Eigentlich hielt er Live-Shows für reine Zeitverschwendung: der überkandidelte Billy MacKenzie, hier auf Tournee 1985.

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Die Festtafel für den anvisierten Welterfolg schien reich gedeckt. Anno 1982 stachen die Associates alle Mitbewerber um den großen Dekadenz-Preis in Großbritanniens Pop mit Leichtigkeit aus. Ihre Beats waren zickiger, die Arrangements um vieles bombastischer als der Rest im Feld. Über verstimmten Kirmes-Orgeln und gepeitschtem Blech erhob Billy MacKenzie seinen engelsgleichen Tenor: ein Exzentriker aus dem schottischen Dundee, der sich anschickte, die "New Romantics" in ihren bestickten Husarenjoppen spektakulär links zu überholen.

Als vor genau 40 Jahren das Album Sulk erschien, enthielt es so noch nicht gehörte Musik zur Zeit: einen Cabaret-Sound von und für bekennende Hysteriker; den ultimativen Partysoundtrack für Postapokalyptiker und notorische Nein-Sager. Singles wie "Party Fears Two" oder "Club Country"? Schienen wie frisch vom Mars importiert.

Mackenzie und sein kongenialer Partner Alan Rankine hatten Ennio Morricone im Ohr, als sie ihren wehmütigen Kunst-Pop zusammenschusterten. Zum unbedingten Willen, Spektakel zu machen, gesellte sich ein striktes Do-It-Yourself-Ethos. Ein Snare-Sound wurde gesucht? Bereitwillig warf man für Aufnahmezwecke einen Kübel die Stiegen hinunter. Man las in einem Fachmagazin das Wort "Jangle Piano"? Prompt ließ man sich das mit Nägeln gespickte Klavier frei Haus liefern: für ein bisschen Geklimper im Hintergrund.

Die majestätische, häufig dissonante Schönheit von Sulk trieb den Verantwortlichen bei Warner Brothers Tränen der Wut und Enttäuschung in die Augen. Das Album performte so lala. Auftritte bei Top of the Pops glichen Ritualen der Verweigerung, mit MacKenzie in der Verkleidung eines Flugkapitäns, der, anstatt die Lippen zu bewegen, lieber Kaugummi kaute. Der Melody Maker kürte Sulk zum Album des Jahres 1982. Man ortete "zeitlose Erhabenheit".

Weinende Steine

MacKenzie trug fortan nur noch Barette. Er trennte sich in der Folge von seinem Kompagnon. Tourneen hielt dieser Dandy aus der Unterwelt ohnehin für reine Zeitverschwendung. Obzwar er selbst kein Instrument spielte, verblüffte er Musiker mit Anweisungen wie: "Gib mir einen Akkord aus dem 13. Jahrhundert!" Oder er ließ ein Drum-Kit versuchsweise unter Wasser spielen. Sein überschnappender Gesang konnte bis zum Schluss Steine zu Tränen rühren.

Nach einer arg durchwachsenen Karriere nahm sich dieser herrlichste aller Paradiesvögel, ein Apoll des Gay Pop, 1993 in der schottischen Heimat das Leben. MacKenzie wurde 39 Jahre alt. Sein nachgelassenes Liedgut, etwa auf dem posthum erschienenen Transmission Impossible, kann Herzen zerreißen. Das überkandidelte Album Sulk, soeben mit Bonus-Material wiederaufgelegt, wird bleiben: als Zeugnis einer Ära, in der beinahe jede Grenzüberschreitung, jede Herausforderung des guten Geschmacks, zum Ziel zu führen schien. Um den Preis des Überschnappens. (Ronald Pohl, 25.6.2022)