Das Wimmelbild mit antisemitischen Darstellungen der Gruppe Taring Padi wurde auf der Documenta mittlerweile abgebaut.

Foto: Imago

In der Antisemitismus-Diskussion um die documenta in Kassel hat die deutsche Kulturministerin Claudia Roth Konsequenzen für die Struktur der Kunstausstellung gefordert. Im Kern will der Bund mehr Einfluss auf die documenta. In dem fünf Punkte umfassenden Plan geht es um Aufarbeitung und Konsequenzen. Das Papier liegt der dpa in Berlin vor. Grundtenor: Bei der documenta dürfe es "keinen Antisemitismus wie auch keinen Rassismus und keine Formen der Menschenfeindlichkeit geben".

"Die Verantwortlichkeiten zwischen vor allem der Geschäftsführung sowie den Kuratorinnen und Kuratoren sowie auch dem Aufsichtsratsvorsitzenden und den Gremien müssen klar geklärt und es müssen daraus Konsequenzen gezogen werden", heißt es. Konkrete Rücktrittsforderungen werden nicht gestellt.

Künftig sollen Verantwortlichkeiten "klar abgegrenzt und vereinbart werden". Damit will Roth "die Freiheit der Kunst und des kuratorischen Handelns" sicherstellen und gleichzeitig Verantwortung eindeutig festschreiben. Der Rückzug des Bundes aus dem Aufsichtsrat 2018 bei gleichzeitigem Festhalten an der Bundesförderung wurde als "schwerer Fehler" bezeichnet. Das soll sich wieder ändern.

Forderung nach Konsequenzen

Zugleich wurden die Forderungen nach personellen Konsequenzen lauter. "Die Generaldirektorin der documenta, Sabine Schormann, muss unverzüglich zurücktreten oder vom Aufsichtsrat abberufen werden", sagte der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIF), der ehemalige Grünen-Bundestagsabgeordnete Volker Beck, dem "Kölner Stadt-Anzeiger" (Donnerstag). Schormann kündigte nun eine systematische Untersuchung an.

Man werde einen Blick auf "weitere kritische Werke" werfen, so die Direktorin der Schau. "Dabei wird auch Ruangrupa seiner kuratorischen Aufgabe gerecht werden müssen", sagte sie in einem Interview der "Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen" (HNA, Donnerstag). Das indonesische Kollektiv Ruangrupa kuratiert die documenta fifteen. Unterstützt werde die Gruppe nun von anerkannten Experten wie Meron Mendel von der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt.

Freigabe der Werke war nicht vorgesehen

"Es ist nicht Aufgabe der Geschäftsführung, alle Werke vorab in Augenschein zu nehmen und freizugeben", sagte Schormann. "Das würde dem Sinn der documenta widersprechen." Es könne daher auch nicht sein, die Kunst beispielsweise einem Expertengremium im Vorfeld zur Freigabe vorzulegen. Dies sei eine Kernaufgabe der Künstlerischen Leitung.

Zuvor hatte sich auch der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, für personelle Konsequenzen ausgesprochen. FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai sagte, es gelte, "schonungslos aufzuklären, wie es zu diesem beschämenden Vorfall kommen konnte und wer wann für welche Entscheidungen konkret Verantwortung getragen hat". Das Wichtigste sei, dass daraus auch Konsequenzen gezogen würden. "Wer diese menschenverachtenden Ausfälle gutheißt, darf in Deutschland nicht die Verantwortung für ein international bekanntes Kulturevent tragen."

Die bereits seit längerem schwelende Antisemitismus-Debatte um die Kunstausstellung eskalierte Anfang der Woche mit der Aufmerksamkeit auf ein großformatiges Banner. In dem Werk namens "People's Justice" des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi sahen viele eine antisemitische Bildsprache. Die Verantwortlichen der documenta entschieden, das Bild mit schwarzen Stoffbahnen zu verhängen. Am Dienstagabend wurde es dann ganz abgebaut.

Ein Problem außerhalb der Kunst

Die Generaldirektorin der documenta, Sabine Schormann, bat zunächst um Entschuldigung. Es sei versichert worden, dass auf der documenta fifteen keine antisemitischen Inhalte zu sehen sein würden. "Dieses Versprechen haben wir leider nicht gehalten. Und das hätte nicht passieren dürfen."

Der Vorsitzende des documenta-Forums, Jörg Sperling, kritisierte die Entfernung des Werks dagegen. "Eine freie Welt muss das ertragen", sagte er. Die Arbeit des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi sei eine Karikatur und seiner Meinung nach von der Kunstfreiheit gedeckt. "Die Kunst hat ein Thema aufgebracht, das außerhalb der Kunst liegt: das Verhältnis von Palästinensern und Israelis. Dieses Problem kann die Kunst nicht lösen, das kann auch die documenta nicht lösen."

Die alle fünf Jahre zu erlebende documenta gilt neben der Biennale in Venedig als international wichtigste Präsentation von Gegenwartskunst. Die 15. Ausgabe der Schau seit 1955 dauert bis zum 25. September. (APA, 23. 6. 2022)