Die Sozialdemokraten liegen bei allen Umfragen mit wachsender Zustimmung klar vor der ÖVP, die infolge der vergifteten Erbschaft der trügerischen Ära Kurz kaum Chancen hat, die Position des Bundeskanzlers verteidigen zu können. Zu dem überraschend schnellen Aufstieg der SPÖ haben auch die maßvolle Politik des Wiener Bürgermeisters Michael Ludwig, mehr denn je der starke Mann der Partei, und der Kampfgeist der von ihm unterstützten Quereinsteigerin Pamela Rendi-Wagner an der Parteispitze beigetragen.

Aufstieg, Höhenflug und Rücktritt oder Sturz sind die Stationen eines politischen Lebens in einer parlamentarischen Demokratie.

Die Sozialdemokraten liegen bei allen Umfragen mit wachsender Zustimmung klar vor der ÖVP.
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Die Haltung nach dem Abschied von der Macht ist auch ein Gradmesser für das Urteilsvermögen eines Politikers und ebenso seiner Empathie für seine Gesinnungsgesellschaft. Selbst ein Ausnahmepolitiker wie Bruno Kreisky hat, wohl in erster Linie wegen seiner schweren Nierenkrankheit, in dieser Hinsicht versagt. Es waren die drei Verlierer auf der ÖVP-Seite – Josef Klaus, Josef Taus und Alois Mock –, die sich nach ihren Niederlagen als faire und zurückhaltende Verlierer erwiesen haben. In der SPÖ hatte nach seinem tiefen politischen Sturz Hannes Androsch, nach Kreisky zweifellos das größte politische Talent der Sozialdemokratie, mutig und erfolgreich als Industrieller und Finanzinvestor eine fulminante zweite Karriere aufgebaut.

Ambitionen

Der langjährige SPÖ-Vorsitzende und Bundeskanzler Werner Faymann (2008–2016) wurde bekanntlich nach einer Serie von Wahlniederlagen durch parteiinternen Widerstand zum Rücktritt gezwungen. Seitdem betreibt er fleißig und erfolgreich seine private Firma durch seine vielfältigen Kontakte. Politisch verhält sich der Ex-Kanzler mausestill, im Gegensatz zu seinem Vorgänger Alfred Gusenbauer, der durch seine skandalumwitterten, aber lukrativen Geschäftskontakte mit autokratischen Machthabern, von der Ukraine bis Aserbaidschan, auch international bekannt geworden ist.

Seit Franz Olah hat aber kein Politiker in seiner Partei eine solche Verwüstung hinterlassen wie der letzte SPÖ-Kanzler Christian Kern. Nach seiner Wahlniederlage und einer chaotischen Rücktrittsserie hatte der gescheiterte Politiker "verrückte, weil völlig aussichtslose Ambitionen" auf die Spitzenkandidatur der europäischen Sozialdemokraten (so der frühere Wiener Bürgermeister Michael Häupl) gepflegt. Anschließend verkündete Kern "seinen endgültigen Abschied von der Politik", von dem "innenpolitischen Klein-Klein". Angesichts der Wahlchancen der von Kern "erfundenen", aber inzwischen unabhängig agierenden Nachfolgerin möchte der Ex-Kanzler, laut Pressemeldungen, die vom burgenländischen Landeshauptmann Hans Peter Doskozil in einem Presse-Interview bestätigt wurden, "politisch wieder gestalten".

Der regional erfolgreiche, aber von bundespolitischen Ambitionen getriebene Doskozil hat anscheinend ein Zweckbündnis mit dem von ihm als "klugen politischen Kopf" gelobten Kern geschlossen. Diesem bizarren und vom Machthunger geprägten Duo, samt anderer Intriganten, könnte es noch vor den Nationalratswahlen gelingen, der angeschlagenen ÖVP einen neuen Auftrieb zu verleihen. (Paul Lendvai, 28.6.2022)