Fuhrmann gilt als akribische und kommunikative Chefin. Ihr Team trifft bei der EM in Gruppe A auf England, Norwegen und Nordirland.

Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

Fuhrmann: "Ich will mutige Spielerinnen."

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Am 6. Juli treffen Österreichs Fußballerinnen zum Euro-Auftakt in Manchester auf Gastgeber England. Weitere Gegner sind Nordirland und Norwegen, der Erste und der Zweite steigen ins Viertelfinale auf. Die Generalprobe gegen Belgien glückte, man siegte am Sonntag auswärts 1:0. Am Tag darauf gab Teamchefin Irene Fuhrmann den Kader bekannt. Virginia Kirchberger fehlt nach ihrer Verletzung.

STANDARD: Zufrieden mit der Vorbereitung?

Fuhrmann: Grundsätzlich bin ich sehr zufrieden, auch weil wir diese Gelassenheit gezeigt haben, dem Team zuzugestehen, dass es sich in den zehn Tagen der Vorbereitung weiterentwickelt. Und das ist passiert. Gerade im Belgien-Spiel hat man gesehen, dass wir im Angriffspressing viel präsenter waren. Jetzt gilt es noch dafür zu sorgen, dass das Team im Angriffsdrittel noch selbstbewusster auftritt und kaltschnäuziger wird. Aber das ist für jeden Trainer eine Herausforderung.

STANDARD: Sie sind im Juli zwei Jahre im Amt. Wie schaut ein kleines Zwischenresümee aus?

Fuhrmann: Wir sind prinzipiell in unseren Resümees eher selbstkritisch, aber es ist auch an der Zeit, dass wir sagen, dass wir es sportlich sehr gut gemacht haben. Die direkte Qualifikation für die Euro in einer schwierigen Gruppe mit Frankreich und Serbien ist eine wirklich gute Leistung. Auch die WM-Qualifikation war in Anbetracht der Umstände gut. Man kann die Entwicklung sehen.

STANDARD: Seit dem Halbfinaleinzug bei der Euro 2017 sind fünf Jahre vergangen. Wie hat sich das Team verändert?

Fuhrmann: Wir haben jetzt eine besonders gute Mischung aus routinierten und jungen Spielerinnen. Die jungen können dadurch freier aufspielen, der Druck ist nicht so groß.

STANDARD: Österreich ist sicher nicht mehr Underdog, wird nicht mehr unterschätzt. Den Spielerinnen, die schon länger dabei sind, scheint das zu gefallen.

Fuhrmann: Den Spielerinnen gefällt das, weil sie sich diesen Status erarbeitet haben. Das Team hat sich Respekt verschafft und gezeigt, dass die letzte Euro kein One-Hit-Wonder war. Am Ende des Tages kann man es nicht miteinander vergleichen. Wir haben uns weiterentwickelt, die anderen aber auch. Wir wollen nicht nur in der Gruppenphase dabei sein. Wir wollen mehr.

STANDARD: Das große Thema ist das Spiel gegen England in Old Trafford.

Fuhrmann: Alle reden von dieser einen Partie, aber wir haben insgesamt drei Spiele, die alle entscheidend sind. Aber natürlich ist es wichtig, wie wir im ersten Spiel auftreten, ob es ein knappes Ergebnis wird oder wir sogar gewinnen.

STANDARD: Was ist das Schlimmste, das passieren kann?

Fuhrmann: Das Schlimmste wäre, wenn wir kein Entscheidungsspiel gegen Norwegen haben. Mein Wunsch wäre, dass wir vor Norwegen stehen und sagen können: "Okay, wir haben es jetzt selbst in der Hand." Denn dann kann alles passieren. Dazu muss man gegen Nordirland zeigen, dass man das bessere Team ist. Und wir haben das Selbstvertrauen, zu sagen, dass wir das bessere Team sind.

STANDARD: Der Druck liegt also auf den arrivierten Spielerinnen.

Fuhrmann: Sie nehmen den Druck zumindest von den Jüngeren. Man darf dabei, aber auch nicht vergessen, dass das auch nur Menschen sind. Spielerinnen wie Carina Wenninger, Sarah Zadrazil oder Manuela Zinsberger haben den Druck, jedes Mal ihre Leistungen zu bestätigen. Man lobt immer die Jungen und vergisst aber, dass die Routiniers die Jungen irgendwo vom Druck freispielen.

STANDARD: Selbst die Routiniers haben seit der letzten Euro noch einmal einen Sprung gemacht.

Fuhrmann: Das beste Beispiel ist Sarah Zadrazil. Sie war bei Potsdam Kapitänin und hätte sich dort ein gemütliches Leben machen können. Stattdessen wechselt sie zu den Bayern, weil sie sich selbst fordern wollte. Dort ist sie innerhalb kurzer Zeit Stammspielerin geworden und hat sich durchgesetzt. Sie ist das perfekte Vorbild für junge Spielerinnen. Oder Laura Wienroither, die zwar 2017 nicht bei der Euro dabei war, aber ein halbes Jahr vor dem Turnier in England von Hoffenheim zu Arsenal wechselt.

