Im vergangenen Sommer standen viele Gebiete, wie hier Kaprun, nach den heftigen Regenfällen unter Wasser. Nun wollen sich die Gemeinden besser gegen Hochwasser rüsten.

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Drei Tage haben gereicht, um fast den gesamten Ort unter Wasser zu setzen. Drei Tage, in denen es ohne Unterbrechung wie aus Kübeln goss. Bis die Salzach so breit war, dass sie erst Wiesen und immer schneller auch Bäume und Strommasten verschluckte und nur noch wenige Zentimeter unter dem Damm stand. "Jeder wusste, dass das Wasser jederzeit kommen kann", sagt Michael Sinnhuber. Sein Haus steht an einem der tiefsten Punkte in der Stadt Mittersill in Salzburg, die selbst wie eine Wanne von beiden Seiten von Bergen umringt ist. "Umso mehr es geregnet hat, desto mehr hat sich die Anspannung bis ins Unermessliche gesteigert." Am Ende hat der Regen im letzten Moment nachgelassen. Aber die Angst vor dem Wasser ist in den Ort zurückgekehrt, sagt er.

Ein Jahr ist die Katastrophe mittlerweile her. Die Sandsäcke entlang der Salzach erinnern noch immer daran. Hochwasser sind im Oberpinzgau grundsätzlich nichts Neues. Schon als Kind sei er mit ihnen quasi aufgewachsen, sagt Sinnhuber. Doch durch den Klimawandel habe sich deren Häufigkeit und Intensität verstärkt. Die Schneefallgrenze steigt im Winter und Frühling immer höher. Statt Schnee prasselt zunehmend Regen aufs Land, im Frühjahr schmilzt der verbleibende Schnee schneller. Von Überschwemmungen sind auch viele andere Gebiete in Österreich betroffen. Gleichzeitig steigt vielerorts die Gefahr durch Unwetter und steigende Hitze. Wo und wie lässt es sich in Österreich künftig mit diesen Bedrohungen leben?

Nur knapp entging Mittersill im vergangenen Sommer dem Hochwasser.
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Risiken ausmachen

Für Betroffene steht viel auf dem Spiel. "Es geht um unsere Heimat und unseren Lebensraum", sagt Sinnhuber. Lange Zeit habe man im Ort geglaubt, dass die Dämme und Rückhaltebecken reichen, um mit den hundertjährlichen Hochwassern fertigzuwerden. Dabei stimmen schon allein die Definitionen nicht mehr, sagt er.

Gemessen an seiner Intensität entsprach der Wasseranstieg im vergangenen Jahr einem Hochwasser, das normalerweise alle dreihundert Jahre eintritt. Und auch 2019 und 2014 kam es in der Region zu hundertjährlichen Hochwassern, die laut einigen Hydrologen künftig wohl als dreißigjährliche Hochwasser eingestuft werden müssen. Schuld an den zunehmenden Überflutungen sind aber nicht nur der Klimawandel, sondern auch Bodenversiegelung, Flussbegradigungen und andere menschliche Eingriffe.

Auf einer Karte hat die Plattform Hora (für "Natural Hazard Overview and Risk Assessment Austria") jene Gebiete markiert, die in Österreich von Hochwassern bedroht sind. Wie rote Adern ziehen sich die Linien quer über das Land, entlang jener kleineren und größeren Flüsse, die in Zeiten von Schneeschmelze und Starkregen auf das Zwei-, Drei- oder Vierfache ihres Volumens anschwellen können. Neben Hochwassern lassen sich auf der Plattform auch die Risiken für Stürme, Hagel, Lawinen und Rutschungen in einem bestimmten Gebiet abschätzen – Informationen, die auch Häuslbauern bei der Wahl ihres künftigen Wohnortes helfen sollen.

Aus Gebiet absiedeln

Doch nicht allen bleibt die Zeit, sich rechtzeitig auf Katastrophen vorzubereiten. Renate Weingärtner war eine von jenen, die das Donauhochwasser im Eferdinger Becken in Oberösterreich 2013 besonders getroffen hat. Wenige Monate zuvor hatte sie die Renovierung ihres Hauses abgeschlossen, dann stand im Juni das Wasser knapp eineinhalb Meter hoch im Wohnzimmer, erinnert sich die heute 62-Jährige. Über ein Fenster ist sie damals auf das Garagendach gestiegen, wo sie ein Boot "ebenerdig" abholte. "Als ich danach die Kellertür öffnete, sind dort die Fische herausgeschwommen", sagt sie.

