Werden Menschen gekündigt, nagt das am Selbstwert und belastet die Psyche.

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Grundsätzlich ist man beim Arbeitsmarktservice (AMS) positiv gestimmt: Im Mai sank die Arbeitslosenquote in Österreich auf 4,4 Prozent und damit auf den niedrigsten Wert seit 14 Jahren. In absoluten Zahlen bedeutet das: Im vergangenen Monat waren 311.500 Menschen arbeitslos gemeldet oder in Schulungen registriert.

Vielen fehlt es allerdings nicht an Schulungen, um wieder ins Arbeitsleben zurückzufinden. 75.705 der arbeitslosen Personen haben gesundheitliche Beeinträchtigungen. In Niederösterreich ist der Anteil besonders hoch: Ein Drittel aller in Niederösterreich Jobsuchenden leidet unter gesundheitlichen Problemen.

Längere Krankenstände aufgrund von psychischen Erkrankungen

Dabei geht es nicht nur um körperliche Erkrankungen, sondern vor allem auch um psychische, betont man vonseiten des AMS. Beides gehe oft Hand in Hand. Durch psychische Erkrankungen werden Krankenstände länger und Frühpensionierungen häufiger, erklärt Barbara Haid, Präsidentin des Österreichischen Bundesverbandes für Psychotherapie: "Bei einem grippalen Infekt ist die Krankenstandsdauer auf ein paar Tage begrenzt. Wenn jemand an einer depressiven Episode leidet, ist mit mindestens einem Monat zu rechnen." Betroffene können sich eine dringend notwendige Psychotherapie aber häufig nicht leisten. Kassenfinanzierte Therapieplätze sind kontingentiert, mental Erkrankte warten derzeit sechs bis zehn Monate auf einen Kassenplatz, sagt AMS-Niederösterreich-Geschäftsführer Sven Hergovich.

AMS finanziert erstmals Psychotherapieplätze

Jeder Monat bedeutet laut Hergovich "individuelles Leid und ist ein Verlust für die Volkswirtschaft". Das AMS Niederösterreich wird deshalb in einem österreichweit erstmaligen Pilotprojekt Psychotherapieplätze finanzieren.

Jobsuchenden, die eine diagnostizierte psychische Erkrankung haben und sich in einem von fünf Arbeitstrainingszentren in Niederösterreich auf den Wiedereinstieg in das Arbeitsleben vorbereiten, wird psychotherapeutische Unterstützung angeboten, solange diese auf einen Kassenplatz warten. Ein "unglaublich positives Projekt", wie Barbara Haid vom Österreichischen Bundesverband für Psychotherapie findet.

Psyche von Langzeitarbeitslosen besonders belastet

Dass Langzeitarbeitslose ganz besonders von Psychotherapie profitieren, sei nicht verwunderlich, erklärt Haid: "Wenn jemand längere Zeit arbeitslos ist, macht das auch was mit der Psyche. Es fehlt plötzlich etwas sehr Elementares, nämlich eine sinnvolle Betätigung. Arbeiten gehört zur gesamten bio- und psychosozialen Gesundheit von uns Menschen dazu."

Fällt das weg, ist das belastend – vor allem für jene, die etwa aufgrund von betrieblichen Einsparungen gekündigt wurden: "Das nagt unglaublich am Selbstwert. Betroffene fragen sich, warum genau sie gekündigt wurden und ob ihre Arbeit nicht gut genug war. Wird der Selbstwert derartig angegriffen, ist das ein hoher Risikofaktor für psychische Erkrankungen wie etwa Depressionen, Angsterkrankungen oder andere Unsicherheiten", sagt Haid.

Das kann in weiterer Folge zu einer Negativspirale führen, in der "die unangenehme Situation dann womöglich mit Substanzen ausgeglichen wird". Dementsprechend froh ist Haid, dass in psychotherapeutische Versorgung investiert wird und man "dafür auch eine gewisse Geldsumme in die Hand nimmt".

Insgesamt kostet das AMS-Pilotprojekt 150.000 Euro, ein Jahr soll es vorerst laufen. Im Frühjahr 2023 soll es um weitere 25.000 Euro evaluiert werden: "Die Intervention kostet am Beginn viel, aber eine Nichtintervention kostet noch mehr", sagt AMS-Niederösterreich-Chef Hergovich. Sollte die Evaluierung zeigen, dass sich die Therapie nicht positiv auf den Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt auswirkt, würde man "maximal auf den Status quo zurückgeworfen". (poem, 27.6.2022)