Die Stadtplanerinnen Eva Kail (links) und Andrea Eggenbauer im Hof des Rathauses.

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Mit der "Jugendmillion" will Wien Kinder und Jugendliche die Stadt mehr mitgestalten lassen.

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Familienfreundlichere Radwege in Favoriten zum Beispiel. Steckdosen in öffentlichen Verkehrsmitteln und überdachte Tischtennistische in Parkanlagen. Das sind einige der Ideen, die junge Wienerinnen und Wiener über die vergangenen Monate eingebracht haben. Eine Million Euro stellt die Stadtregierung für die Siegerprojekte, die bei einer Abstimmung im Herbst ermittelt werden, zur Verfügung. Das Geld soll eingesetzt werden, um die Stadt mehr an die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen anzupassen. Es ist eine von 193 Maßnahmen der Kinder- und Jugendstrategie der rot-pinken Koalition, die dem Vizebürgermeister und Jugendstadtrat Christoph Wiederkehr (Neos) zufolge dazu führen soll, dass "Wien die kinderfreundlichste Stadt der Welt wird".

Dafür steht freilich noch einiges an Arbeit an. Denn momentan ist es nicht nur in Wien, sondern weltweit so, dass Städte in erster Linie auf die Bedürfnisse einer Bevölkerungsgruppe ausgerichtet sind: der Männer. Genau genommen wurden Städte seit den 1950er-Jahren für Männer im Erwerbsalter konzipiert, die für die Familie das Geld verdienten, morgens in ihr Auto stiegen, um ihren Arbeitsplatz zu erreichen, und abends wieder retour fuhren. Ihnen baute man Autos und Straßen, die Regeln im Verkehr orientierten sich daran. Nicht nur die öffentlichen Verkehrs- und Grünflächen, auch der Wohnraum und dessen Umgebung sind weiterhin vorwiegend männlich orientiert. Allmählich ändert sich allerdings die Perspektive.

Stadt der kurzen Wege

Die Forderung nach belebten Vierteln, nach kurzen Wegen, nach Bäumen und Grünflächen ist heute Standard in der modernen urbanen Planung – der Klimawandel und die Verkehrswende fördern diese Entwicklung noch einmal. Und auch die Corona-Krise hat die Frage ins Zentrum gerückt, wie öffentlicher Raum genutzt wird. Nach zwei Jahren Pandemie startete man im Rathaus die Umfrage "Wien, wie sie will", um gezielt bei den Bewohnerinnen der Stadt nachzufragen, was sich für sie ändern muss, um ihr Leben zu verbessern. 15.500 Frauen nahmen teil, dreimal so viele wie erwartet. Aktuell läuft die Auswertung, im Herbst sollen die Ergebnisse vorliegen.

Der Stadtforscher Peter Payer sagt, das Stadtbild Wiens entspreche immer noch jenem aus der Gründerzeit des 19. Jahrhunderts, und der Blick damals sei nun einmal eindeutig männlich gewesen. Das gelte vor allem für die ältere, verbaute Innenstadt, so der Historiker, der auch Kurator im Technischen Museum ist: Die Straßennamen gehen etwa in den allermeisten Fällen auf Männer zurück. Die Denkmäler wurden mehrheitlich Männern gesetzt, Frauenfiguren findet man am ehesten barbusig auf Fassadenstuck. Hier Veränderungen durchzusetzen sei ein langwieriges Vorhaben. Der stadtplanerische Zugang selbst aber habe sich in den vergangenen Jahrzehnten fundamental geändert.

Je weiter es Richtung Stadtrand gehe, desto moderner und durchmischter werde es. Und: "Stadt wird heute mehr als Fleckerlteppich verstanden, und zwar im positiven Sinne: Es wird in kleineren Einheiten gedacht, prozessorientierter als im 19. und in weiten Teilen des 20. Jahrhunderts", sagt Payer. In Fragen der Mobilität seien bereits Verschiebungen im Gange. In Wien setzt sich Eva Kail seit 30 Jahren dafür ein, beim Städtebau von Beginn an alle Perspektiven gezielt mitzubedenken. Die Stadtplanerin ist Expertin für Gender-Planning in der Stadtbaudirektion, sie hat den geschlechtergerechten Planungszugang bei der Stadt Wien eingeführt.

