Wir führen die Debatte, die mit Kommunikationsberaterin Nina Hoppes Gastkommentar "Ein Spaßvogel in der Hofburg?" ihren Ausgang nahm, fort: mit Gastkommentaren des ehemaligen SPÖ-Bundesgeschäftsführers Josef Kalina, der Innsbrucker Politikwissenschafterin Lore Hayek und des Wiener Politikwissenschafters Laurenz Ennser-Jedenastik.

Illustration: Fatih Aydogdu

Josef Kalina: Kein Spaß für Van der Bellen

Die gute Nachricht an alle Bedenkenträger und Demokratiekassandras vorweg: Alexander Van der Bellen wird bis 2028 Bundespräsident bleiben! Daran werden weder Gerald Grosz noch ein FPÖ-Kandidat etwas ändern. Und auch nicht Dominik Wlazny, alias Marco Pogo, Musiker, Arzt und Bierfabrikant. Dass mit ihm auch ein Kandidat antreten will, der dem grünaffinen Lager zuzurechnen ist, obwohl doch ein grüner Amtsinhaber ein zweites Mal antritt, ist aber interessant.

Jedenfalls droht eine sehr niedrige Wahlbeteiligung, möglicherweise sogar unter 50 Prozent. Denn 2016 war das Hauptmotiv der Van-der-Bellen-Wählerschaft nicht eine Stimme für den Kandidaten, sondern "Hofer verhindern". Und ob ÖVP-Kreise, denen die Grünen jetzt schon ordentlich auf die Nerven gehen, diesmal wieder Van der Bellen wählen werden, ist mehr als fraglich. Auch bei Linken und Liberalen hat sich Unmut über seine zögerliche Performance breitgemacht: keine Kritik an den korruptiven Umtrieben der türkisen Kurz-Truppe. Keine Mahnung in Richtung des völlig missglückten Corona-Managements. Und kein Wort eines sozialen Gewissens angesichts der enormen Teuerungswelle.

"Er spürt die Unzufriedenheit eines großen Wählersegments."

Das ist die Schneise, durch die Pogo jetzt einfallen will. Er spürt die Unzufriedenheit eines großen Wählersegments, stellt er doch in elf Wiener Bezirken Bezirksräte, die, wie man hört, recht aktiv mitarbeiten.

Ihn jetzt als Förderer eines ungehemmten Alkoholmissbrauchs zu diffamieren oder gar zur Gefahr für die Demokratie zu stilisieren ist absurd. Er nützt ein Vakuum, das andere politische Kräfte durch Absenz erzeugt haben, für seine Zwecke aus. Da mag es durchaus auch um die Vermarktung seines "Turbobiers" gehen. Aber dass Pogo keine politische Agenda habe, ist eine Unterstellung. Und dass er soziale Verantwortung zu tragen bereit ist, haben seine Aktivitäten zur Hebung der Impfquote unter Jugendlichen bewiesen. Die Sorge des Van-der-Bellen-Lagers ist daher verständlich. Wenn ihn nur Grünnahe wählen, könnte es für den Amtsinhaber eine unliebsame Überraschung geben. Aber bitte nicht das Ende der Demokratie heraufbeschwören, wenn Spaßkandidaten aller Nuancierungen antreten. Denn: siehe ersten Satz. (Josef Kalina)

Lore Hayek: Kein Griss um die Kandidatur

Dass es beim zweiten Antreten eines amtierenden Bundespräsidenten kein großes Griss um eine eher aussichtslose Gegenkandidatur gibt, ist nichts Neues: Das war schon 1980 und 2010 der Fall. Auf dem Stand von heute haben 17 Personen ihre Kandidatur angekündigt. Wie ernst die das alle meinen? Das können wir nicht überprüfen, und es ist auch reichlich egal – wenn sie die Voraussetzungen erfüllen, die die Bundesverfassung und das Bundespräsidentenwahlgesetz vorgeben, werden sie auf dem Stimmzettel stehen.

Die Anzahl und Stärke der Herausfordernden hat allerdings einen Einfluss auf die Wahlkampfstrategie des Amtsinhabers. Wie geht man mit Fernsehkonfrontationen und ähnlichen Veranstaltungen um, wenn das Gegenüber in den Umfragen weit entfernt von einem Einzug in eine mögliche Stichwahl ist? Hier werden Van der Bellen und sein Team einiges an Fingerspitzengefühl beweisen müssen.

