Der neue, multimediale ORF-Newsroom, kurz vor der Besiedelung zu Fronleichnam.

Foto: APA/ORF/Thomas Ramstorfer

Wien – ORF-Redakteurinnen und -Redakteure können ihren Führungskräften künftig nach drei Beschwerden (über unterschiedliche Themen) das Misstrauen aussprechen. Dann formuliert ein von ORF-Führung und Redakteuren eingesetzter "Ethikrat" zum Fall eine Empfehlung an den ORF-General, der über Bleiben oder Gehen der Führungskraft entscheidet. Das hat der ORF-Stiftungsrat am Donnerstag mit großer Mehrheit beschlossen – mit skeptischen Begleittönen.

Die Mitbestimmung über Führungskräfte ist Teil des neuen Redaktionsstatuts, das nun, wie berichtet, auch für Onlineredaktionen gilt. Das neue Statut war Bedingung für den Betrieb des neuen, gemeinsamen Newsrooms des ORF.

Blaue Gegenstimme

Gegen das neue Statut stimmte nur der von der FPÖ entsandte ORF-Stiftungsrat Niki Haas. Aber auch der von der SPÖ entsandte Heinz Lederer äußerte Bedenken und votierte erst nach einer Aussprache im Stiftungsrat mit Redakteursratsvorsitzendem Dieter Bornemann für das Statut. Lederer warnte vor einer "Beweislastumkehr" für Führungskräfte. In der Sitzung habe ein "intensiver Diskussionsprozess" dazu stattgefunden. Letztlich stimmte aber auch der SPÖ-"Freundeskreis" zu. "Ob wir uns damit etwas Gutes getan haben, werden wir sehen", meinte er.

Nachricht, Kommentar und Social Media

Der ÖVP-nahe Stiftungsrat Andreas Kratschmar begrüßte zwar "die Stärkung der Unabhängigkeit der Redakteurinnen und Redakteure". Er betonte zugleich: "Unabhängigkeit ist nicht nur Recht und Pflicht, sondern auch notwendige Grundlage für journalistische Qualität und objektive, ausgewogene Berichterstattung. Das Statut hält in diesem Sinn auch erfreulicherweise fest, dass Nachricht und Kommentar deutlich voneinander zu trennen sind. Wir erwarten natürlich auch, dass Unabhängigkeit und Qualität der Berichterstattung nicht durch Aktivitäten auf Social Media infrage gestellt werden."

"Stärkung der Unabhängigkeit"

ORF-Chef Roland Weißmann wie auch Stiftungsratsvorsitzender Lothar Lockl bezeichneten das neue Redaktionsstatut als "Meilenstein". Es weise viele Rechte für die Redakteurinnen und Redakteure auf und sei eine "wesentliche Stärkung der Unabhängigkeit", so der ORF-Chef.

Augenmaß beim Misstrauen

Bornemann zeigte sich über das neue Statut erfreut: "Es sorgt dafür, dass Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit in einer ORF-internen 'Verfassung' festgeschrieben sind." Im Konfliktfall sei es notwendig, ein solches Regulativ zu haben. Er betonte verantwortungsvollen Umgang mit solchen Rechten: Die Redaktionsvertretung habe in den vergangenen Jahren stets bewiesen, "mit Augenmaß" vorzugehen, meinte er.

65 Prozent der ORF-Redakteurinnen und -Redakteure nahmen an einer Abstimmung über das neue Statut teil. 97 Prozent davon haben dem neuen Statut zugestimmt. Auch Betriebsrat und Gewerkschaft stimmten zu. (fid, APA, 23.6.2022)