Gender-Planning wurde Mainstream

Damals "gab es den Begriff Gender-Mainstreaming noch gar nicht", auch heute "braucht es immer fünf lange Sätze, um den Begriff zu erklären", lacht sie. "Stadt fair teilen" nenne man die Strategie deshalb heute, "das ist selbsterklärend". Sie berücksichtige "die Alltagsmuster aller Zielgruppen" auf vielen Planungsebenen, führt Kail aus. Denn der Alltag von Frauen und Männern, Jungen und Alten unterscheide sich eben. So waren es Frauen, die das Thema Gehen überhaupt zu einem Thema machten – weil vor allem sie sich zu Fuß fortbewegen. Stadtplanerinnen plädieren deshalb seit jeher für die sogenannte Stadt der kurzen Wege: Die Distanzen zwischen Wohnort, Arbeitsplatz, Nahversorgung und Dienstleistungen sollen möglichst gering gehalten werden.

Spätestens seit den 1980er-Jahren ist das ein international verfolgtes Leitbild. Zu Beginn ihrer Arbeit, erzählt Kail, habe man den Ansatz teilweise belächelt, der Widerstand sei bei einigen Kollegen groß gewesen. Heute gilt Kail über Wien und Österreich hinaus als Vorreiterin. Gender-Planning ist Bestandteil der offiziellen Verkehrs- und Stadtplanung Wiens und "im Mainstream angekommen". Wohnbauvorhaben, die öffentliche Gelder beanspruchen wollen, werden auch nach der Berücksichtigung der Kriterien des alltags- und frauengerechten Wohnbaus beurteilt.

So werden Räume flexibel gestaltet, damit sie je nach Lebensphase trenn- oder zusammenlegbar sind. Die Küche gilt als Arbeitsraum, für den gutes Tageslicht nötig ist. Waschsalons werden mit einsehbaren Spielräumen verbunden, um Haus- und Betreuungsarbeit verbinden zu können. Und Gemeinschaftsräume mit Toiletten, sagt Kail, sind heute Normalität, "weil sie sonst für Kindergeburtstage ungeeignet sind". Es seien "oft die unscheinbaren Dinge, die im Alltag große Auswirkungen haben", sagt Andrea Eggenbauer, Stadtplanerin bei der Stadtteilplanung.

2015 verankerte die rot-grüne Koalition in Wien in ihrem Regierungsübereinkommen das Projekt "Die Stadt": Auf einem drei Hektar großen Areal zwischen der Attemsgasseund der Parkanlage Schrickgasse im 22. Bezirk sollten 600 Wohnungen errichtet werden – inklusive Erweiterung der Parkfläche sowie neuer Weg- und Fahrradverbindungen. Seit kurzem laufen die Bauarbeiten. Das städtebauliche Leitbild wurde durch ein Frauenteam erarbeitet, darunter auch Kail und Eggenbauer.

Bedeutung von Grünflächen

In zwei Bürgerbeteiligungsprozessen befragten sie Anrainerinnen und Anrainer zu ihren Anliegen, auch im Jugendzentrum und im Seniorenheim. Was sich dabei gezeigt habe, sagt Eggenbauer: "Ganz wichtig sind Grünflächen, sie haben meist oberste Priorität." Die Entwicklungen durch gesamtgesellschaftliche Fragestellungen, die sich zum Beispiel durch die Klimakrise ergeben, unterstützen ihr zufolge den Ansatz der gendergerechten Stadt: "Eine klimaresiliente Stadt, wie wir sie anstreben, setzt auf aktive Mobilität und viel Grün." Kurze Alltagswege, Parks und Grünflächen im nahen Wohnumfeld würden am Ende "allen Menschen zugutekommen".

Der Klimawandel erfordere einen Umbau der Städte, die Sensibilität für klimaschonende Maßnahmen wachse, sagt auch Kail. Der Großteil der über 70-Jährigen sind Frauen – sie reagieren im Alter früher auf Hitze als Männer. Alleinerzieherinnen, deren Einkommen oft gering ist, leben eher in Wohnungen, in denen kein Garten oder Balkon zur Verfügung steht. Würden von vornherein alle Perspektiven beachtet werden, ließen sich auch Fehler vermeiden, die später korrigiert werden müssen: Gehsteige werden gleich breiter gebaut, um Kinderwagen, Rollstühlen und Einkaufstrolleys mehr Platz zu geben, Plätze besser beleuchtet und Schulwege sicherer gestaltet. Und Parks werden so geplant, dass sich dort Jugendliche, Mädchen wie Burschen, ebenso gerne aufhalten wie Ältere oder Eltern mit kleinen Kindern. (Anna Giulia Fink, 24.6.2022)