Missachtung von Menschenrechten, verantwortungsloser Umgang mit Chemikalien, Hungerlöhne: Der Ruf der Lederindustrie bleibt schlecht.

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Wien – Sie waten in toxischen Brühen, bearbeiten Häute ausgemergelter Kühe mit bloßen Händen mit ätzenden Chemikalien. Tausende Arbeiter schuften in Bangladesch für die Lederindustrie unter mittelalterlichen, archaischen Bedingungen. Vor neun Jahren gingen Bilder der eingestürzten Textilfabrik Rana Plaza nahe Dhaka um die Welt, rüttelten Konsumenten auf und zwangen die Regierung dazu, Sicherheitsstandards zu erhöhen. Der Tod von 1135 Menschen zwischen den Trümmern ließ auch Modelabels ihre Produktionsprozesse überdenken. Die Lieferketten für Leder aber blieben davon weitgehend unberührt.

Es ist ein schmutziges Geschäft. Daran lässt Mahmudul Hasan Khan keinen Zweifel.

Der Vizedirektor der Bangladesh Labour Foundation setzt sich für die Stärkung der Rechte der Arbeitenden seines Landes ein. Er berichtet auf Einladung der Non-Profit-Organisation Südwind über verseuchte Flüsse, in die giftige Abwässer der Gerbereien ungefiltert fließen – und von Menschen, die ohne Schutzbekleidung arbeiten. Keiner kläre sie über gesundheitliche Risiken auf, die sich in schweren Haut- und Lungenerkrankungen niederschlagen. In der Region Hazaribagh, der Hochburg der Lederfabriken, werden 90 Prozent der Gerber der Weltgesundheitsorganisation WHO zufolge nicht älter als 50 Jahre.

Kinderarbeit

Khan berichtet von grassierender Kinderarbeit und Unternehmen, die wenig Interesse zeigten, dies zu verhindern. Immer mehr Arbeit verlagere sich in den informellen Sektor und in die Heimarbeit, die vor allem von Frauen gestemmt werde. Diese verdienten um 40 Prozent weniger als ihre Kollegen in Fabriken.

Angestellte würden zusehends zu Tagelöhnern degradiert. Produziert werde mittlerweile vielfach dort, wo Wohnen für Arbeiter unerschwinglich sei. "Die Leute stehen um fünf Uhr früh auf, damit sie um neun in der Arbeit sind und kehren um zehn, zwölf Uhr nachts zurück nach Hause."

Schein und Sein

Leder ist das zweitwichtigste Exportgut für Bangladesch, das knapp zwei Prozent des Bestands an Rindern weltweit aufweist und dafür auch Kühe aus Indien im großen Stil importiert, die zu billigen Taschen und Schuhen verarbeitet werden.

Missachtung von Menschenrechten, verantwortungsloser Umgang mit Chemikalien, Hungerlöhne: Das Bild, das Farhat Parveen von Pakistan zeichnet, unterscheidet sich nur bedingt von Khans Schilderungen. Die Geschäftsführerin der National Organisation for Working Communities spricht von einer Absenz an Sozialstandards. Zwölfstundentage reichten in der Leder- und Schuhindustrie ihres Landes oft nicht aus, um die Existenz der Arbeitenden zu sichern. Diskriminierung von Frauen und Minderheiten stehe an der Tagesordnung. Sich in Gewerkschaften zu organisieren sei zumeist illusorisch. "Die Realität spiegelt nicht geltende Gesetze und Aussagen der Unternehmen wider."

Wie reagieren Europas Schuhhersteller auf Missstände in den Lieferketten? Südwind zieht in einer aktuellen Studie düstere Bilanz. Fünf von zehn befragten Konzernen verweigerten Auskunft darüber. Es fehle an Transparenz und Bemühen bei der Einhaltung von Menschenrechten, klagt die Organisation. Für Leder würden Sorgfaltspflichten noch weniger gelten als für Textilien.

"Bestmögliche Balance"

Der Grazer Schuhkonzern Leder & Schuh beruft sich auf Anfrage des STANDARD auf einen internen Verhaltenskodex und eigens geschulte Mitarbeiter, die sich um die Einhaltung der Qualitätsstandards kümmerten. "Neben der bestmöglichen Balance aus ökologischen und ökonomischen Aspekten zählt für uns soziales und gesellschaftliches Engagement unserer Produzenten und Markenpartner", heißt es in einer Stellungnahme. Der Anteil nachhaltiger Kollektionen steige, versichert das Familienunternehmen.

Gerhard Bachmaier, Chef der oberösterreichischen Lorenz Shoe Group, betont, für die Produktion in Ungarn seines Unternehmens ausschließlich bei zertifizierten Lieferanten einzukaufen. Mehr Einblick in Materialflüsse werde das neue europäische Lieferkettengesetz bringen.

Lorenz selbst zahle in Ungarn gute Löhne und treibe die Preisspirale nicht nach unten, sagt Bachmaier. Kritik an der von Billigschuhen getriebenen Branche verstehe er. Probleme aufzuzeigen, sei notwendig. "Die Folgen einer extremen Preisaggression sind Arbeitsbedingungen, die nicht vertretbar sind." (Verena Kainrath, 24.6.2022)