Nach mehr als anderthalb Jahren Sendepause meldete sich nach der Verkündung des Supreme Court-Urteil der Account von "Q" wieder zu Wort.

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Es hatte sich durch einen Leak zwar bereits angekündigt, dennoch sorgt ein neues Urteil des konservativ dominierten US-Höchstgerichts für einen Ausnahmezustand in den USA. Kurz nachdem das Gremium feststellte, dass Bundesstaaten das Mitführen von Waffen nicht regulieren dürften, kippte es nun nach 50 Jahren das bis dahin mehrfach bestätigte, landesweite Recht auf Abtreibung, das einst aus dem Grundsatzurteil in der Cause Roe v. Wade abgeleitet wurde.

Der Rückschritt sorgte für Empörung im ganzen Land, wie auch großteils entsetzte internationale Reaktionen. Präsident Biden kündigte an, sich weiter für ein Bundesgesetz stark zu machen, das Abtreibung legalisieren soll, wie auch Maßnahmen zu setzen, um jene Frauen zu schützen, die für einen Schwangerschaftsabbruch nun in einen anderen Bundesstaat fahren müssen. In mehreren republikanisch dominierten Staaten setzte das Urteil des Supreme Court per "Trigger Law" ein vollständiges Verbot in Kraft, in anderen soll ein solches binnen einer einmonatigen Frist schlagend werden.

Feierlaune auf rechtsextremen Kanälen

Das Urteil hat allerdings auch seine Fans. Neben großen Teilen der republikanischen Partei, verschiedenen erzkonservativ-christlichen Organisationen, Vatikan inklusive, begrüßen auch rechtsextreme Gruppierungen den Entscheid. Das geht aus einem Report von Memri (Middle East Media Research Institute) hervor. Diese waren auch schon im Juni anlässlich des "Pride Month" mit Gewaltdrohungen und Anschlägsplänen gegen LGBTQI-Personen aufgefallen.

Der Bericht bezieht sich auf Reaktionen aus einschlägigen Foren und Telegram-Gruppen sowie Plattformen mit hoher rechtsextremer Aktivität wie Gab und Mewe. Entdeckt wurden dort etwa Konversationen, die zeigen, dass Neonazis, weiße Rassisten und andere Extremisten hoffen, dass das Urteil hilft, ihren Wunsch eines Systemkollaps zu realisieren. Diese Stimmen hoffen auf Massenproteste, wie sie zuletzt 2020 nach dem Tod von George Floyd durch Polizeigewalt zu sehen waren.

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"Ich wünsche mir, dass sie ihre demokratischen Drecksloch-Städte wieder zerstören, während die jüdischen Marionetten Biden und Harris und die jüdischen Medien Werbung dafür machen", lautet etwa ein Posting in einem Telegram-Chat. "Ich will sehen, wie diese linken Städte zerbröseln und die moderne Sodom- und Gomorrha-Freakshow eskaliert und sich beschleunigt. Sichert [eure Waffen] und ladet nach, seid wachsam und auf der Hut!"

Aufruf zur Verteidigung

Die Betreiber eines Neonazi-Kanals teilten einen Link zu einem Livestream der Nachrichtenagentur Reuters auf Youtube. Dort waren Proteste außerhalb des Gebäudes des Supreme Court in Washington D.C. zu sehen. Unmittelbar danach postete man das Youtube-Video zu einem Lied aus dem Videospiel "Farcry 5" mit dem Titel "Keep Your Rifle By Your Side" ("Halte das Gewehr stets an deiner Seite").

In diesem Bezug zu finden sind auch Aufrufe zur gewalttätigen Verteidigung von Zielen, die nach Auffassung der Rechtsextremen demnächst von der "Antifa" und anderen "Linken" attackiert werden könnten – etwa Kirchen oder lokale Büros der republikanischen Partei.

Positive Reaktionen gab es auch zur Einzelstellungnahme des Höchstrichters Clarence Thomas, der sich darin auch gleich für eine Neuevaluierung anderer Präzedenzurteile, etwa in Bezug auf gleichgeschlechtliche Ehe, aussprach. "Schwuchteln sind als nächste dran", so der Kommentar dazu.

