Der italienische Ministerpräsident Mario Draghi blitzte mit seinem Vorschlag ab.

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Wien – Der italienische Ministerpräsident Mario Draghi ist mit seinem Wunsch für einen EU-Sondergipfel im Juli über die Gas- und Energiekrise bei den anderen Staats- und Regierungschefs abgeblitzt. Nach Beratungen in Brüssel wurde entschieden, dass die EU-Kommission in den nächsten Wochen die Lage sondieren und Vorschläge für ein weiteres Vorgehen erarbeiten soll. Beim nächsten regulären Gipfel im Oktober solle dann auf Spitzenebene über das Thema geredet werden.

Energiepreise im Fokus

Sollte sich die Lage zuvor aber fundamental ändern, etwa durch einen befürchteten Stopp der Gaslieferungen aus Russland, könnte jederzeit ein spontaner Sondergipfel stattfinden, sagte Draghi am Freitag in Brüssel. Der Regierungschef aus Rom will zudem seit Wochen, dass die EU eine gemeinsame Obergrenze für den immens gestiegenen Gaspreis festlegt. Auch dafür hat er bisher keine Mehrheit gegeben. Bei dem Thema überwiege bei vielen Staaten die Angst, dass Russland als Reaktion komplett den Gashahn zudrehe, sagte Draghi.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte nach dem Gipfel, ihre Behörde sei bereits im Mai damit beauftragt worden, Möglichkeiten zur Eindämmung der gestiegenen Energiepreise zu prüfen. Daran arbeite man. Zugleich prüfe man Alternativen für den Aufbau des Energiemarktes. Das könne auch beinhalten, dass das derzeit teure Gas nicht mehr wie bisher maßgeblich für den gesamten Strompreis ist. Man wolle beim nächsten regulären Gipfel im Oktober darauf zurückkommen.

Scholz hält Russland für unglaubwürdig

Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sagte zwar, es seien "alle Aktivitäten" unternommen worden, um Energie aus anderen Ländern als Russland zu importieren. Diese Anstrengung müsse jedoch weiter beschleunigt werden.

Die russische Begründung für die Drosselung der Gaslieferungen nach Deutschland hält Scholz für vorgeschoben. "Niemand von uns glaubt, dass die technischen Gründe, die für die Reduktion von Gaslieferungen gegenwärtig von russischen Lieferanten angeführt werden, zutreffen." Russlands staatlicher Energieriese Gazprom hatte Mitte des Monats die Gaslieferungen durch die Ostseepipeline Nord Stream 1 weiter runtergefahren. Der Gaslieferant begründete den Schritt mit Verzögerungen bei Reparaturarbeiten.

Am 11. Juli beginnt eine zehntägige Routinewartung der Pipeline. Energieversorger und Deutschlands Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sind besorgt, dass Gazprom Nord Stream 1 danach nicht wieder in Betrieb nehmen könnte. Habeck hatte auf die Frage, ob er befürchte, dass Russland danach gar kein Gas mehr liefern werde, beim Sender RTL gesagt: "Ich müsste lügen, wenn ich sagen würde, ich befürchte es nicht." Scholz wollte dagegen nicht spekulieren: "Aber Spekulationen, was wann passiert, machen keinen Sinn", sagte Scholz nun auf die Frage, ob er befürchte, dass die Pipeline Nord Stream 1 nach Wartungsarbeiten nicht wieder in Betrieb genommen werden könnte.

Seit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine Ende Februar gilt die Versorgung Europas mit Gas aus Russland als gefährdet. Schon jetzt hat Moskau die Lieferungen an Deutschland. Österreich und andere EU-Staaten stark gedrosselt oder komplett gestoppt. Die EU versucht, ihre Abhängigkeit von Russland zu reduzieren.

Probleme

Der lettische Ministerpräsident Krišjānis Kariņš betonte am Freitag, am effektivsten seien gemeinsame Schritte der EU-Staaten gegen die hohen Energiepreise. Maßnahmen wie der gemeinsame Einkauf seien jedoch "wahrscheinlich eine mittel- bis langfristige Lösung". Am wichtigsten sei, diejenigen in der Gesellschaft zu unterstützen, die am meisten unter der hohen Inflation litten.

Die schwedische Regierungschefin Magdalena Andersson sagte, man befinde sich in einer schwierigen wirtschaftlichen Situation. Es werde jedoch nicht das Problem lösen, Geld in die Taschen der Bevölkerung zu stecken – auch, wenn dies für Regierungen als einfache Lösung erscheine. "Das würde die Inflation nur verstärken."

Eine mögliche Gasknappheit in Deutschland als größte Volkswirtschaft der EU hat für die anderen Länder eine besondere Bedeutung. "Wenn Deutschland in Probleme gerät, dann hat das auch einen enormen Einfluss auf alle anderen europäischen Länder, auch auf unser Land", sagte Belgiens Premier Alexander De Croo. "Es gibt kein besseres Argument für die Tatsache, dass wir das gemeinsam machen müssen, als die Folgen zu betrachten, die Deutschland potenziell erleidet."

Im der Nachrichtenagentur Reuters vorliegenden Entwurf der EU-Gipfelerklärung wird Russland für die stark gestiegenen Energie-und Lebensmittelpreise verantwortlich gemacht und Moskau vorgeworfen, Energie als Waffe zu benutzen. (APA, Reuters, 24.6.2022)