Frankreichs Präsident Macron (rechts), EU-Ratspräsident Charles Michel (links) und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (Mitte) beim Brüsseler Gipfel.

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Der Brüsseler EU-Gipfel, der am Freitag zu Ende gehen sollte, stand ganz im Zeichen des Krieges in der Ukraine. Vor allem die EU-Beitrittsperspektiven des von Russland angegriffenen Landes sowie weiterer Staaten standen im Fokus. Aber auch mögliche Energieversorgungsengpässe infolge sinkender russischer Lieferungen wurden besprochen.

Frage: Was wurde auf dem EU-Gipfel hinsichtlich einer möglichen Erweiterung beschlossen?

Antwort: Wie erwartet haben sich die Regierungs- und Staatschefs der EU-Mitgliedsstaaten an eine Empfehlung der EU-Kommission gehalten und der Ukraine sowie Moldau den offiziellen Beitrittskandidatenstatus verliehen. Diesen haben derzeit ansonsten noch Albanien, Nordmazedonien, Montenegro, Serbien und die Türkei. Außerdem hat der Gipfel Georgien eine europäische Perspektive gegeben.

Frage: Was bedeutet das für die Ukraine und Moldau?

Antwort: Vor allem für die Ukraine ist es ein wichtiger symbolischer Schritt, der zeigen soll, dass Kiew nicht allein dasteht. Der nächste Schritt wäre die Aufnahme von Beitrittsgesprächen. Diese sollen laut Empfehlung der EU-Kommission aber erst starten, wenn beide Länder bestimmte Reformen im Justizbereich und bei der Korruptionsbekämpfung durchgeführt haben. Bis die Ukraine dieses Ziel erreicht, werden vermutlich noch Jahre vergehen. Und selbst wenn es zu Gesprächen kommt, kann es zum Beitritt noch lange dauern – wenn er überhaupt kommt, wie das Beispiel Türkei zeigt. Diese ist seit 1999 Beitrittskandidat, 2005 starteten die Verhandlungen, seit Jahren aber steckt der Prozess in der Sackgasse.

Frage: Was bedeutet die europäische Perspektive für Georgien?

Antwort: Für Georgien ist der Weg zu einer eventuellen EU-Mitgliedschaft noch weiter als für die Ukraine oder Moldau. Die EU fordert von Tiflis Reformen im Inneren, bevor das Land überhaupt einen Kandidatenstatus erhalten soll. Die Zuerkennung einer "europäischen Perspektive" soll die Motivation für genau diese Reformen stärken.

Frage: Wie schauen die Beitrittsperspektiven für die Länder des Westbalkans aus?

Antwort: Die Entwicklung in der Ukraine wurde in den sechs Westbalkanstaaten Albanien, Nordmazedonien, Serbien, Montenegro, Kosovo und Bosnien-Herzegowina alles andere als positiv aufgenommen, fühlt man sich doch benachteiligt. So muss Bosnien-Herzegowina erst einige Anforderungen erfüllen, bevor es den Status erhält, während es bei der Ukraine umgekehrt war. Einige Länder, darunter Österreich, hatten deshalb gefordert, Bosnien-Herzegowina zügig den Kandidatenstatus zu verleihen. Nun einigte sich die EU auf die Formulierung, die dem Land eine Art Automatismus zum Kandidatenstatus in Aussicht stellt, wenn es die Anforderungen erfüllt. Bei Nordmazedonien und Albanien blockierte Bulgarien lange die Beitrittsgespräche, Freitagmittag votierte das Parlament in Sofia aber für das Ende des Vetos. Mit Serbien stockt der Beitrittsprozess, weil es den Kosovo weiter als abtrünnige Provinz betrachtet. Und der Kosovo selbst, als einziges Westbalkanland neben Bosnien-Herzegowina noch ohne Kandidatenstatus, drängte in Brüssel auf eine Visaliberalisierung.

Frage: Was wurde zum Thema Energieversorgung besprochen?

Antwort: Vorweg: Die Nervosität war groß. Der irische Premier Micheál Martin warnte angesichts gedrosselter Gaslieferungen aus Russland "vor einem sehr schwierigen Winter". Der deutsche Kanzler Olaf Scholz plädierte für mehr Anstrengungen, um Energie aus anderen Ländern zu importieren. Zu gemeinsamen Gasbeschaffungen, wie sie zuletzt diskutiert worden waren, erklärte Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer, dass Österreich dabei mitmache: "Wir haben unsere Quantitäten eingemeldet", so Nehammer. Über die von der EU-Kommission eingerichtete Plattform soll das Gas am Weltmarkt für die ganze EU erworben werden, was durch die Bündelung der Kaufkraft auch einen niedrigeren Preis ermöglicht. Italiens Ministerpräsident Mario Draghi ist indes mit seinem Vorschlag für einen EU-Sondergipfel im Juli zur Gas- und Energiekrise abgeblitzt.

Frage: Wie ist die aktuelle Entwicklung in der Ukraine selbst?

Antwort: Die Ukraine erklärte am Freitag, ihre Truppen aus der Stadt Sjewjerodonezk im Osten des Landes zurückzuziehen. Auch Lyssytschansk gerät immer mehr in Bedrängnis. Die letzte ukrainische Bastion in der Region Luhansk droht von russischen Truppen eingekesselt zu werden. (Kim Son Hoang, Gerald Schubert, 24.6.2022)