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Als die 24-Stunden-Betreuerin Valea (Name von der Redaktion geändert) im Jahr 2016 nach Rumänien zurückkehrte, um eine Familienangehörige zu pflegen, wusste sie nicht, dass ein Schuldenberg zeitgleich in Österreich anschwoll. Zuvor war sie in Oberösterreich bei einer Familie im Einsatz, einer Vermittlungsagentur zahlte sie monatlich Provision. Nach ein paar Jahren kam sie zur pflegebedürftigen Schwiegermutter von Anton (Name von der Redaktion geändert) in ein kleines Dorf im Burgenland. Dort bemerkte sie, dass sie in den Augen der Wirtschaftskammer (WKO) und der gewerblichen Sozialversicherung (SVS) nie wirklich weg war: 19.000 Euro an SVS-Beiträgen waren offen, erzählt Anton, der sich seither gemeinsam mit ihr durch alle Ebenen kämpft. Auf 9.000 Euro konnten sie die offenen Schulden schon senken, "aber mit 1.500 Euro jeden zweiten Monat ist auch das nicht zu stemmen".

Weil Valea mit der Bürokratie überfordert war, sei auch nicht klar, ob der Agentur eine Schuld zukommt. Die Dokumente seien weg. Sie wisse deshalb nicht, ob sie der Agentur damals eine Vollmacht gab. "Auch wenn die Agentur rechtlich nicht zu verantworten ist, moralisch ist sie es", sagt Anton, immerhin hätte die Agentur mit der Betreuerin Geld verdient. Er hat sich nun mit dem Fall an die Volksanwaltschaft gewandt.

Vergessliche Agenturen

Eigentlich zahlen 24-Stunden-Betreuerinnen hohe Provisionen an Agenturen, um im bürokratischen Dickicht Österreichs zurechtzukommen. Außerdem vermitteln sie ihnen Klienten und setzen deren Verträge auf. Obwohl sie also als deren Arbeitgeber fungieren, sind die in Summe 60.000 de facto 24-Stunden-Betreuerinnen, die hauptsächlich aus Rumänien und der Slowakei nach Österreich kommen, offiziell selbstständig. Das spüren sie vor allem dann, wenn sie mit Nachforderungen und Rechnungen konfrontiert sind. Der Fall von Valea ist dabei kein Einzelfall.

Bei vielen Frauen sind sogar Vollmachten, eine weitverbreitete Praxis im Bereich der 24-Stunden-Betreuung, im Spiel, wie die Grüne Wirtschaft (GW) gemeinsam mit der Interessenvertretung IG24 beklagt. Für die An- und Abmeldung des Gewerbes und alle weiteren bürokratischen Prozesse ist dann die Agentur zuständig. Und weil manche dieser Aufgabe nicht nachkommen, hängen vielen Betreuerinnen tausende Euro Schulden bei der SVS nach, kritisiert Anja Haider-Wallner von der GW.

Verwirrung bei Fristen

Während allerdings die Agenturen keine Konsequenzen zu befürchten haben, sind diese für die Frauen mit ihrem ohnehin spärlichen Verdienst beträchtlich: "Durch die hohen SVS-Nachforderungen droht den Betreuerinnen der finanzielle Ruin", sagt Haider-Wallner, die gemeinsam mit der IG24 Fälle von Frauen gesammelt hat, die für kurze Zeit ins Ausland übersiedelten, aber in Österreich gemeldet blieben. Die Sozialversicherung ratterte in dieser Zeit also weiter. Eigentlich könnten die durch Versäumnisse entstandenen Kosten über die rückwirkende Ruhendmeldung abgewendet werden.

Probleme bereiten da aber widersprüchliche Fristen – und strenge Auslegungen: Während bei der Sozialversicherung eine rückwirkende Ruhendmeldung bis zu 18 Monaten möglich ist, beträgt die Frist beim Gewerbe laut WKO nur drei Wochen. Aber auch nicht überall: Wie Flavia Matei von der IG24 berichtet, ist die Praxis höchst unterschiedlich. Manche Bundesländer zeigen sich kulanter, andere geben sich streng. Wie passt all das mit der Rolle der WKO als gesetzliche Interessenvertretung der 24-Stunden-Betreuerinnen zusammen?

Aus der WKO heißt es, dass die gesetzliche Lage mit den drei Wochen hier "eindeutig" sei und "eine Angleichung der gelebten Praxis im Sinne der Einheitlichkeit" zu begrüßen wäre. Warum sich die Wirtschaftskammer nicht für jene Frauen einsetzt, die wegen Versäumnissen oder schlampigen Arbeitens von deren Agenturen SVS-Schuldenberge angehäuft haben, dazu kam bis Redaktionsschluss auf STANDARD-Nachfrage keine Rückmeldung. Wie viele 24-Stunden-Betreuerinnen von Rückständen betroffen sind, wollte wiederum die SVS nicht sagen, aber die Zahl sei "etwas überdurchschnittlich". Auch zu den von der SVS gestellten Konkursanträgen gibt man sich bedeckt. Bei Schwierigkeiten solle man jedenfalls mit der SVS Kontakt aufnehmen, damit Lösungen gefunden werden können, heißt es.

Problem der Scheinselbstständigkeit

Nicht nur deshalb werde die WKO ihrer Rolle als Interessenvertretung nicht gerecht, sagt Haider-Wallner. Dieser Umstand werde auch in der Struktur der WK-Fachgruppe Personenberatung und -betreuung ersichtlich: Dort sitzen vornehmlich Agenturbetreiber, weil die Betreuerinnen nonstop arbeiten oder sich wegen des Turnussystems im Herkunftsland aufhalten, "sind die Betreuerinnen nicht in der Lage, ihre Interessen zu vertreten", sagt sie. Oft werden diese auch mit Füßen getreten, wie von Haider-Wallner aufgedeckte Betrugsfälle rund um die WKO-Wahl 2020 im Burgenland zeigten. Gegen fünf Agenturchefs wird im Burgenland sowie im oberösterreichischen Wels noch wegen Wahlstimmen-Manipulation ermittelt, wie der STANDARD bereits berichtete. Die WKO müsse jedenfalls rasch für Rechtssicherheit sorgen, fordert Haider-Wallner, die einen Antrag im Wirtschaftsparlament eingebracht hat.

Kämpferisch gibt sich auch die IG24: Sie haben zu Beginn des Jahres eine Crowdfunding-Kampagne gestartet, um gegen die Scheinselbstständigkeit vor Gericht zu ziehen. Verbesserungen hätte auch Sozialminister Johannes Rauch (Grüne) angekündigt: Wie diese ausschauen, steht aber erst im Herbst fest. (Elisa Tomaselli, 27.6.2022)