Foto: IMAGO/Martin Juen

Der Vizekanzler war nicht da. Werner Kogler, der bei den Special Olympics in Oberwart weilte, schickte lediglich eine kurze Videobotschaft, die zu Beginn der 86. Landesversammlung der Wiener Grünen unter dem Motto "Bei Grün bewegt sich was" abgespielt wurde. Statt eines Besuchs am Samstag beim höchsten Gremium der Stadt-Grünen in Wien-Wieden, bot Kogler eine Tour in Wien an, bei der alle ihn treffen und mit ihm plaudern könnten.

Judith Pühringer, Peter Kraus und Sigi Maurer bei der Landesversammlung der Wiener Grünen.
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Am Parteitag waren etwas mehr als 100 Delegierte. Darunter die grüne Klubchefin im Parlament, Sigi Maurer, und die beiden Parteivorsitzenden Judith Pühringer und Peter Kraus, die sich gleich zu Beginn in dem grün ausgeleuchteten Bildungszentrum der Arbeiterkammer von den anderen Parteien distanzierten. Die Themen, um die es bei den Landesparteitagen von ÖVP und SPÖ gegangen sei: Kuchen backen bei der ÖVP, ein Bekenntnis zur Betonpolitik bei der SPÖ, kritisierte Kraus.

Rote "Heisln"

Und blieb auch gleich bei dem ehemaligen Koalitionspartner in Wien: "Die gute Nachricht: Die Sozialdemokratie bewegt sich doch", sagte Kraus. Allerdings meinte Kraus die Berliner SPD – das sei die schlechte Nachricht. Die sprach sich auf einem Landesparteitag gegen den Weiterbau der Stadtautobahn 100 durch Friedrichshain aus. "Diese Berliner Genossinnen und Genossen: Was müssen das für Heisln sein?", spielte Kraus auf eine Aussage des Donaustädter Bezirksvorstehers Ernst Nevrivy an. Nevrivy hatte am Landesparteitag der Wiener SPÖ bei der Debatte um die Stadtstraße erklärt, die SPÖ müsse zeigen, "ob wir hinter unserem Bürgermeister stehen, der wochen- und monatelang von den Grünen und den ganzen anderen Heisln da draußen beleidigt und beschuldigt wird". Applaus und ein lächelnder Stadtchef Michael Ludwig (SPÖ) waren ihm sicher – ebenso der Gram von Teilen der Parteijugend, die sich für den Baustopp eingesetzt hatte.

Dass der "Schutzpatron der Stadtstraße" nicht nur die Grünen, Aktivistinnen und Fachleute, sondern auch die eigene Parteijugend verhöhnt habe, zeige ein ganz bestimmtes Menschenbild. "Damit will ich nichts zu tun haben", sagte Pühringer: "Denn die Jungen haben Angst. Ich kann diese Angst wirklich gut verstehen – und wenn sie etwas verdienen, dann ist es Respekt. Aber die Wiener SPÖ verliert gerade meinen Respekt."

Kapitän Ludwig

Rund zwei Jahre ist es her, da warf Ludwigs SPÖ die Grünen aus der Rathauskoalition und entschied sich für die Neos. Ludwig sei wie ein Kapitän, erklärte Pühringer, der sehenden Auges auf einen Eisberg, Wirbelsturm und ein Seemonster zusteuere. Und stur auf dem Kurs bleibe, weil er sich irgendwann einmal für ihn entschieden habe. In Wien sei die Lebensqualität bedroht, weil die SPÖ lediglich verwalte und keine Visionen habe. Zum Beispiel beim Gemeindebau, kritisierte Pühringer. Vor 100 Jahren sei dieser die "Avantgarde" gewesen. Doch seither habe sich wenig geändert: "Was ist die neue Vision für den Gemeindebau? Diese bleibt die SPÖ schuldig", sagte Pühringer. In puncto Wohnraum forderte Pühringer zudem: "Stoppen wir den Wohnraub – Wien braucht eine Leerstandsabgabe für alles, was länger als ein halbes Jahr freisteht."

Pühringer bezeichnete die "Klimakrise die soziale Frage unserer Zeit": Es gehe um die Themen der Ungleichheit, der Verteilung, oder der Frage: Wem gehört der öffentliche Raum? "Die Klimakrise und die soziale Krise nehmen die Stadt in die Zange: die Schere zwischen Arm und Reich geht auf zwischen denen, die es sich leisten können und denen die immer weniger zum Leben haben", sagte Pühringer.

Die Grünen hätten andere Pläne für die Stadt, ergänzte Kraus. "Der größte Immobilienbesitzer dieser Stadt ist die Stadt. Es braucht Sonnenkraft auf jedes Dach, auf jeden Gemeindebau, auf jedes Amtshaus. Jeder Neubau braucht eine Heizung für morgen. Das Gas-Zeitalter ist vorbei." Es bauche Lösungen mit Wärmepumpen, der Sonnenkraft und Geothermie.

Zum Thema Teuerung gab es von Pühringer Lob und Tadel. Der Bund habe schon gehandelt: "Sehr gut, sehr umsichtig." Etwa die Valorisierung der Sozialleistungen sei ein "Punkt, der bleiben wird". Umgekehrt sei das, was derzeit in Wien passiere, sagte Pühringer und führte die Erhöhung der Preise bei der Wiener Fernwärme an. Der Wiener Energiebonus habe Fehler, etwa, dass da nicht auf die Haushaltsgröße geachtet würde, was Menschen mit Kindern und besonders Alleinerziehende schlechter stelle.

Gegen die Stadtstaße

Gerade in einer Situation wie der aktuellen – mitten in einer Teuerungswelle mit Inflation, hochpreisigen Baustoffen, und verknappenden Ressourcen – dürfe man nur "diese Dinge bauen, die wir wirklich brauchen", sagte Kraus. Das sei "definitiv nicht eine Autobahn durch einen Nationalpark". Die Stadtregierung will die Stadtautobahn trotzdem bauen; auch der von Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) gestoppte Lobautunnel, ist im Rathaus noch nicht ganz vom Tisch.

In Wien spüre man "leider wieder den Geist alter Hinterzimmerpolitik, wo ein paar Männer an einem kleinen Tisch in einem kleinen Raum sitzen", sagte Kraus: "Und dann macht man die Tür zu und dort macht man sich aus, wie die Stadt zu funktionieren hat." Das sehe man etwa an der Neubestellung des Patientenanwalts und die Ablöse von Sigrid Pilz.

Drei Leitanträge beschlossen die grünen Delegierten – zu den Themen Öl und Gas, Leerstandsabgabe und Maßnahmen gegen die Teuerung. (ook, 25.6.2022)