Schwieriger Rollenwechsel

Für Van der Bellen selbst scheint der Rollenwechsel zwischen Präsident und Kandidat nicht einfach zu sein, wie ein unvorbereitet wirkender Auftritt in der "ZiB 2" am Tag der Bekanntgabe seiner Kandidatur gezeigt hat. Er wird daher auf einen Wahlkampf setzen, der seine Stärke der staatstragenden Gelassenheit in den Mittelpunkt stellt. Ob hierbei Platz für eine direkte Konfrontation mit seinen Mitbewerberinnen und Mitbewerbern sein wird, wird auch davon abhängen, wie das Feld schlussendlich wirklich aussieht. Van der Bellen wird jedenfalls aufpassen müssen, dass seine Strategie nicht als Geringschätzung des politischen Wettbewerbs aufgefasst wird. In Deutschland oder auch Italien gibt es regelmäßig hitzige Debatten darüber, wer mit wem in TV-Duellen auftritt – oder eben nicht.

Wer und wie viele auch immer im Oktober gegen Van der Bellen antreten: "Demokratiegefährdende" Kandidatinnen und Kandidaten werden ziemlich sicher keine dabei sein. Ich traue unserer Demokratie zu, dass sie ein breites Spektrum der "Ernsthaftigkeitsskala" aushält. Die größte Gefahr, die ihr bei dieser Bundespräsidentenwahl drohen könnte, sind wohl schlecht klebende Wahlkuverts. (Lore Hayek)

Laurenz Ennser-Jedenastik: Kein Populist hat Selbstironie

Politik sei eine ernste Sache, daher brauche sie ernsthafte Politikerinnen und Politiker, schrieb Nina Hoppe an dieser Stelle also jüngst. Und: Spaßkandidaturen seien "demokratiegefährdend" und beruhten auf populistischen Argumentationen.

Der Populismus-Vorwurf ist leicht entkräftet: Populismus bedeutet, die Welt als einen radikalen Gegensatz zwischen dem "wahren Volk" und einer korrupten Elite zu sehen. Ein zentraler Wesenszug von Populisten ist, dass sie sich als einzig legitime Stimme dieses "wahren Volkes" sehen. Schon allein diese Selbsterhöhung verträgt sich nur schwer mit jeder Art von Selbstironie, wie sie Spaßvögeln à la Marco Pogo im besten Falle eigen ist.

Haiders Populismus

Hinzu kommt, dass selbst populistische Argumentationen ihre demokratische Berechtigung haben können. Jörg Haiders Kritik an den "Altparteien" etwa beruhte auf einer korrekten Bestandsaufnahme des rot-schwarzen Machtduopols der Nachkriegszeit und der damit einhergehenden Gemengelage von Korruption und Klientelismus. Problematisch an Haider war vielmehr sein Hang zu NS-Verharmlosung, Fremdenfeindlichkeit und Missachtung des Rechtsstaates.

Es ist empirisch schwer festzumachen, was als Spaßprojekt gelten soll und was nicht. Wo zwischen Pogo, Richard Lugner, Gerald Grosz, Frank Stronach und dem Team Strache der Ernst beginnt und der Spaß aufhört, ist mit freiem Auge kaum zu erkennen. Die Grenze verschwimmt aber nicht, weil die sogenannten Spaßvögel immer ernsthafter auftreten, sondern weil manche der vorgeblichen Nichtspaßpolitiker immer weniger ernst zu nehmen sind.

Politischer Spaßfaktor

Und zu guter Letzt: Politik darf auch unterhaltsam sein. Wäre sie das nicht (zumindest auch), wäre das politische Interesse der Wählerinnen und Wähler erst recht im Keller – und das hätte wohl negative Auswirkungen auf Wahlbeteiligung und politisches Engagement im Allgemeinen. Dass Inhaltsleere nicht automatisch die Kehrseite eines höheren politischen Spaßfaktors ist, haben in den letzten Jahren nicht zuletzt jene Spitzenpolitiker demonstriert, deren Handeln weder von programmatischem Tiefgang noch von großem Unterhaltungswert gekennzeichnet war. (Laurenz Ennser-Jedenastik, 26.6.2022)