Wenn Chaos einen Höhepunkt haben kann, dann wurde der am Donnerstag erreicht. Die Regierung hat das Impfpflichtgesetz abgeschafft. Zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt.

Die kurze Posse der beinahe historischen Corona-Impfpflicht in Österreich im Schnelldurchlauf: Im November, als täglich dutzende Menschen an oder mit dem Virus starben, die Spitäler aus allen Nähten platzten und Personal allerorts maßlos überfordert war, verkündeten der damalige Kanzler Alexander Schallenberg (ÖVP) und der damalige Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) einen Lockdown für alle und – auf Druck der Landeshauptleute – auch eine Impfpflicht. Womit sie Impfbefürworter besänftigten und Impfgegnerinnen verärgerten.

Die Regierung hat das Impfpflichtgesetz zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt abgeschafft.
Foto: IMAGO/MiS

Rasch wurde klar, dass es – salopp formuliert – an der Technik hapert und das Gesetz so wie vorgesehen eigentlich nicht kommen kann. Es kam dann als Phasenmodell trotzdem, aber vorerst ohne die Möglichkeit, Strafen zu verhängen. Noch bevor die ernste Phase aktiviert wurde, wurde das Gesetz wieder ausgesetzt. Drei weitere Monate vergingen, bis man sich dazu entschied, es dabei zu belassen.

Und nun eben das endgültige Aus. Offiziell, weil man glaubt, die Impfpflicht würde mehr schaden als nutzen, frei nach dem Motto: "Was man muss, das will man nicht."

Das mag auf den ersten Blick einleuchten. Tatsächlich hat die Impfpflicht die wirklich harten Impfgegnerinnen und -gegner nie überzeugt, sondern nur noch mehr in ihrer Ablehnung bestärkt. Allerdings vergisst man dabei, dass sich diese Menschen auch ohne Pflicht nicht impfen lassen werden – und dass man ihnen nie mit ernsthaften Konsequenzen gedroht hat.

Schlafendes Gesetz

Ganz offensichtlich liegt das Aus der Impfpflicht daran, dass sich niemand mehr mit der unbeliebten Maßnahme herumschlagen will. Und sei es nur alle drei Monate, wenn die Impfpflichtkommission erneut die verfassungsrechtliche und medizinische Lage beurteilt.

Dass das ausgerechnet jetzt passiert, ist dem parlamentarischen Kalender geschuldet – man will die Impfpflicht noch vor dem Sommer entsorgen, da bleibt nicht mehr viel Gelegenheit. Immerhin muss die ÖVP im Herbst in Tirol auch gegen die impfkritische MFG antreten. Nur: Ausgerechnet jetzt steigen auch die Infektionszahlen deutlich rascher als erwartet. Niemand weiß, welche Variante als Nächstes auf uns zukommt.

Man hätte das Gesetz bestehen lassen müssen. Und zwar genau aus dem Grund, den die Regierung selbst monatelang vorgebracht hat: weil es besser ist, ein schlafendes Gesetz zu haben, das man bei Bedarf weckt, bevor man Monate verschwendet, um es wieder zu erschaffen. Denn für die Gesellschaft macht es überhaupt keinen Unterschied, ob das Gesetz existiert und nicht angewendet wird – oder ob es tatsächlich außer Kraft gesetzt ist. Diese Feinheiten werden die Menschen in Österreich nicht mehr oder weniger spalten.

Die Impfpflicht hätte Leben retten können, wäre sie rechtzeitig und schlagkräftig gekommen. Doch die Regierung hat sie zu einem stumpfen Instrument verkümmern lassen, das Zeit, Geld und gesellschaftlichen Frieden gekostet hat. Man könnte fast froh sein, dass sie nun zu Grabe getragen wird. Würde nicht die nächste Welle unmittelbar bevorstehen.(Gabriele Scherndl, 23.6.2022)