Zu den Gründen, warum die britischen Konservativen an ihrem lügenhaften Premierminister Boris Johnson festhalten, zählte bisher auch die fehlende Angst vor der Opposition. Die beiden englischen Nachwahlen zum Unterhaus vom Donnerstag könnten dies ändern. Diszipliniert konzentrierten Labour in Wakefield und die Liberaldemokraten im westenglischen Devon ihre Bemühungen auf den Wahlkreis mit realistischen Gewinnchancen; im jeweils anderen Bezirk traten sie kaum auf. Die Wähler verstanden das Signal: Die Arbeiterpartei konnte Wakefield zurückerobern, während die Liberalen im konservativen Tiverton and Honiton triumphierten.

Labour-Chef Keir Starmer wirkt erleichtert.
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Dass der zuletzt innerparteilich unter Beschuss stehende Labour-Chef Keir Starmer erleichtert wirkte, kann man verstehen. Angesichts des Ergebnisses aber von einer "eigenen Mehrheit" zu reden ist kurzsichtig und dumm.

Nach der verheerenden Niederlage von 2019 unter seinem unfähigen Vorgänger Jeremy Corbyn hat Starmer seine demoralisierte Partei stabilisiert; er strahlt Kompetenz und Regierungswillen aus. Gewinnen aber kann bei der nächsten Gesamtwahl nur eine Anti-Tory-Koalition, die den Konservativen nach 14 Regierungsjahren die Tür weisen will. Das geht im Mehrheitswahlrecht nur mit stillschweigender Kooperation der Oppositionsparteien unter Einschluss von Grünen und Nationalisten. Nicht überall wollen die Leute ihr Kreuz bei Labour machen. Alles andere ist albernes Wunschdenken. (Sebastian Borger, 24.6.2022)