Gleich nachdem seine Regierung gefallen war, kündigte Ex-Premier Kiril Petkow an, wieder an die Macht zurückzukehren. Unterstützung bekam er dabei von tausenden Demonstranten in Sofia, die sich hinter den liberalen Reformer stellten. Am Mittwochabend wurde das Kabinett Petkow mit einer knappen Parlamentsmehrheit durch ein Misstrauensvotum gestürzt. Tage zuvor hatte die Partei "Es gibt so ein Volk" des Entertainers Slawi Trifonow die Koalition bereits verlassen, damit hatte die Regierung keine Parlamentsmehrheit mehr.

Ex-Premier Petkow kündigte ein Comeback an.
Foto: AP Photo/Olivier Matthys

Die heterogene Regierung war nur ein halbes Jahr im Amt gewesen und wegen Streitereien über das Budget und Subventionen an Bauunternehmer zerbröselt. Nun ist es an Präsident Rumen Radew den Auftrag zur Regierungsbildung zu erteilen – falls es keine Mehrheiten für ein neues Kabinett gibt, müssen Neuwahlen abgehalten werden. Im Vorjahr fanden bereits dreimal Parlamentswahlen statt. Zuletzt waren im November die Reformkräfte rund um die Partei "Wir setzen den Wandel fort" von Petkow daraus gestärkt hervorgegangen.

Kampf um Rechtsstaatlichkeit

Bulgarien war zuvor jahrelang von der konservativen Gerb unter Bojko i regiert worden. Doch immer mehr Bulgaren und Bulgarinnen demonstrierten ab 2020 für ein Ende der endemischen Korruption zwischen Wirtschaftstreibenden, Politikern und Medien und der Wiederherstellung von Rechtsstaatlichkeit und einer unabhängigen Justiz. Der Sturz der Regierung Petkow offenbart, wie groß der Widerstand gegen diese Reformen und mehr Transparenz in der Politik und im Wirtschaftssektor ist.

Demonstration im Zentrum Sofias.
Foto: Nikolay DOYCHINOV / AFP

Am Mittwoch wurde offensichtlich, dass es eine neue Parlamentsmehrheit geben könnte, wenn die Partei "Es ist so ein Volk" mit der Gerb, der Partei der türkischen Minderheit und einer extrem rechtsgerichteten Partei koalieren würde. Borissow kündigte zudem am Mittwoch an, dass er bereit sei, das Veto gegen den Beginn von EU-Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien aufzuheben. 2020 hatte er selbst es mitzuverantworten.

Lob aus Brüssel

Dieser Schritt wurde von EU-Erweiterungskommissar Olivér Várhelyi begrüßt. "Wir danken dem Oppositionsführer Bojko Borissow für seine historische Entscheidung für Europa und für Nordmazedonien, Verhandlungen auf der Grundlage des französischen Vorschlags zu akzeptieren und mit der Aufnahme von Beitrittsverhandlungen fortzufahren", so Várhelyi. Der Ungar unterstützt in mehreren Staaten in Südosteuropa nationalistisch orientierte Politiker wie Borissow. Die EU-Kommission, die französische Ratspräsidentschaft und Borissow können die Aufhebung des Vetos auf dem Westbalkangipfel als "Erfolg" verkaufen.

Tatsächlich dürfte es nun eine Mehrheit im bulgarischen Parlament für die Aufhebung des Vetos geben, aber nur unter der Bedingung, dass der französische Vorschlag für eine Lösung mit Nordmazedonien übernommen wird. Demnach soll Nordmazedonien zwar mit den Verhandlungen beginnen dürfen, aber nur unter der Supervision von Brüssel und mit einigen Auflagen. So verlangt etwa Sofia von Skopje, dass Bulgaren als Volksgruppe in die mazedonische Verfassung aufgenommen werden. Dazu braucht es allerdings eine Zweidrittelmehrheit im Parlament, und die mazedonische nationalistische VMRO-DPMNE wird dem wohl kaum zustimmen.

Drohen mit der Entkoppelung von Albanien

Möglich wäre allenfalls, dass in der Folge Brüssel damit drohen könnte, dass nur Albanien mit den EU-Verhandlungen beginnen kann und Nordmazedonien weiter warten muss. Damit könnte die VMRO-DPMNE möglicherweise zum Einlenken gebracht werden und doch einer Verfassungsänderung zustimmen.

Der mazedonische Premier Dimitar Kovačevski betonte, dass es jedenfalls innerhalb des französischen Vorschlags Garantien geben müsse, dass die mazedonische Sprache nicht durch die bulgarischen Forderungen infrage gestellt werden und Geschichtsinterpretationen nicht Teil der EU-Verhandlungen sein dürfen. Kovačevski forderte zudem, dass die EU garantieren solle, dass Bulgarien keine neuen Forderungen stellen wird.

Nationalistische Geschichtsinterpretation

Vertreter Bulgariens hatten in der Vergangenheit immer wieder versucht, Nordmazedonien eigene Geschichtsinterpretationen und Identitätsdefinitionen aufzudrücken. So wurde etwa die mazedonische Sprache als "westbulgarischer Dialekt" bezeichnet und von einer "sogenannten mazedonischen Nation" gesprochen. Eine gemeinsame Historikerkommission kam zu keinen Einigungen. Nach dem französischen Modell soll nun Brüssel über der Einhaltung des Freundschaftsabkommens aus dem Jahr 2017 wachen. (Adelheid Wölfl, 23.6.2022)