Am Wochenende wird der Bachmannpreis vergeben. Das Bild stammt aus dem Bachmann-Haus.

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Klagenfurt – Kunst kostet: Zeit, Ideen, Nerven und Geld. Wegen Letzterem laviert der Bachmannpreis zur Eröffnung jedes Jahr durch eine PR-gängige Fragerunde mit seinen Veranstaltern und Geldgebern. Dass dieser Teil des Bewerbs nicht im TV (3sat filmt heuer 1.003 Minuten und 30 Sekunden lang) übertragen wird, hat also seine Gründe. Solche Fragen nämlich: Wer sind Ihre Lieblingshelden der Dichtung? "Der kleine Prinz." Wer sind Ihre Lieblingsschriftstellerinnen? "Maja Haderlap." Die gute Nachricht ist, alle bisherigen Stifter von der Stadt Klagenfurt bis zum Energieunternehmen sind wieder mit an Bord und legen zum stattlichen Gesamtpreisgeld von 60.500 Euro das ihre dazu. Die schlechte Nachricht ist der Krieg in der Ukraine.

"Ungleichzeitigkeit verschiedener Lebenssituationen"

"Krieg in Europa zu haben und trotzdem weiterzuleben, als wäre er nicht da, denn das tun wir in Wirklichkeit", benannte Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ) eine bis vor kurzem undenkbare Tatsache.

Juryvorsitzende Insa Wilke kam auch nicht um den Krieg herum. Sie sprach von der "Ungleichzeitigkeit verschiedener Lebenssituationen" und davon, dass der Bachmannpreis immer schon stattgefunden habe, während woanders auf der Welt Krieg und Krisen herrschten. Ihr sei bewusst, dass "wir alle mit unterschiedlichen Erfahrungen hierher kommen". Den Bachmannpreis verglich sie in dieser Lage mit einer bizarr tanzenden, unpassend scheinenden Person. Es liege an jedem Einzelnen selbst, sich zum Krieg zu verhalten.

Zurück zur Fragerunde und der Frage: Was kann eine Literaturveranstaltung dem Krieg also entgegensetzen? "Dass wir die Augen nicht verschließen und hinsehen."

"Weißbrotliteratur ohne besonderen Nährwert"

Hin sah auch die Klagenfurter Autorin Anna Baar, als sie in ihrer Eröffnungsrede "Die Wahrheit ist eine Zumutung" Vertretern der Stadt- und Landespolitik die Leviten las. In Anlehnung an die Erzählung "Jugend in einer österreichischen Stadt" der Namensgeberin des Bewerbs erinnerte Baar sich an das eigene Aufwachsen in Klagenfurt und Kärnten und an den Erfolg Jörg Haiders, die ins Hinterzimmer entnazifizierte Nachkriegsgesellschaft, den hofierenden Umgang mit dem in der NS-Zeit verbrecherischen Arzt Franz Wurst. Straßen in der Stadt seien noch immer nach Nazis benannt, Dichter bekämen dagegen Wege und Forstwege in Gebieten am Rand.

Baar plädierte infolge für eine Dichtung der Hoffnung und Wahrheit – statt eine marktgerechte "Weißbrotliteratur ohne besonderen Nährwert" zu sein. "Literatur kann retten", proklamierte die Autorin, die selbst 2015 in Klagenfurt teilgenommen hatte, ergriffen. "Sie gibt den Sprachlosen Worte und schafft Gegenentwürfe zum Normalisierungsterror einer Leistungsgesellschaft, die alles wirtschaftskonform will."

An die Politik richtete Baar die Forderung, "den Kindern Geschichten zu geben, aus denen sie Lehren ziehen und sich aufrichten können, Geschichten, die sie ermutigen, das Leben anders zu denken. (…) Nutzen Sie Ihren Einfluss, der Jugend in dieser Stadt endlich gerecht zu werden!"

Da war sie sich mit Landeshauptmann Kaiser wohl sogar einig. Der hatte zuvor die Mehrsprachigkeit vieler Teilnehmerinnen heuer als eine auch auf sein Bundesland zutreffende Bereicherung erkannt.

Das Programm

Leistungsgesellschaft ist ein gutes Stichwort. In den kommenden Tagen mögen sie im Zentrum stehen, am Eröffnungsabend hieß es für sie aber vor allem warten: Die 14 Autorinnen und Autoren im heurigen Bewerb zogen am Mittwoch ihre Startplätze.

Am Donnerstag ab 10 Uhr lesen Hannes Stein (D/USA), Eva Sichelschmidt (D), Leon Engler (D/A), Alexandru Bulucz (D) und Andreas Moster (D). Am Freitag Ana Marwan (Slo), Behzad Karim Khani (CH/Irak), Usama Al Shahmani (CH/Irak), Barbara Zeman (A) und Mara Genschel (D). Den Abschluss am Samstag machen Leona Stahlmann (D), Clemens Bruno Gatzmaga (D), Juan S. Guse (D) und Elias Hirschl (A). Vom Wetterglück wird es abhängen, ob das unter dem großen weißen Pultdachzelt im Garten zwischen Gräsern oder doch im Studio stattfinden wird. (Michael Wurmitzer, 22.6.2022)