Ein vorgezogenes Erbe in Form eines Grundstücks, 2500 Quadratmeter in einer Vorarlberger Stadtgemeinde. Nur das Haus fehlte noch. Also ließen sich Maria und Stefan S., die in Wien leben, Ende 2020 von einer Baufirma ein Angebot machen. Ihre gerade erst geborene Tochter sollte möglichst im Grünen aufwachsen und eine unbeschwerte Kindheit haben, wie sie auch die Eltern genossen hatten.

Viele Menschen legen ihre Suche nach einer Immobilie derzeit auf Eis, weil die monatlichen Kreditraten für sie unbezahlbar geworden sind.
Illustration: David Karner

Damals konnten sie sich aber nicht zu einer Entscheidung durchringen. Erst vor kurzem nahmen sie wieder Kontakt zur Baufirma auf – und fielen aus allen Wolken. "Wir haben gewusst, dass das Bauen teurer geworden ist", erzählt Maria, die eigentlich anders heißt, "aber solche Preissteigerungen haben wir nicht erwartet." Gleich um ein Viertel würde das Holzhaus, das ihnen vorschwebt, nun teurer ausfallen als noch vor eineinhalb Jahren. Immerhin würde die Baufirma aber einen Fixpreis garantieren, der beim Bau auch eingehalten werden kann – "wenn nichts Unvorhersehbares passiert", erzählt die junge Frau.

Das ist bei weitem keine Selbstverständlichkeit mehr; Unvorhersehbarkeiten gab es in den vergangenen Jahren genug: Durch Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg kam es für bestimmte Materialien zu Lieferengpässen, die zu massiven Verteuerungen geführt haben. Erst war es das Holz, dessen Preise in die Höhe schnellten. Nun ziehen etwa die Preise für Dämmplatten und Folien davon.

Die Zinsen steigen

Die hohen Baukosten treiben auch die Immobilienpreise, welche die Pandemie ohnehin kräftig angeheizt hat, weiter in die Höhe. Für viele Wohnungssuchende und Häuslbauer bleibt der Traum vom Eigenheim daher genau das: ein Traum. Auch für Agnes B., die seit Jahren nach einer Familienwohnung in Wien sucht. Mittlerweile, erzählt sie, findet sie fast keine passende mehr unter 750.000 Euro. "Wir hören jetzt auf mit der Suche", sagt sie. "Vielleicht beruhigt sich die Lage ja wieder."

Derzeit deutet nichts darauf hin. Stattdessen kommt weiteres Ungemach auf Kaufwillige zu. Nach Jahren des billigen Gelds steigen die Zinsen wieder. Wer seinen variablen Kredit nicht rechtzeitig umgeschuldet hat, steht schnell bei ein paar hundert Euro mehr im Monat, die an die Bank bezahlt werden müssen. "Will sich eine Familie mit zwei Kindern eine 100-Quadratmeter-Wohnung kaufen, so gehen allein für die Kreditrückzahlung 49 Prozent des Haushaltseinkommens drauf, mit Betriebskosten, Strom etc. sogar 60 Prozent", rechnete Lukas Tockner von der Arbeiterkammer kürzlich vor. Das sei dann schon "an der Armutsgefährdungsschwelle".

Kaum noch leistbar

Die steigenden Zinsen haben auch einem jungen Paar mit Kind einen Strich durch die Rechnung gemacht. Julia G. ist für ihre kleine Familie auf der Suche nach einer größeren Eigentumswohnung in Wien. Obwohl die aktuelle Zwei-Zimmer-Wohnung fast abbezahlt ist und Julia und ihr Mann gut verdienen, ist ein Zimmer mehr kaum noch leistbar. "2000 Euro Kreditrückzahlung monatlich, bis wir 60 Jahre alt sind", habe ihnen die Bankberaterin in Aussicht gestellt. Es bleibt ihnen also nur, in ihrer zu kleinen Wohnung zu bleiben, "Mieten würde ein ganzes Gehalt verschlingen, und eine größere Wohnung zu kaufen, das kostet einfach zu viel."

Wie schnell sich die Kreditspirale derzeit dreht, offenbart eine Schilderung der Bankberaterin: "Vor drei Wochen, hat sie uns erzählt, wäre der Zinssatz noch bei 2,5 Prozent gelegen, mittlerweile sind es über 3 Prozent."

Strengere Kreditvergabe

Noch einmal schwieriger dürfte es ab August werden. Dann werden die Vergaberichtlinien für Wohnkredite erschwert. Wer einen Kredit will, braucht mindestens 20 Prozent an Eigenkapital. Die Laufzeit für Wohnkredite wird auf 35 Jahre begrenzt. Ein gewisses Kontingent für Ausnahmen soll es zwar geben, für viele Menschen dürfte es nun aber noch schwieriger werden, Eigentum zu erwerben.

Das glaubt auch Reinhold Baudisch von der Kreditvergleichsplattform Durchblicker. Die Plattform hat schon vor einigen Wochen erhoben, dass fast 40 Prozent der Kundinnen und Kunden der letzten zwei Jahre bei der Bank künftig abblitzen würden.

