Die 133 Migranten, denen es gelang, den Zaun zum überwinden, kamen in ein Notaufnahmelager.

Foto: Javier Bernardo

Melilla – Nach dem Tod von mindestens 23 Menschen beim Ansturm von Migranten auf die spanische Exklave Melilla in Marokko gibt es schwere Vorwürfe gegen die Sicherheitskräfte. Die marokkanischen Behörden hätten "ungerechtfertigte Gewalt" eingesetzt und Migranten "misshandelt", sagte der Leiter der Marokkanischen Vereinigung für Menschenrechte (AMDH) in der Stadt Nador, Amin Abidar, am Samstag der Deutschen Presse-Agentur.

Menschen seien stundenlang ohne medizinische Hilfe eingeschlossen auf der Erde liegengelassen worden. Einige seien dabei gestorben, so Abidar.

Die Menschenrechtsorganisation verbreitete Videos, auf denen zu sehen ist, wie Dutzende Migranten – umgeben von Sicherheitskräften – auf engstem Raum zusammengepfercht auf der Erde liegen. Ein Mann wird mit Blut am Kopf abgeführt. Eine Aufnahme zeigt, wie ein Uniformierter mit einem Schlagstock auf einen Mann einschlägt, der am Boden liegt. Die Aufnahmen seien von Aktivisten und Sympathisanten gemacht worden, erklärte Abidar. Er forderte eine schnelle und unabhängige Aufklärung der Vorfälle, um die Verantwortlichen ausfindig zu machen.

Tödliches Gedränge

Bis zu 2000 Menschen hatten am Freitag versucht, den Grenzzaun zwischen Marokko und Melilla zu überwinden. Dabei kamen 18 Migranten ums Leben, wie Marokkos staatliche Nachrichtenagentur MAP unter Berufung auf die lokalen Behörden meldete. Sie seien im Gedränge gestorben oder vom Zaun gefallen.

AMDH sprach hingegen von 27 Toten. Zudem seien Dutzende Migranten sowie 140 Sicherheitskräfte verletzt worden. Das marokkanische Innenministerium warf den Migranten vor, Gewalt eingesetzt zu haben. Die Menschen stammten demnach aus afrikanischen Ländern südlich der Sahara.

Auf spanischem Gebiet

133 Migranten sei es gelungen, die beiden parallel verlaufenden sechs Meter hohen Zäune zu überwinden und auf spanisches Gebiet zu gelangen. Auf Videobildern im Internet war zu sehen, wie die überwiegend jungen Männer freudestrahlend, singend und tanzend durch die Straßen von Melilla rannten. Sie kamen in ein Notaufnahmelager.

Marokko war 1956 von Frankreich und Spanien unabhängig geworden. Dennoch hält Spanien dort weiterhin zwei Exklaven: Melilla und das 250 Kilometer weiter westlich gelegene Ceuta an der Meerenge von Gibraltar. Beide werden von Rabat beansprucht.

Über 200 Menschen wurden beim Sturm auf die Grenzanlage verletzt.
Foto: Javier Bernardo

Warten vor Exklaven

In der Nähe der beiden Gebiete warten oft Zehntausende Afrikaner vorwiegend aus Ländern südlich der Sahara auf eine Chance, in die EU zu gelangen. Meistens versuchen mehrere Hundert Menschen auf einmal, die Grenzbeamten zu überraschen und so über die Grenze zu kommen.

Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez machte die "Menschenhändler-Mafia" für die Zustände verantwortlich. "Es war ein gewaltsamer Überfall, der von der Menschenhändler-Mafia organisiert wurde", erklärte der sozialistische Politiker in Madrid. Für Marokkos Sicherheitskräfte fand Sánchez Lob, weil sie einen Angriff "auf die territoriale Integrität des Landes (Spaniens)" abgewehrt hätten. (red, APA, 25.6.2022)