"In Gestalt der Ukraine haben Wohlstand und Freiheit an Putins Tür geklopft", sagt Johannes Hahn.

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Einen Tag vor dem am Donnerstag beginnenden EU-Gipfel erwartet Budgetkommissar Johannes Hahn, dass der Ukraine und der Republik Moldau dort der offizielle Kandidatenstatus verliehen wird – "wenn sich nichts Gravierendes ändert", wie Hahn im Gespräch mit österreichischen Journalisten in Brüssel hinzufügte. Einen entsprechenden Vorschlag hatte die Kommission bereits in der vergangenen Woche gemacht. Nun ist es Sache der Staats- und Regierungschefs, in der Frage zu einer Einigung zu kommen.

Der österreichische Kommissar betonte den wirtschaftlichen Boom, den die Ukraine vor dem Angriff Russlands verzeichnet habe. Auch rechtlich habe sich Kiew der Europäischen Union merklich angenähert: Schon etwa 70 Prozent des Rechtsbestands seien auf die EU abgestimmt.

Lob für Republik Moldau

Unter den Gründen, warum Russland unter Präsident Wladimir Putin die Ukraine angegriffen hat, nannte Hahn gerade die demokratische und wirtschaftliche Entwicklung im Land: "In Gestalt der Ukraine haben Wohlstand und Freiheit an Putins Tür geklopft", so Hahn. Im Falle der Republik Moldau, die zuletzt ebenfalls einen proeuropäischen Weg eingeschlagen hat, lobte Hahn unter anderem die bereitwillige Aufnahme von Flüchtlingen. Moldau habe pro Kopf am meisten Ukrainerinnen und Ukrainer aufgenommen.

Angesichts des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine plädierte Hahn auch für eine bessere Koordinierung der europäischen Verteidigungspolitik. So gäbe es in Europa 17 verschiedene Panzersysteme, in den USA hingegen nur ein einziges. Bei den Fregattensystemen käme man in Europa gar auf 29 – zwei mehr, als die EU Mitglieder hat. All das sei ineffektiv und teuer.

Gemeinsame Gasbeschaffung

Im Zusammenhang mit den aktuellen Versuchen, Europas Abhängigkeit von russischem Gas zu reduzieren und den Gasbedarf in der EU dennoch zu decken, erinnerte Hahn auch an eine alte Forderung der Europäischen Kommission: Diese habe bereits im Jahr 2001 eine gemeinsame Gasbeschaffung vorgeschlagen. "Das wurde damals vom Tisch gewischt, mit dem Hinweis, dass es sich dabei um eine nationale Kompetenz handle", so Hahn. "Es brauchte 21 Jahre und unglücklicherweise einen Krieg, um nun diesem Gedanken wieder näherzukommen."

Sorgen bereitet dem Budgetkommissar "die Finanzierung der Ukraine im Kriegszustand". Ihm schwebe eine makrowirtschaftliche Finanzhilfe für das Land vor, im Umfang von "wahrscheinlich mehreren Hundert Milliarden" Euro in Form von Krediten, die die EU leichter aufnehmen könne als die Ukraine selbst. Nötig seien dazu allerdings Garantiezusagen der Mitgliedsstaaten. Auch die USA, Großbritannien oder andere Player könnte man mit ins Boot holen. Für die Bereitstellung dieser Mittel sollten Hahn zufolge jedoch Auflagen vereinbart werden, die wiederum der Ukraine helfen würden, die "europäische Perspektive zu beschleunigen". (Gerald Schubert aus Brüssel, 22.6.2022)