Im Klimaschutzministerium von Leonore Gewessler (Grüne) bereitet man sich auf einen etwaigen Gas-Totalausfall vor

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In Österreichs Regierungsämtern laufen auf Hochdruck die Vorbereitungen auf einen möglichen russischen Gasstopp. Ob und wann er tatsächlich kommt, weiß zwar niemand. Doch die jüngsten Entwicklungen zeigen, dass die Gefahr real ist: vor allem, dass Russland wegen vorgeblich technischer Probleme mehr als die Hälfte weniger Gas durch die wichtige Nord-Stream-1-Pipeline nach Europa schickt. In Österreich kommt derzeit zwar nur geringfügig weniger Gas an als zu normalen Zeiten. Doch in den kommenden Monaten, vor allem gegen Winterbeginn, ist davon auszugehen, dass das Putin-Regime weiter versuchen wird, den Druck auf den Westen zu erhöhen.

Deshalb tagen im Bundeskanzleramt von Karl Nehammer (ÖVP) Krisenkabinette; zuletzt wurde vor einer Woche die etwaige Reaktivierung eines Kohlekraftwerks in der Steiermark beschlossen. Die Detailarbeit wiederum obliegt dem Klimaschutzministerium von Leonore Gewessler (Grüne). Hier wird gerade konkret geplant, wie im Fall eines Totalausfalls russichen Gas zu verfahren sei.

Für Private reicht das Gas wohl

Im Rahmen eines Journalistengespräch am Samstag erhielt DER STANDARD Einblick in unterschiedliche Szenarien. Wie ernst die Lage wirklich wird und wie einschneidend die Maßnahmen, hängt von zahlreichen Variablen ab: Da wäre vor allem der Füllstand von Österreichs Gasspeichern. Derzeit liegt er bei 42 Prozent des Jahresbedarfs – bis November will die Regierung 80 Prozent erreichen. Außerdem spielt die Frage eine Rolle, inwieweit es Österreich gelingt, Gas von anderswoher als aus Russland zu beschaffen, etwa aus Norwegen.

Die gute Nachricht: Wie kritisch die Lage auch immer sein wird, zumindest laut den Berechnungen des Klimaschutzministeriums geht sich die Strom- und Wärmeversorgung für private Haushalte weiterhin aus – knapp, aber doch. Dasselbe gilt für systemrelevante Einrichtungen wie Spitäler und Kindergärten. Aus technischen Gründen, wegen des geringen Gasdrucks, können Haushalte nämlich selbst dann noch versorgt werden, wenn nur mehr äußerst wenig Gas zur Verfügung steht. Die Kehrseite: Noch viel enger als ohnehin schon heute wird es im Notfall für Industrie und Gewerbe.

Worst-Case: Ausfall noch im Juni

Das Worst-Case-Szenario wäre, dass Russland bereits diesen Juni die Gaslieferungen komplett stoppt. In diesem Fall wären Österreichs Reserven unter Berücksichtigung der derzeitigen Speicherstände ungefähr Mitte Dezember erschöpft. Das würde also noch mitten in die kritischen Wintermonate fallen, in denen Krafwerke wie Privathaushalte viel Gas benötigen.

Was würde dann geschehen? Die Regierung müsste die letzte Stufe ihres Gas-Notfallplans aktivieren (siehe Infobox unten). Zunächst würden alle Unternehmen verpflichtet, das Gas auf einer Art Auktionsplattform untereinander zu handeln. Wer irgendwie Gas entbehren kann, könnte es auf besagter Plattform um teures Geld an andere Unternehmen verkaufen, die es noch dringender brauchen. Dieses Verfahren – in der Fachsprache "flexible Merit-Order-Liste" (Flex-MOL) genannt – hat die Regierung entwickelt, um staatliche Zwangszuteilungen so lang wie möglich zu vermeiden. Der Markt soll die Rationierungen erledigt, so der Hintergedanke, nicht der Staat.

Der Markt soll Rationierungen managen

Das Flex-MOL-Verfahren würde einige Woche laufen. Sollte sich dann zeigen, dass selbst dies nicht ausreicht, um über den Winter zu kommen, wären Zuteilungen unvermeidlich. Dann würde die Regierung per Verordnung festlegen, wie viel Gas Großverbraucher noch beziehen dürfen. Ausgenommen von den Einschränkungen wären lediglich Stromerzeuger und Produzenten lebenswichtiger Güter wie Lebensmitteln. "Wir müssen uns bewusst sein, dass ein Totalausfall mit schweren wirtschaftlichen Verwerfungen verbunden sein wird", sagt Gewessler im STANDARD-Gespräch. "Auch Wirtschaftshilfen für Betriebe wie Private wären unvermeidlich."

Mit dem Vorkehrungen im Notfallplan hofft das Ministerium, das Land ins Frühjahr 2023 hinüberretten zu können. Verlässlich im Frühling sackt Österreichs Gasverbrauch stark ab: Die Heizsaison ist vorüber; viel Strom kommt aus Erneuerbaren statt aus Gas. Auch werden, so die allgemeine Hoffnung, nächstes Jahr schon weit mehr andere Lieferanten anstelle Russlands zur Verfügung stehen. "Aufgrund dieser Faktoren gehen wir davon aus, dass sich im Lauf des Jahres 2023 die Lage entspannt", sagt Gewessler. "Aber ohne russisches Erdgas wird es noch länger schwierig". (Joseph Gepp, 26.6.2022)