Nadine Brandl hat ihren Lebensmittelpunkt nach Las Vegas verlagert.

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Brandl hält die Luft an. Auch für Film- und Werbeproduktionen.

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Die Wettbewerbe der Synchronschwimmerinnen haben bei der Weltmeisterschaft in Budapest für Schlagzeilen gesorgt. Anna-Maria und Eirini Alexandri schrieben mit zwei Bronzemedaillen ein Stück österreichische Sportgeschichte, die Bilder der bewusstlosen US-Athletin Anita Alvarez gingen um die Welt. Die zweifache Olympiateilnehmerin Nadine Brandl hat die WM verfolgt und sich Gedanken gemacht.

STANDARD: Was haben die Bilder der bewusstlosen Anita Alvarez bei Ihnen ausgelöst?

Brandl: Es war aufwühlend und schockierend, sie so unter Wasser hängen zu sehen. Wie alle Sportlerinnen pushen sich auch Synchronschwimmerinnen an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit. Nur, bei uns ist eben Wasser rundherum.

STANDARD: Ist Synchronschwimmen also eine gefährliche Sportart?

Brandl: Das würde ich nicht sagen. Rund um das Becken stehen zumeist viele Menschen, die eingreifen können. Die Wahrscheinlichkeit, dass so ein Vorfall schlecht ausgeht, ist gering. Aber keine Frage, man muss schnell reagieren. Das ist hier zum Glück passiert.

STANDARD: Die Trainerin hat vor den Sicherheitskräften reagiert. Ist das nicht absurd?

Brandl: Absurd finde ich es nicht. Andrea Fuentes ist vierfache Medaillengewinnerin bei Olympischen Spielen. Sie kann mit großer Wahrscheinlichkeit schneller schwimmen als die Bademeister. Zudem kennt die Trainerin ihre Athletin und kann die Situation besser einschätzen. Das ist ein Startvorteil.

Andrea Fuentes bringt die bewusstlose Anita Alvarez an die Wasseroberfläche.
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STANDARD: Passieren solche Vorfälle beim Synchronschwimmen häufiger?

Brandl: Ich kann mich an einen einzigen Vorfall erinnern. Die Japanerin Hiromi Kobayashi verlor im Teambewerb bei den Olympischen Spielen 2008 das Bewusstsein. Es war bereits während der Kür offensichtlich, dass etwas nicht stimmt. Sie war immer eine halbe Sekunde hintennach.

STANDARD: Und hat es trotzdem durchgezogen?

Brandl: Ja, sie ist die Kür noch fertiggeschwommen. Danach ist es passiert. Das zeigt, wie stark diese Frauen mental sind. Dieser Sport ist eine enorme Herausforderung. Mich wundert, dass er noch immer belächelt wird.

STANDARD: Ich denke nicht, dass Synchronschwimmen belächelt wird.

Brandl: Dann formulieren wir es anders. Synchronschwimmen kann von den meisten Menschen nicht nachvollzogen werden. Sie wissen nicht, welche Arbeit und welche Anstrengungen erforderlich sind, um diese Elemente durchzuführen. Sie wissen nicht, was dahintersteckt.

STANDARD: Was steckt dahinter? Was spielt sich im Körper ab?

Brandl: Wenn die Luft ausgeht, möchte man nur noch atmen. Den Überlebensinstinkt muss man als Synchronschwimmerin bekämpfen. Man darf dem Verlangen nach Luft nicht nachgeben. Das benötigt Härte.

STANDARD: Wie lange können Sie die Luft anhalten?

Brandl: Als Sportlerin wurde mir diese Frage häufig gestellt. Allerdings hat mich das damals nicht beschäftigt. Erst im vergangenen Jahr habe ich das beim Freitauchen aktiv trainiert. Ich komme auf 4:49 Minuten. Da ist man aber schon halb im Nirwana.

STANDARD: Wie lässt sich der Zustand der Synchronschwimmerin nach dem Bewerb beschreiben?

Brandl: Die Muskulatur ist übersäuert, man ist fertig. Ich war mit meinen Kräften oft am Ende. Man steht dann am Beckenrand, hört sich die Wertungen an und weiß gar nicht mehr, wie man die Stufen runtergehen soll.

Weltklasse: Anna-Maria und Eirini Alexandri.
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STANDARD: Anna-Maria und Eirini Alexandri haben zwei Medaillen für Österreich geholt. Wie beeindruckt sind Sie?

Brandl: Es freut mich extrem. Sie haben das ausgezeichnet gemacht. Ich habe mit ihnen trainiert, ich kenne ihre Mentalität. Sie geben nicht nur am entscheidenden Tag alles, sondern auch die anderen 364 Tage im Jahr. Ihre harte Arbeit über die vergangenen Jahre hat sich ausgezahlt.

STANDARD: Wie hart muss man trainieren?

Brandl: Wir hatten damals Lehrgänge mit zehn Stunden Training pro Tag. Das gehört zu diesem Sport dazu, das ist die Norm. Umso schöner ist es, wenn diese Strapazen dann mit einer oder sogar zwei Medaillen bei einem Großereignis belohnt werden.

STANDARD: Ist das Level seit Ihrer Zeit nochmals angestiegen?

Brandl: Die Sportwissenschaft entwickelt sich weiter. Die Athletik spiegelt sich im Becken wider. Die Mädels werden meterhoch aus dem Wasser katapultiert, die Schwerkraft wird ausgehebelt. Das ist schon unglaublich.

STANDARD: Waren Sie erleichtert, als Sie mit dem Ende Ihrer Karriere im Leistungssport das Training reduzieren konnten?

Brandl: Ja. Ich habe zu einem guten Zeitpunkt aufgehört. Es gab Zeiten, da habe ich mich gefragt, ob es auch einen anderen Zustand als diese ständige Müdigkeit gibt. Ich musste auch im Showgeschäft fit sein, verglichen mit dem Spitzensport ist das aber easy.

STANDARD: Wo liegen die Unterschiede?

Brandl: Im Entertainment genieße ich nur die Vorteile des Sports. Ich muss nicht mehr jeden einzelnen Tag darum kämpfen, ein paar Millimeter höher aus dem Wasser zu kommen. Der Druck fällt weg, der Spaß bleibt. (Philip Bauer, 26.6.2022)