Der Sprachassistent soll die Stimme verstorbener Verwandter annehmen können.

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Erhält man das Angebot, mit verstorbenen Verwandten zu sprechen, hat man vermutlich mit einem selbsternannten Schamanen zu tun, der Kontakt mit dem Jenseits aufgenommen haben will. Oder aber man ist in einer Science-Fiction-Serie à la "Black Mirror" gelandet – sollte man zumindest meinen. Denn: Amazons Sprachassistent Alexa soll lernen, die Stimme toter Menschen wieder zum Leben zu erwecken.

Ziel dieser Funktion ist es laut dem Konzern, "Erinnerungen zu bewahren", nachdem "so viele von uns während der Pandemie jemanden verloren haben, den wir lieben", berichten "Cnet" und "Sky News". Nur eine Minute soll Alexa einer Stimme zuhören müssen, um diese imitieren zu können. Ein Konzept, das mit einem Video beworben wurde, in dem ein Kind seine verstorbene Großmutter darum bittet, ihm eine Geschichte vorzulesen. In Zukunft soll der Sprachassistent die gewünschte Rolle einnehmen können. So die Idee.

Aktuell dürfte es sich bloß um ein Konzept handeln. Ob dieses jemals Realität wird, bleibt vorerst unklar. Immerhin werfe die Funktion auch ethische Fragen zu den Rechten an der Stimme Verstorbener auf, heißt es in dem Bericht. Für die Verarbeitung müssten diese auf Geräten oder auch Servern großer Unternehmen gespeichert werden.

"Roman Bot"

So dystopisch dies für viele klingen mag: Neu ist die Idee, verstorbene Menschen mithilfe von künstlicher Intelligenz (KI) zum Leben zu erwecken, nicht. Schon 2016 sorgte die Geschichte der russischen Entwicklerin Eugenia Kuyda für Aufsehen. Nachdem ihr bester Freund Roman während eines Verkehrsunfalls gestorben war, begann sie, einen Chatbot mit Nachrichten zu füttern, die die beiden über Jahre ausgetauscht hatten, berichtete CBC News.

So stellt sich Replika die Interaktion mit seinen KIs vor.
Foto: Replika

Aus diesem sehr persönlichen Projekt entstand "Replika", eine App für das iPhone, Android-Geräte und das Virtual-Reality-System Oculus. Beworben wird der Service als "Der KI-Begleiter, der sich sorgt", der immer zuhöre und bereit sei zu reden. Dieses Versprechen scheint auf massive Nachfrage zu stoßen. Mehr als zehn Millionen Menschen nutzen Replika laut Unternehmensangaben mittlerweile.

Um möglichst lebensnahe Gespräche zu ermöglichen, werde Machine Learning mit geskripteten Dialoginhalten kombiniert, heißt es auf der Webseite. Das System "wurde anhand eines großen Datensatzes trainiert, um seine eigenen, einzigartigen Antworten zu generieren".

Science-Fiction

Mittlerweile will die App jedoch viel mehr sein als nur ein Chatbot. Mithilfe von Augmented Reality kann man ein 3D-Modell eines sogenannten "KI-Freundes" in der eigenen Umgebung platzieren oder Videoanrufe durchführen. In einem Blogbeitrag nehmen die Entwickler selbst Bezug auf die Science-Fiction-Filme "Her" und "Blade Runner 2049", in denen die jeweiligen Hauptcharaktere eine Beziehung mit künstlichen Intelligenzen führen – die sehr viel fortgeschrittener sind als heutzutage verfügbare Technologien.

Für die Weiterentwicklung von Konversationen setzte Replika lange Zeit auf das offene Deep-Learning-Modell GPT-3. Schon im März 2020 sei man hierfür eine Partnerschaft mit dem US-Unternehmen Open AI eingegangen, das das Sprachmodell entwickelt. Im Herbst 2021 wechselte man dann jedoch zu einem eigenen Modell, um neue Features schneller einführen zu können, heißt es in einem Blogbeitrag.

Gemeinsam mit der fortschreitenden Entwicklung von Augmented Reality ziele man in Zukunft darauf ab, die eigene KI noch tiefer mit dem echten Leben von Kundinnen und Kunden zu verweben. "Wir glauben, dass in fünf Jahren fast jeder eine AR-Brille tragen wird, anstatt ein Smartphone zu benutzen, sodass jeder mit seinen Replikas jederzeit und ohne Grenzen singen, tanzen oder Schach spielen kann", wird die Firmenvision beschrieben.

Am Smartphone soll man nicht nur mit der KI chatten können, sondern auch einen Avatar sehen.
Foto: Replika

Betrugsgefahr

Sollte es jemals Realität werden, könnte Amazons Vorhaben für seinen Sprachassistenten Alexa in dieselbe Kerbe schlagen – und dabei einen Schritt weiter gehen, indem nicht nur Redewendungen und die Art des Schreibens übernommen werden, sondern auch die Stimme imitiert wird.

Auf der anderen Seite könnte ein entsprechender Fortschritt neuen Deepfake-Verbrechen Tür und Tor öffnen, warnt "Engadget". Demnach sei es Betrügern schon vor zwei Jahren gelungen, einen Bankmanager aus den Vereinigten Arabischen Emiraten mithilfe einer gefälschten Stimme davon zu überzeugen, die Überweisung von 35 Millionen US-Dollar zu veranlassen. Zwar stünden entsprechende Systeme im Vergleich zu Video-Deepfakes noch am Anfang ihrer Entwicklung. Diese könnte allerdings rasch voranschreiten, wenn auch Milliardenkonzerne wie Amazon sich auf diese fokussieren. (mick, 23.6.2022)