Angesichts der ab August geltenden neuen Regeln habe es zuletzt noch mehr Anfragen zu Immobilienfinanzierungen gegeben, erzählt David Savasci von der Vergleichsplattform Miracl.

Mit der Kreditfinanzierung haben sich die eingangs erwähnten Möchtegern-Häuslbauer aus Vorarlberg noch nicht einmal groß befasst. Sie wissen nur, dass sie für ihren Wohntraum einen "Riesenkredit" brauchen werden. "Das ist so viel Geld, das geht eigentlich in den Kopf fast nicht rein", sagt Maria S. Bei 750.000 Euro liegt ihr Preislimit. Und dennoch wissen sie, dass sie mit dem ererbten Grundstück großes Glück haben. "Wer kein Grundstück erbt, hat in Vorarlberg eigentlich keine Chance mehr", sagt sie. "Nur mit Arbeit und Sparen schafft man es heute nicht mehr."

Alternative zum Eigentum

Diese deprimierende Erkenntnis macht sich bei vielen angesichts weiter steigender Preise breit. Und das macht etwas mit der Gesellschaft, ist die Ökonomin und Politikwissenschafterin Katharina Litschauer vom Soziologie-Institut der WU Wien überzeugt: "Die Menschen empfinden es als ungerecht, dass sie sich um ihr hart verdientes Geld nicht mehr kaufen können, was früher selbstverständlich war und zum Leben dazu gehört hat." Wobei die Expertin auch betont: Den meisten Menschen gehe es um die langfristige Wohnsicherheit. Dafür bräuchte es gar kein Eigentum. In Wien gibt es etwa viele Gemeindebauten und gemeinnützige Wohnformen, wo unbefristetes Wohnen Standard ist. Viele hätten im gemeinnützigen Sektor sogar eine Mietkauf-Option, nutzen sie aber nicht, weil sie sich das Eigentum mit seinen Instandhaltungspflichten nicht "antun" wollen. Langfristige Alternativen abseits vom Eigentum seien also durchaus eine Option für viele und sollten vermehrt aufgebaut werden, rät sie.

Mit diesem unbefristeten Wohnen werde ein Grundbedürfnis befriedigt. Dem gegenüber stehen am freifinanzierten Wohnungsmarkt zunehmend Verwertungsinteressen und eine wachsende Einkommensungleichheit. "Die einen können sich Wohnraum nicht mehr leisten, die anderen haben immer mehr Geld, das sie in Immobilien anlegen, die sie selbst nicht bewohnen. Das führt wiederum zu einer Preissteigerung von Immobilien."

Anlage wird unattraktiv

Internationale Fonds hätten in Wien allein im Jahr 2021 fast 5000 Wohneinheiten gekauft, hieß es jüngst vonseiten der Arbeiterkammer und der TU Wien. Einen positiven Nebeneffekt könnten die steigenden Zinsen aber haben, meinen Experten: Immobilien als Anlageform werden unattraktiver.

Und das dürfte bald auch den Wiener Wohnungsmarkt gehörig durchbeuteln. Eine "Marktbereinigung" erwartet etwa WKÖ-Bauträgersprecher Hans Jörg Ulreich. Viele Bauträger, von denen manche mitunter nicht einmal eine Konzession hätten, "haben blauäugig begonnen und werden die Entwicklungen kaum überleben, da die Rechnung nicht aufgehen wird". Zusätzlich bekämen ihre Kunden im günstigeren Segment nun kaum noch Kredite. "Treffen wird es die kleineren, unerfahrenen und zum Teil auch unseriösen Unternehmen, auch in Wien, die sich schlicht verkalkuliert haben", prophezeit er.

Kleinere Bauträger straucheln

Die Buwog, einer der Platzhirsche am Wiener Bauträgermarkt, bekommt laut Geschäftsführer Andreas Holler bereits Projekte von kleinen Bauträgern angeboten. Und einige Entwickler können schon jetzt in Planung befindliche Wohnungen gar nicht am Markt anbieten, weil es angesichts der Baupreise nicht möglich ist, einen Preis festzulegen.

Ähnliche Probleme haben auch die Fertighaushersteller. Wegen der extremen Preisausschläge mussten sie schon im Frühjahr 2021 an einem Dogma rütteln: Die Fixpreisgarantie für Kundinnen und Kunden, ein Markenzeichen der Branche, wurde nach 40 Jahren erstmals ausgesetzt. "Derzeit können die Mitgliedsunternehmen selbst entscheiden, ob sie weiterhin Fixpreise oder eine variable Preisgestaltung anbieten", sagt Geschäftsführer Christian Murhammer. Das größte Problem stellten die "extremen Schwankungen" der Preise dar. Noch seien die Auftragsbücher voll. "Aber wie sich die neuen Kreditregeln im Herbst auswirken werden, ist ungewiss."

Im Herbst will sich auch die Vorarlberger Jungfamilie endgültig für oder gegen den Hausbau entscheiden. Dann soll alles schnell gehen. Damit ihnen steigende Zinsen und andere Unwägbarkeiten nicht noch einen Strich durch die Rechnung machen. (Martin Putschögl, Bernadette Redl und Franziska Zoidl, 25.6.2022)