Bulgarien macht den Weg frei für EU-Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien.

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Sofia/Brüssel – Das bulgarische Parlament hat sich für eine Aufhebung des Vetos der bulgarischen Regierung gegen den Beginn von EU-Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien ausgesprochen. Die Abgeordneten stimmten am Freitag mehrheitlich für einen entsprechenden Beschluss, der allerdings auch Bedingungen enthielt. Die Regierung wurde damit beauftragt, den Vorschlag der französischen EU-Ratspräsidentschaft zur Beilegung des Streits zwischen den beiden Nachbarländern anzunehmen. Mit Ja stimmten 170 Abgeordnete, 36 Parlamentarier votierten mit Nein. Es gab 21 Enthaltungen.

Französischer Vorschlag auf Prüfstand

Nun sollen gemäß französischem Vorschlag die Rechte der Bulgaren in Nordmazedonien durch Änderungen der nordmazedonischen Verfassung garantiert werden und die Regierung in Skopje sich verpflichten, gute Beziehungen zu Bulgarien zu unterhalten. "Dies ist das beste Angebot, das Bulgarien bisher erhalten hat. Es bietet europäische Garantien, dass die bulgarischen Interessen geschützt werden", sagte Elisaweta Belobradowa, eine Abgeordnete der Partei Demokratisches Bulgarien.

Allerdings muss nun geklärt werden, ob auch Nordmazedonien den Kompromiss akzeptiert. Der nordmazedonische Premierminister Dimitar Kovacewski hatte die französischen Vorschläge in einem Facebook-Post noch am Donnerstag als "inakzeptabel" bezeichnet.

Blockade seit 2020

Bulgarien hat seit Ende 2020 den Beginn von EU-Beitrittsgesprächen mit Nordmazedonien blockiert, weil sich Nordmazedonien weigert, auf Forderungen zu Rechten von Bulgarinnen und Bulgaren in dem Land, in Geschichtsschreibung und Sprache einzugehen. Sofia besteht darauf, dass Bulgarinnen und Bulgaren in Nordmazedonien gleichberechtigt behandelt werden. Von dem Veto war auch der EU-Kandidat Albanien betroffen, das gleichzeitig mit Nordmazedonien Beitrittsgespräche beginnen soll. Jetzt kann auch diese Blockade fallen.

Versuche, die Blockade vor einem am Donnerstag am Rande des EU-Gipfels organisierten Westbalkan-Treffen zu lösen, waren gescheitert. Der bulgarische Ministerpräsident Kiril Petkow bat mit Hinweis auf die innenpolitischen Turbulenzen um Verständnis, verwies aber auch darauf, dass das bulgarische Parlament "sehr bald" eine Entscheidung zu Nordmazedonien treffen werde. Solange müsse er die gegenwärtige Position vertreten, betonte Petkow. "Die Verzögerung wird nicht lange dauern", sagte er.

Politische Krise

Petkows Koalitionsregierung hatte zuvor nach nur einem halben Jahr ein Misstrauensvotum im Parlament nicht überstanden, da ihre Mehrheit nach dem Austritt von Populisten verloren gegangen war. Der Vorstoß zum Misstrauensvotum kam von der früheren Regierungspartei Gerb. Petkow als Chef der Anti-Korruptions-Partei "Wir führen den Wandel fort" (PP), die die größte Parlamentsfraktion stellt, dürfte wieder mit der Regierungsbildung beauftragt werden. Es dürfte aber schwierig werden, dass er wieder eine Mehrheit findet. Dann könnte die bürgerliche Gerb von Ex-Regierungschef Bojko Borissow einen Regierungsauftrag erhalten, aber auch Neuwahlen stehen im Raum.

Nehammer sieht "Durchbruch"

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) sieht im bulgarischen Parlamentsvotum einen "Durchbruch". Er habe Petkow zu dessen "persönlichen Einsatz" gratuliert, sagte er am Freitag am Ende des EU-Gipfels in Brüssel. Das Votum des bulgarischen Parlaments eröffne neue Chancen und werde eine Beschleunigung zur Lösung des Konflikts bringen, gab sich Nehammer überzeugt. Der Kanzler rechnet nichtsdestotrotz noch mit Diskussionen, auch vonseiten Nordmazedoniens. "Ich glaube aber, es ist auflösbar", sagte Nehammer. Österreich befürwortet die EU-Erweiterung nicht nur um Nordmazedonien, sondern um alle Westbalkanstaaten.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron würdigte die Abstimmung als "wichtigen Fortschritt". Die notwendige technische Arbeit sowie die Gespräche gingen bald weiter, um in den kommenden Tagen eine Übereinkunft zu formalisieren.

Vor 2020 hatten vor allem Frankreich und die Niederlande die Aufnahme der Beitrittsverhandlungen mit den beiden Westbalkan-Staaten gebremst. Wegen eines langjährigen Streits mit Griechenland und einer Blockade Athens änderte das damalige Mazedonien seinen Staatsnamen sogar auf Nordmazedonien. Bulgarien hatte bis 2020 keinerlei Einwände gegen die Eröffnung der EU-Beitrittsverhandlungen mit dem Nachbarland gehabt.

Kritik am albanischen Ministerpräsidenten

Das bulgarische Außenministerium verurteilte unterdessen eine Äußerung des albanischen Ministerpräsidenten Edi Rama als "beleidigend". Rama hatte am Donnerstag beim EU-Westbalkan-Gipfel in Brüssel Bulgariens Blockade der EU-Beitrittsgespräche mit seinem Land und Nordmazedonien als "Schande" bezeichnet. "Es ist unzulässig, dass die Beziehungen zwischen den Staaten zur Geisel der Exzentrizität des jetzigen albanischen Ministerpräsidenten werden", erklärte das bulgarische Außenministerium am Freitag. Es bezeichnete Ramas Ausdrucksweise als "niedriges Sprachregister". Dieser hatte auch gesagt: "Ein Nato-Land – Bulgarien – nimmt zwei andere Nato-Länder – Albanien und Nordmazedonien – inmitten eines heißen Kriegs in Europa in Geiselhaft." (APA, 24.6.2022)