Der türkische Präsident empfängt den saudischen Kronprinzen in Ankara, nach Jahren der Feindschaft sprechen beide von einer neuen Ära der Beziehungen.

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Für Mohammed bin Salman bin Abdulaziz Al Saud läuft es gut: Am Dienstag jährte sich seine Ernennung zum Kronprinzen des Königreichs Saudi-Arabien zum fünften Mal, und MbS, wie der 36-Jährige nicht nur medial genannt wird, wurde in Ankara wie ein Staatschef, der er noch nicht ist, empfangen. Vor zwei Jahren waren die saudisch-türkischen Beziehungen so schlecht gewesen, dass in der nach dem osmanischen Sultan Süleyman dem Prächtigen (1496–1566) benannten Straße in der saudischen Hauptstadt Riad die Namensschilder abmontiert wurden. Und jetzt beschwören MbS und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan eine neue Ära der Zusammenarbeit.

Die Türkei hatte 2018 durch die Veröffentlichung ihrer Geheimdiensterkenntnisse dafür gesorgt, dass die Ermordung des Publizisten Jamal Khashoggi im saudischen Generalkonsulat in Istanbul dem Kronprinzen zugeschrieben wurde. In den USA prahlte US-Präsident Donald Trump damit, MbS "den Arsch gerettet" zu haben, indem er den Khashoggi-Mord nicht thematisierte. Joe Biden hingegen hatte noch vor seiner Wahl angekündigt, ihn als "Paria" behandeln zu wollen.

Beziehungen am Boden

Das ist nicht gut gealtert. Zuletzt soll es MbS gewesen sein, der einen Anruf von Biden nicht entgegennahm, genau wie Mohammed bin Zayed Al Nahyan, nach dem Tod seines Bruders seit kurzem Herrscher Abu Dhabis und Präsident der Vereinigten Arabischen Emirate. Noch nie waren die Beziehungen zwischen den USA und ihren arabischen Alliierten am Persischen Golf so schlecht. Nun sollen sie repariert werden: Die für Mitte Juli angekündigte Reise Bidens zu einem Gipfel des arabischen Golfkooperationsrats in Jeddah in Saudi-Arabien, an dem auch Ägypten, Jordanien und Irak teilnehmen werden, ist ein Canossa-Gang. Biden wird Mohammed bin Salman treffen.

Russland und China

Zu dieser US-Politikwende hat auch der russische Krieg in der Ukraine beigetragen. Die USA mussten feststellen, dass sich die Araber, was ihre Sicherheit anbelangt, nicht mehr auf die USA verlassen. Verurteilungen der Aggression Moskaus fanden höchstens im unverbindlichen Rahmen der Uno-Generalversammlung statt. Russland spielt eine immer größere Rolle in der Region. Aber da ist auch noch China: Vor allem die militärische Zusammenarbeit – die Emirate wollen chinesische Kampfjets kaufen, in Saudi-Arabien bauen die Chinesen eine Raketenfabrik – lassen in Washington die Alarmglocken schrillen.

Biden hatte nach seinem Amtsantritt erst einmal die US-Waffengeschäfte mit Abu Dhabi und Riad, ein Kernstück der Trump’schen Außenpolitik, überprüfen lassen. Die Liste der arabischen Vorwürfe gegen die demokratische US-Regierung ist lang, die Entfremdung hatte schon unter Barack Obama eingesetzt. Biden führte sie weiter, indem er sich einerseits zu einer wertebasierten US-Außenpolitik bekannte, aber gleichzeitig mit Teheran über die Wiederherstellung des Atomdeals, den Trump sabotiert hatte, verhandelte. Washington schien die Iraner mit Glacéhandschuhen anzufassen, was deren Unterstützung für die jemenitischen Huthi-Rebellen betrifft. Die Huthis fuhren ihre Angriffe auf Saudi-Arabien und auf die Vereinigten Arabischen Emirate hoch, die Biden-Regierung stufte die Huthis dennoch nicht als internationale Terrororganisation ein, wie Trump, sondern als – wenn auch verbrecherische – Kriegspartei.

Wenn Biden nun nach Saudi-Arabien reist, verpflichtet er sich den arabischen Sicherheitsinteressen. Dazu gehört auch, was Trump betrieben hat, nämlich die Integration der Sicherheit Israels und der Araber. Der Kongress verlangt vom Pentagon konkrete Pläne, was eine gemeinsame israelisch-arabische Luftverteidigung betrifft.

Israel und Saudi-Arabien

Wie weit das gehen kann, bleibt zu sehen: So soll sie nicht nur die Golfkooperationsstaaten umfassen, sondern auch Ägypten und den Irak. Dort schlägt jedoch gerade die nahöstliche Realität zu: Nach dem Scheitern der Regierungsbildung und dem Rückzug der Sadr-Partei, die die Wahlen im Oktober 2021 gewonnen hatte, ist das irakische Parlament in den Händen der Verbündeten des Iran.

Biden widmet sich nun einem Stück Nahostpolitik, das Trump nur zu gerne zur Vollendung gebracht hätte: Laut Axios soll es einen Fahrplan zur Normalisierung der Beziehungen zwischen Saudi-Arabien und Israel geben. Auf dem Weg zum Gipfel nach Jeddah wird Biden in Israel seinen ersten Halt machen – dort erwartet ihn inzwischen Premier Yair Lapid –, aber eben auch im Westjordanland Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas treffen.

Stolperstein Palästinenser

Die katastrophalen israelisch-palästinensischen Beziehungen machen eine saudisch-israelische Normalisierung schwierig, zumindest solange MbS’ Vater, König Salman, noch lebt. Es sind also eher kleinere Schritte zu erwarten, wie etwa saudische Überflugsgenehmigungen für israelische Flüge. Für die Saudis soll Biden auch noch ein anderes spezielles Goodie haben: Washington bemühe sich darum, die Übergabe der strategisch wichtigen Inseln Tiran und Sanafir an Saudi-Arabien zu finalisieren, die Ägypten eigentlich schon vor fünf Jahren zugesagt hat, meldet Axios.

Am wichtigsten für Mohammed bin Salman ist jedoch, dass die USA wohl endgültig akzeptieren, dass er der erste Herrscher der Enkelgeneration des Staatsgründers Ibn Saud auf dem Thron sein wird. Das gilt auch für Erdoğan, der bei so viel Zusammenrücken in der Region befürchten muss, draußen zu bleiben. Um mitzuspielen, was natürlich auch für die marode türkische Wirtschaft wichtig ist, ist der türkische Präsident nicht nur bereit, Khashoggi (und dessen türkische Verlobte) zu vergessen. Auch die Verbesserung der Beziehungen zu Israel steht auf dem Programm, trotz allen türkischen Gaza-Engagements.(Gudrun Harrer, 24.6.2022)