Tanken ist empfindlich teurer geworden. Die steigenden Energiepreise treiben Diesel und Super nach oben. Doch immer öfter mischen auch KI-Systeme bei der Preisentwicklung mit.

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Wer schon mal im Netz einen Flug gebucht hat, wird festgestellt haben, dass die Preise je nach Tageszeit und Wochentag variieren. Frühmorgens, wenn die meisten Leute noch im Bett liegen, ist es meist günstiger als abends, wenn viele mit dem Handy auf der Couch sitzen und den nächsten Wochenendtrip planen.

Dahinter steckt aber keine Laune des Anbieters, sondern Kalkül: Dynamic Pricing nennt sich die Preissetzungsstrategie, bei der Algorithmen massenhaft Daten analysieren, um anhand von Faktoren wie Suchvolumen, Tages- und Jahreszeit oder Wetter die Preise anzupassen. Früher musste man die Preise an der Zapfsäule oder im Schaufenster noch von Hand stecken, heute macht das der Computer. Und zwar viel schneller und öfter: So änderte Amazon seine Preise zeitweise 2,5 Millionen Mal am Tag.

Flexibel, je nach Marktlage

Für Unternehmen, die solche Preissetzungsalgorithmen einsetzen, hat diese Strategie den Vorteil, dass sie flexibel auf Veränderungen der Marktlage reagieren können. Wenn vor der Küste ein Wirbelsturm aufzieht und man aufgrund historischer Daten weiß, dass Kunden dann verstärkt Produkte wie Taschenlampen oder Bier nachfragen, kann man kurzerhand die Preise erhöhen. Für die Verbraucher ist diese algorithmische Preissetzung jedoch intransparent – und manchmal auch sehr teuer.

So hat der Fahrdienstleister Uber bei dem Terroranschlag in London am 3. Juni 2017, bei dem drei Islamisten mit einem Lieferwagen drei Passanten auf einer Brücke töteten, seine Tarife mehr als verdoppelt. Der "Surging-Pricing-Algorithmus" des Fahrdienstleisters errechnet anhand von Geodaten seiner Chauffeure und Kunden Angebot und Nachfrage und ermittelt aus diesem Verhältnis die Preise.

Sind in einem Stadtgebiet gerade wenig Fahrer unterwegs und viele Buchungen registriert, erhöhen sich automatisch die Preise. Zwar ist dem Algorithmus eine Funktion einprogrammiert, die im Falle von Katastrophen die Preiserhöhung deckelt. Trotzdem schöpfte das System den vollen Spielraum aus. Dass Uber aus einem Terroranschlag Profit schlug, brachte dem Unternehmen viel Kritik ein – Uber reagierte und erstattete alle in der Terrornacht erhobenen Tarife zurück.

Wie hoch ist der Einfluss?

Der Fall mag ein statistischer Ausreißer sein. Doch in Zeiten, in denen die Inflation von einem Hoch zum nächsten jagt und Verbraucher auf jeden Cent beim Einkauf achten müssen, stellt sich die Frage, welchen Einfluss diese automatisierten Systeme auf die Entwicklung der Verbraucherpreise haben. Sind Algorithmen Preistreiber?

Dieser Frage sind der Harvard-Ökonom Alexander MacKay und sein Kollege Zach Brown von der University of Michigan in einer Studie ("Competition in Pricing Algorithms") nachgegangen. Die Forscher sammelten im Rahmen einer 18-monatigen Beobachtungsreihe (von April 2018 bis Oktober 2019) für ein bestimmtes Antiallergikum Preisdaten von fünf großen US-Onlinehändlern, die bei ihrer Preisgestaltung Algorithmen einsetzen.

Die Ökonomen identifizierten zunächst eine Korrelation zwischen Preisfrequenz und -höhe: Der Anbieter, der über die beste Technologie verfügte und die Preise schnell anpassen konnte, hatte die niedrigsten Preise für das Medikament. Dagegen waren Anbieter mit schlechteren Algorithmen tendenziell teurer. Um den Effekt herauszurechnen, führten die Ökonomen eine Simulation mit einer geschätzten Nachfrage für verschiedene Antiallergika durch und glichen dies mit einem Standardmodell ab. Ergebnis: Der algorithmische Wettbewerb führt zu einer durchschnittlichen Preissteigerung von 5,2 Prozent.

Wer hat an der ...

Der Befund stützt die Hypothese, dass Algorithmen Teuerungsschübe auslösen und durch Feedbackschleifen wie Preisvergleiche die Inflationsdynamik perpetuieren können. Die britische Wettbewerbsbehörde warnte bereits 2018 in einem Bericht, dass automatisierte Systeme zu höheren Preisen führen und den Wettbewerb verzerren können.

Das Problem sind aber nicht nur Menschen, sondern die Maschinen selbst. Wissenschafter der Universität Bologna haben nachgewiesen, dass Machine-Learning-Algorithmen in einer Simulationsumgebung sogar lernen, illegale Preisabsprachen zu treffen und eine Art digitales Kartell zu bilden – und das, obwohl ihnen dies gar nicht explizit einprogrammiert wurde. Beim sogenannten Reinforcement Learning lernt ein Softwareagent durch Trial and Error selbstständig eine Strategie. Mit dieser Methode konnte die Google-KI Alpha Go den besten Spieler im Brettspiel Go schlagen.

Wenn diese Agenten nun von ihrem programmierten Skript abweichen und "out of the box" illegales Verhalten erlernen, könnte das weitreichende Folgen für den Wettbewerb haben. Was die Forscher am meisten beunruhigt: Die Black-Box-Algorithmen müssen gar nicht miteinander kommunizieren, und sie hinterlassen auch keinerlei Spuren. Das macht es für Kartellbehörden schwierig, illegale Preisabsprachen nachzuweisen. Die Märkte sind heute hochdynamisch und automatisiert. Computer setzen Preise, managen Portfolios oder handeln im Hochfrequenzhandel Rohstoffe. 80 Prozent des US-Börsenhandels ist automatisiert und quasi "auf Autopilot". Wie diese Systeme funktionieren, auf welche Marktsignale sie reagieren und wie sie miteinander interagieren, ist völlig unklar. Manche Analysten vermuten, dass die auf Gewinnmaximierung programmierten Handelscomputer bestimmte Dynamiken wie etwa das Herdenverhalten an den Märkten verstärken und Ausverkäufe beschleunigen.

... Preisschraube gedreht?

Auch jetzt spekulieren Analysten, ob die mathematischen Modelle möglicherweise die Entwicklung des Ölpreises angeheizt haben. Wer das nächste Mal an der Zapfsäule oder bei der Buchung eines Flugtickets tiefer in die Tasche greifen muss, kann davon ausgehen, dass wohl irgendein Algorithmus an der Preisschraube gedreht hat. (Adrian Lobe, 27.6.2022)