STANDARD: Ein durchaus mutiger Schritt.

Fuhrmann: Ich stand da sogar ein bisschen auf der Bremse, aber sie hat mir gesagt, dass sie den nächsten Schritt machen möchte und vor allem im athletischen Bereich noch viel Potenzial sieht. Natürlich war ein Wechsel so knapp vor der Euro ein Risiko. Man ist lange in einem Trainingsregime, man kennt die Abläufe und ist sie gewohnt. Europa und England unterscheiden sich, bei Arsenal gibt es alleine drei Athletiktrainer für das Frauenteam. Aber sie hat es riskiert. Sie spielt zwar nicht immer, aber wenn sie reinkommt, sieht man, wie sie marschiert und abgeht. Der Schritt hat sich jedenfalls ausgezahlt. Ich will mutige Spielerinnen.

STANDARD: In Österreich fehlt es immer noch in der Breite an Spielerinnen. Wie ist man trotzdem erfolgreich?

Fuhrmann: Wenn man sich Nationen wie Norwegen anschaut, haben die einfach zehnmal mehr Fußballerinnen. Wenn da eine nicht gut liefert, ist sie weg, und die nächste nimmt ihren Platz ein. Bei uns versuchen wir die paar, die wir haben, bestmöglich auszubilden und zu fördern.

STANDARD: Was ist der Unterschied zu Skandinavien?

Fuhrmann: Erstens ist die Stellung der Frau in Skandinavien eine andere und auch der Zugang zu Sport im Allgemeinen. Ich denke nur daran, wie lange wir hier über die tägliche Turnstunde diskutieren. Ja, Anerkennung und Wertschätzung sind gestiegen, aber wir sind noch immer an dem Punkt, an dem wir in Schulen oder Kindergärten das Bewusstsein schaffen wollen, dass Mädchen auch Fußball spielen dürfen. Genauso wie ein Bub auch zum Ballett gehen kann.

STANDARD: Gibt es bei den ÖFB-Frauen ein Gesamtkonzept, eine fußballerische Linie, die sich durchzieht? Also eine Fuhrmann-Schule?

Fuhrmann: Das Thema einer einheitlichen Spielphilosophie ist ja immer wieder aufgepoppt, ich glaube aber, dass man als Trainer auch gewisse Freiheiten braucht. Natürlich sollte es Prinzipien und Grundsätze geben, die für alle gleich sind. Bei uns ist es aber von der Spielanlage ein großer Unterschied, ob der Gegner England oder Lettland heißt.

STANDARD: Manche Ergebnisse in den Qualifikationsgruppen sind in der Höhe abenteuerlich. Uefa-Frauen-Chefin Nadine Kessler hat kürzlich erwähnt, dass das Format wohl verändert wird. Wie sehen Sie das?

Fuhrmann: Ehrlich gesagt, war es für uns in unserer Situation perfekt. Wir waren in einer Phase, in der wir junge Spielerinnen einbinden mussten und auch wollten. Dazu sind auch Stammspielerinnen ausgefallen. Da ist es schon gut, wenn man nicht immer komplett am Anschlag spielen muss. Außerdem haben die Spiele einen sehr unterschiedlichen Charakter: Gegen Luxemburg hat man beispielsweise viel mehr Ballbesitz, als gegen England. Für unsere Entwicklung hatte es also einen Mehrwert. Objektiv muss man aber gestehen, dass es nicht ideal ist. Wenn es dann zum Beispiel heißt: "Wow, im Frauenfußball sieht man so viele Tore." Es hilft nicht dabei, Ernst genommen zu werden.

STANDARD: Man ist beim Thema Frauenfußball versucht, immer wieder in gesellschaftspolitische Themen abzudriften und das unmittelbar Sportliche außen vor zu lassen. Nervt Sie das?

Fuhrmann: Ich habe gelernt, dass beides dazugehört. Weil ich die erste Teamchefin bin und insgesamt noch nicht viele Frauen im Trainerberuf sind, kamen anfangs ganz viele Interviewanfragen, die nur auf das abgezielt haben. Schlussendlich geht es für mich aber um die sportliche Performance.

STANDARD: Kessler hat auch gesagt, dass wir Medien unter anderem daran schuld sind, dass Frauenfußball nicht so sichtbar ist, wie er sein könnte. Sprechen wir die falschen Themen an?

Fuhrmann: Falsch würde ich nicht sagen. Grundsätzlich sind wir einmal gefordert, über den sportlichen Erfolg zu überzeugen und auf uns aufmerksam zu machen. Im Endeffekt geht aber natürlich darum, den Frauenfußball sichtbarer zu machen. Das passiert über die sportlichen, aber auch über die gesamtgesellschaftlichen Themen. (Andreas Hagenauer, 28.6.2022)