Dirndl, Lederhosen, Dekolletés und Gamsbärte so weit das Auge reichte. Als Joe Biden am Samstagabend am Münchner Flughafen landete, wurde bei seiner Begrüßung durch ein bayerisches Trachtenkomitee kein Klischee ausgelassen. Der Empfang war, wie sollte es anders sein, auf dem Mist des Ministerpräsidenten Markus Söder gewachsen. Der Politiker ist für seine Wandlungsfähigkeit wie seine Lust an der Verkleidung bekannt.

Trachtentamtam am Münchner Flughafen: Markus Söder (im Trachtenjanker) begrüßt US-Präsident Joe Biden (im Anzug).
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Für Joe Biden schlüpfte er in einen Trachtenjanker. Das gute Stück des CSU-Mannes ist derzeit im Dauereinsatz: Die Jacke kam zuletzt beim Besuch eines Trachtenfestes in der Oberpfalz, eines Bürgerfestes im niederbayerischen Kelheim und zweier Kitas in Oberbayern zum Einsatz.

Nach dem Auftritt auf dem internationalen Parkett passierte allerdings etwas, womit Markus Söder hätte rechnen können: Es regte sich Widerstand. Nördlich des Weißwurstäquators werden Lederhosen und Dirndln bekanntlich als Fremdkörper wahrgenommen. Und so diskutierte Deutschland, wie repräsentativ die bayerische Tracht für das Land sei. Und ob Söders knittriger Trachtenjanker tatsächlich das Gelbe vom Ei war. Hätte er die Jacke nicht in der Kita liegenlassen können?

Der Eindruck, den der Auftritt von Biden und Söder bei vielen hinterließ: "Staatsmann trifft Landei." Jan Philipp Albrecht, der Vorstand der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung, zeigte sich auf Twitter irritiert über den Trachtenaufmarsch: "Welche Gesellschaft soll das abbilden?" Der Theaterregisseur Ersan Mondtag twitterte: "So stellt man sich Deutschland bei den 'Simpsons' vor." Die "Taz" nahm Söders Auftritt mit Humor und witzelte kurz darauf mit dem Titel: "Endlich indigene Völker beim G7-Gipfel." Sogar die "Bild"-Zeitung fühlte sich bemüßigt zu diskutieren: "Söders Trachtentamtam: Prächtig oder peinlich?"

Die meisten Reaktionen löste allerdings der süffisante Kommentar des amerikanischen Kolumnisten Ian Bremmer bei seinen über 660.000 Followern und Followerinnen aus: "Für mich ziehen sich die Deutschen nie so an, wenn ich zu Besuch komme." Es folgten in den Kommentaren Erklärungen, Entschuldigungen und Rechtfertigungen zu dem "lächerlichen Miniatur-Oktoberfest": "Not all Germans are Bavarians."

Die Kritik wollte Söder nicht auf sich sitzen lassen und ließ am Montag verlautbaren: "Zu Bayern gehört das einfach dazu: Modernität, aber auch Brauchtum." Und: Den Gästen, die da waren, habe es "super gefallen".

Vielleicht sollte der bayerische Ministerpräsident einen Blick gen Süden wagen. Dort wurde gerade das niederländische Königspaar empfangen. Ausgerechnet in Österreich, wo parteiübergreifend kein Wahlkampf ohne Tracht zu schlagen ist, ging der Besuch von Willem-Alexander und Maxima bislang ohne einen Lederhosenaufmarsch über die Bühne.

Es war zwar nicht der US-Präsident zu Gast, aber dennoch: In Wien wurde bei der Ankunft des niederländischen Königspaares auf einen Trachtenauftritt verzichtet.
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Vielleicht sind solche Hinweise aber auch gar nicht mehr notwendig. Aktuelle Selfies mit Kanadas Premierminister zeigen Markus Söder auf Schloss Elmau im blauen Anzug. (Anne Feldkamp, 28.6.2022)