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"Lebenselixier" für radikale Incels

In Hochstimmung versetzte die Entscheidung des Supreme Court aber auch frauenfeindliche Gruppen wie radikale Incels. Dort kursiert etwa ein Meme, das den konservativen, von Trump eingesetzten Höchstrichter Brett Kavanaugh mit Laseraugen und der Aufschrift "Verabschiedet euch von euren Abtreibungen, Schlampen", zeigt. Gegnerinnen des Urteils wurden mit Vergewaltigungswünschen bedacht.

Hassbotschaften gab es auch in Richtung der 2020 verstorbenen, liberalen Höchstrichterin Ruth Bader Ginsburg. Das Urteil wurde mitunter als "Lifefuel" ("Lebenselixier") bezeichnet, ein Szene-Begriff für Ereignisse, die von Mitgliedern als positiv und hoffnungsgebend aufgefasst werden.

"Ich weiß, weniger Zugang zu Abtreibungen führt mit der Zeit zu Problemen wie Überbevölkerung und Kriminalität", theoretisiert ein Nutzer. "Aber nachdem Foids [Anm.: Kurzform von "Femoiden", ein abwertender Szene-Begriff für Frauen] der Ansicht sind, dass ich zu hässlich bin, um meine Gene weiterzugeben (…), bin ich einfach nur glücklich, zu sehen, dass ihr Leben komplizierter wird." Ein anderer forderte die Einführung der Todesstrafe für Frauen, die Schwangerschaftsabbrüche illegal vornehmen lassen wollen.

"Incel" ist eine Wortkombination aus "involuntary celibate" ("unfreiwillig im Zölibat lebend"). Der Begriff ist die Selbstbezeichnung einer fast ausschließlich männlichen Gruppe mit ausgeprägtem radikalen Rand, der ein extrem misogynes Weltbild pflegt und die totale Entrechtung von Frauen anstrebt, da man sich von diesen herabgewürdigt fühlt.

Foto: Screenshot/Memri

Comeback von "Q"

In den Stunden nach der Verkündung des Urteils kehrte auch eine prominente Figur der rechtsextremen Verschwörungsszene unerwartet zurück: Q. Nach anderthalb Jahren Pause gab das Konto, das als das "Original" angesehen wird, wieder ein Lebenszeichen von sich. "Seid ihr bereit, wieder eurem Land zu dienen?", so das Comeback-Posting. "Erinnert euch an euren Eid." Dieser Botschaft folgten weitere kryptische Nachrichten, die laut dem NBC-Journalisten Ben Collins aber stilistisch anders verfasst seien, als frühere Einträge.

Der Account, der die Triebfeder hinter dem "QAnon"-Mythos ist, hatte die Kommunikation nach der US-Präsidentschaftswahl 2020 eingestellt. Seine Anhänger vermuten dahinter einen Regierungsmitarbeiter mit Zugang in höchste Zirkel und Geheimdokumente. Er befeuerte die "Deepstate"-Theorie, laut welcher der Staat in Wahrheit von einzelnen Beamten kontrolliert werde.

Diese seien auch an der Geheimhaltung der Missetaten einer globalen, pädophilen Bande aus linken bzw. liberalen Politikern und Prominenten beteiligt, die Kinder entführten und in Untergrundkomplexen gegeneinander kämpfen lassen würden, um aus ihrem Blut Adrenochrom (ein Nebenprodukt der Adrenalinproduktion im menschlichen Körper) als Aufputschmittel zu gewinnen.

Vereinzelte Gegenstimmen

Aus dem rechtsextremen Spektrum gibt es aber auch vereinzelt Stimmen, die das Urteil für einen Fehler halten, da die meisten Schwangerschaftsabbrüche Frauen nichtweißer Hautfarbe betreffe. Die Logik dahinter speist auch rassistische Verschwörungsmythos wie den " großen Bevölkerungsaustausch". "Macht euch bereit, mit Macheten zu Tode gehackt zu werden, wenn eure Gegend in den nächsten 20 Jahren reafrikanisiert wird", so ein Statement.

Insgesamt ist der Tenor gegenüber dem Aus für "Roe v. Wade" sehr positiv. Einige Rechtsextreme blicken nun erwartungsvoll auf die Bundesstaaten und ihren Umgang mit ihrer Autonomie über Abtreibungen. Dazu meint ein Nutzer auf der Plattform Poast: "Es wird im Prinzip ein Lackmustest dafür, wo man als gottesfürchtige, weiße Person leben sollte." (gpi, 25.6.22)