zwischen Hitzeanfälligkeit und Armut?

Myrivili: Der Klimawandel hat vor allem bei jenen Leuten schlimme Auswirkungen, die sozial und wirtschaftlich verwundbar sind. Diesen Sommer wird es wegen der Energiepreise viele Menschen geben, die es sich nicht mehr leisten können, die Klimaanlage einzuschalten. Bereits jetzt leidet ein Fünftel der Bevölkerung von Athen an Energiearmut.

STANDARD: Was kann man dagegen tun?

Myrivili: Es müsste eine Vereinbarung zwischen Regierung und Energieunternehmen für Subventionen für vulnerable Haushalte geben. Normalerweise kommen die Subventionen erst im Nachhinein, wir brauchen aber Maßnahmen, die präventiv wirken, damit wir keine Menschenleben verlieren. Wir denken deshalb an eine Versicherung für die Stadt. Wenn Hitzewellen kommen, soll sofort Geld ausgeschüttet werden.

STANDARD: Wie kann man die Stadt abkühlen?

Myrivili: Wir kaufen freie Flächen, um kleine Parks anzulegen. Im Stadtteil Elaionas wird ein großer Park angelegt. Wir müssen aber auch die Autos loswerden, weil die Stadt so dicht besiedelt ist. Große grüne Korridore sollen zudem die Stadt durchschneiden, weil man nur so Bewegung in die Luftmassen bekommt. Bestehende Grünflächen werden deshalb durch Bäume miteinander verbunden. Wir pflanzen sie in drei Reihen neben einander. Mit Grünflächen kann man die Temperatur um bis zu vier Grad senken, mit Wasser sogar um fünf Grad. Dann wird die Stadt auch noch viel schöner! Aber man muss den Boden aufgraben und den Untergrund mit Erde aufbereiten. Wenn die Temperaturen steigen, tun sich die Bäume nämlich schwer zu überleben, besonders die jungen.

STANDARD: In Athen gibt es ein antikes Aquädukt. Kann man das noch mehr nützen?

Myrivili: Ja, das ist das Aquädukt von Hadrian, der war ein großartiger römischer Bürgermeister, der Theater und Büchereien gegründet hat, aber eben auch 150 nach Christus das 20 Kilometer lange Aquädukt bauen ließ, welches das Zentrum der Stadt mit den Bergen verbindet. Wir versuchen nun, mit EU-Geldern Grünkorridore entlang dieses Aquädukts anzulegen.

STANDARD: Haben andere Städte Interesse an Ihren Hitzebewältigungsstrategien?

Myrivili: Es gibt ein Netzwerk an Städten, die sich zu dem Thema austauschen. Wir haben viel voneinander gelernt. Manche Städte haben herausgearbeitet, welche Stadtteile anfällig sind, die können jetzt Prioritäten setzen. Andere Städte, wie etwa Sidney in den USA, sind besonders innovativ. Die Energieunternehmen dort sorgen dafür, dass ausreichend Energie in Wohnbezirke umgeleitet wird, wenn Hitzewellen kommen. In New York gibt es ein Buddy-System, die Leute schauen bei anderen zu Hause nach, ob es ihnen gutgeht.

STANDARD: Ich stecke meine Füße in kaltes Wasser, wenn es heiß wird. Was hilft Ihnen?

Myrivili: Das ist eine gute Idee. Diese Springbrunnen sind ja lächerlich! Nur junge Leute gehen da rein. Aber für ältere Leute wie für mich wäre es gut, wenn man sich im Schatten auf einem Sessel entspannen und die Füße im Park in Wasserläufe halten könnte. Mir helfen zurzeit am besten die kalten Duschen.

STANDARD: Sind auch Siestas sinnvoll?

Myrivili: Wir haben leider keine Siesta mehr in Griechenland. Interessant ist aber, dass der Unterschied zwischen der Temperatur in kühleren Teilen der Stadt und Hitzeinseln, wo es viel Zement und Asphalt gibt, in der Nacht größer ist als am Tag. Denn die Gebäude absorbieren die Hitze am Tag, und in der Nacht strahlen sie sie aus. Ältere Leute sind deshalb in der Nacht gefährdet. Mit einer Siesta kann der Körper sich wenigstens am Tag ausruhen, und man übersteht die Nacht dann leichter. (Adelheid Wölfl, 25.6.2022)