2013 kam es auch in anderen Orten Österreichs zu heftigen Überschwemmungen, wie hier in Melk in Niederösterreich.
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Wie viele andere Bewohner im Eferdinger Becken auch sollte sie nach der Katastrophe absiedeln. Von Bund und Land haben sie und ihre Familie damals eine Förderung für den Abriss ihres alten und den Bau ihres neuen Hauses in Breitenaich in Scharten bekommen. "Wir sind trotzdem mit einem Minus ausgestiegen", sagt sie. Für das neue Grundstück und Haus seien ihre gesamten Pensionsersparnisse draufgegangen.

Kein Erfolgsbeispiel

Für Sebastian Seebauer, Sozialwissenschafter und Umweltpsychologe von Joanneum Research in Graz, ist die Absiedlung der mehr als 130 Haushalte aus dem Eferdinger Becken ein Beispiel dafür, wie es nicht laufen sollte. "Die Bewohner mussten sich binnen ein bis zwei Jahren entscheiden, ob sie umsiedeln, um die Förderungen dafür zu erhalten. Es blieb viel zu wenig Zeit, sich vorzubereiten", sagt er. Auch eine zentrale Anlaufstelle für Betroffene habe gefehlt, die nicht nur praktische, sondern auch psychosoziale Funktionen erfüllt. "Für einige Menschen ist eine Absiedlung eine Bedrohung der eigenen Identität."

Grundsätzlich seien Absiedlungen das letzte Mittel, um mit Überschwemmungen und anderen Naturkatastrophen fertig zu werden. Seebauer schätzt aber, dass es auch in Zukunft zu Absiedlungen in Österreich kommen werde, wenn im Zuge des Klimawandels Schutzmaßnahmen wie Dämme oder Rückhaltebecken zunehmend an ihre Grenzen stießen. Das würde vor allem kleinere Orte im alpinen Raum betreffen. Letztlich sei es aber auch ein privates Risiko, wenn sich Menschen dazu entschließen, zu nahe am Fluss zu bauen.

Frage von Ressourcen

Wer in Österreich künftig wie stark vom Klimawandel betroffen ist, ist aber nicht nur eine Frage des Wohnortes, sondern auch eine von Ressourcen. Denn auf die eine oder andere Art zeigen sich die Folgen von Überschwemmungen, Stürmen, Dürre oder Hitze bereits überall im Land. Wer eine Wohnung mit Klimaanlage und Grünfläche hat, kommt auch in den tendenziell heißeren Städten künftig besser durch. Wer sich teurere Versicherungen leisten kann, ist im Falle einer Katastrophe besser abgesichert. Wichtig ist deshalb, dass möglichst viele Bewohner in einem Ort mit ins Boot geholt werden, um Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel zu erarbeiten, sagt die Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb.

Das war auch das Ziel von Michael Sinnhuber. Nach den Überschwemmungen im vergangenen Jahr startete er in Mittersill gemeinsam mit einigen anderen Bewohnern eine Bürgerinitiative, die den Hochwasserschutz in der gesamten Region vorantreiben sollte. Denn über eine Absiedlung aus dem Ort denke momentan noch niemand nach, sagt er. Die Initiative forderte, die Schutzbauten an der Salzach zu optimieren und neue Rückhaltebecken in den Tauerntälern zu bauen.

Schutz verstärkt

Seither ist einiges vorangegangen, sagt Sinnhuber. Die Gemeinde hat die bestehende Schutzmauer in den vergangenen Monaten um einen halben Meter erhöht. In den nächsten Jahren sollen in der Region mehrere große Rückhaltebecken gebaut werden. Die Planungen dafür laufen bereits. "In der Zeit, bis alles fertig gebaut ist, kann aber noch viel passieren", sagt Sinnhuber. Er rechne jederzeit wieder mit einer Überschwemmung.

Renate Weingärtner ist sich sicher, dass sie ein weiteres Hochwasser psychisch nicht mehr verkraftet hätte. Alles danach wieder aufzubauen hätte zu viel Energie gekostet. Leicht sei ihr die Absiedlung dennoch nicht gefallen. Ab und zu ist sie noch in der Nähe ihres alten Wohnortes. Dort, wo früher ihr Haus stand, wächst heute wieder Wiese. Nur ein landwirtschaftlicher Betrieb und ein Zweifamilienhaus stehen noch in der näheren Umgebung.

Gut möglich, dass es künftig noch mehr solche Risikogebiete in Österreich geben wird. Wie stark die Folgen von Hochwasser und Unwetter ausfallen, hängt unter anderem davon ab, wie gut die Menschheit den Klimawandel in den nächsten Jahren in den Griff bekommt, sagen Expertinnen. Gleichzeitig berge die Krise aber auch eine positive Energie, ist Sinnhuber überzeugt. "Der Zusammenhalt war noch nie so stark wie jetzt." (Jakob Pallinger, 26.6.2022)