Wien – "Nicht nur Peitsche, sondern auch Zuckerbrot", um neue GIS-Zahlerinnen und -Zahler zu gewinnen: Diese Strategie vermisst ORF-Stiftungsrat Heinz Lederer (SPÖ) im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der gerade an erhöhten GIS-Abmeldungen und anderen Finanzlücken laboriert. Der ORF müsse vermitteln, "welchen Wert Gebühren mit sich bringen".
Lederer erwartet vom neuen Geschäftsführer der GIS, Alexander Hirschbeck, über den Sommer ein Konzept für die Frage: "Wie können wir die Menschen für die GIS gewinnen?" Bisher setze die GIS allein auf die Strategie: "Wie holen wir aus dem Kundendienst noch mehr raus" – was etwa zu einigen Irritationen bei Userinnen und Usern des STANDARD führte und auch im ORF-Publikumsrat für Diskussionen sorgte.
"Bring your Family"
Lederer spricht sich für "Positiv-Bundles" aus: Wenn der Sohn auszieht, dann könnte der Vater seine GIS übernehmen und dafür eine "günstigere Gebühr" zahlen oder andere Vergünstigungen bekommen, erklärt er seine Idee für ein Anreizsystem nach dem Motto "Bring your Family". Die Höhe der Gebühren legt der Stiftungsrat auf Antrag des Generaldirektors bisher einheitlich fest, die Medienbehörde Komm Austria prüft diese. Günstigere Tarife – zumindest vier Monate pro Jahr zahlen – gibt es bisher für Zweitwohnsitze.
"Mitte der Gesellschaft" gesucht
Die Zahlungsbereitschaft für die GIS könnte nach Ansicht Lederers auch an der inhaltlichen Positionierung des ORF liegen: "Der ORF muss sich in der Mitte der Gesellschaft aufhalten", also müsse der öffentlich-rechtliche Rundfunk da "sehr fein justieren".
Die Corona-Berichterstattung habe zu "wütenden Reaktionen" geführt, illustrierte Lederer seinen Hinweis. In der Klimaberichterstattung müssten auch wirtschaftliche Aspekte berücksichtigt werden: "Ökologisierung funktioniert nur, wenn man Ökonomie auch erklärt."
Aktuell sieht er einen Angelpunkt etwa auch in der Berichterstattung über Gasbevorratung. Seine Sorge lautet: "Die Leute werden alleingelassen."
Der Befund des "Digital News Report" von sinkendem Vertrauen in alle Medien "muss uns zu denken geben", sagt Lederer. "Es kann nicht sein, dass das langsam erodiert."
Gesamtpaket für Medienstandort
Der ORF hätte aber auch "schon viel früher mit der Regierung ein Gesamtpaket schnüren müssen", um GIS auch für Streaming einheben zu können, findet der von der SPÖ entsandte Stiftungsrat. Die Lage der Medien sei – etwa bei vervielfachten Papier- und Energiepreisen – insgesamt herausfordernd. Die Bundesregierung müsse also in die Branche, in den "Standort Österreich investieren" und die Streaminglücke für den ORF ebenso schließen wie private Medien unterstützen.
"Lücken-Stiftungsrat"
Lederer spricht von einem "Lücken-Stiftungsrat" am Donnerstag – Streaminglücke, GIS-Lücke, Finanzlücke von derzeit prognostizierten zwölf Millionen Euro Verlust 2023 bei einem Jahresumsatz von rund einer Milliarde. Mehr als 650 Millionen Euro davon kommen aus der GIS.
Lederer vermisst bisher "Klarheit, wie wir die Budgetlücke schließen", bisher habe sie die ORF-Führung "nur beschrieben". Am Personal sei "genug gespart", findet er und verlangt im Gegenteil eine klare Strategie, wie jene 572 ORF-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nachbesetzt würden, die in den nächsten fünf Jahren in Pension gehen.
Bis September verlangen die SPÖ-nahen Stiftungsräte einen Bericht von ORF-Generaldirektor Roland Weißmann und der Finanzdirektorin Eva Schindlauer, wie viel Geld der ORF Leiharbeitsfirmen überweist und wie viele Leiharbeitskräfte ständig für den ORF arbeiteten, aber "bei Leiharbeitsfirmen geparkt sind".
Weißmann habe versprochen, prekäre Arbeitsverhältnisse im ersten Jahr seiner Amtszeit zu bereinigen. Hier gehe es nach seiner Wahrnehmung um weit mehr Menschen als jene 40, die 2021 einen Protestbrief dazu unterzeichneten.
"Beweislastumkehr" für ORF-Führungskräfte
Bedenken hat der SPÖ-Stiftungsrat gegen das neu ausverhandelte Redaktionsstatut des ORF, das Redaktionen die Möglichkeit einräumt, Führungskräften das Misstrauen auszusprechen. Danach wird der von Belegschaft und Management paritätisch besetzte Ethikrat damit befasst, der eine Empfehlung an den entscheidenden ORF-General formuliert.
Lederer warnt vor einer "Beweislastumkehr" für Führungskräfte und verlangt klarere Definitionen für solche Prozesse. (fid, 23.6.2022)
Stiftungsrat-Updates
- ORF-Jahresabschluss mit 9,6 Millionen Konzernergebnis. Der ORF-Stiftungsrat genehmigte am Donnerstag den Jahresabschluss des ORF für 2021. Mit 1,0522 Millarden Euro ist der ORF-Konzern das weitaus größte österreichische Medienhaus, größer als die drei größten Zeitungskonzerne und größer als alle Privatsender zusammen. Mit den GIS-Gebühren – an den ORF gehen die Programmentgelte, rund zwei Drittel der GIS – nahm der ORF 644,9 Millionen Euro ein, exakt gleich viel wie 2020. Die Werbeeinnahmen lagen mit 228,3 Millionen Euro deutlich über den 200,4 Millionen im ersten Corona-Jahr. Sonstige Umsatzerlöse: 179,1 Millionen (nach 171,5). Das Konzernergebnis des ORF lag bei 9,6 Millionen Euro, jenes des ORF ohne Tochterunternehmen bei 6,7 Millionen Euro.
- Das neue ORF-Redaktionsstatut wurde mit einer Gegenstimme angenommen, dagegen stimmte nach STANDARD-Infos der von der FPÖ in den Stiftungsrat entsandte Rechtsanwalt Niki Haas. Die neue Home-Office-Regelung für ORF-Mitarbeiterinnen wurde vom Stiftungsrat einstimmig angenommen.
- Das ORF-Streamingportal "Sound" hat der ORF am Donnerstag seinen Stiftungsräten präsentiert, erste optische Eindrücke dazu gibt es hier. Im September soll es starten, derzeit läuft ein Testbetrieb.