Niva von Weisl, Großnichte der ersten österreichischen Anwältin Marianne Beth (links) und Rupert Wolff, Präsident der Österreichischen Rechtsanwaltskammer ehrten Anwältin Helene Klaar.

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Mit "Rechtssetzung und Rechtsschutz im Ausnahmezustand" hat sich am Montag der Grundrechtetag der österreichischen Rechtsanwälte in Wien auseinandergesetzt. Bei diesem Anlass erhielt die bekannte Scheidungsanwältin Helene Klaar den neu geschaffenen "Marianne Beth Preis" überreicht, benannt nach Österreichs erster Rechtsanwältin. Klaar, selbst Tochter eines von den Nazis vertriebenen Anwalts, hielt in ihrer Dankesrede ein Plädoyer für freie Anwälte als Garant der Demokratie.

Marianne Beth, die Namensgeberin des vom Rechtsanwaltskammertag verliehenen Preises, wurde 1890 geboren. Im Jahr 1928 wurde sie als erste Frau in die österreichische Rechtsanwälteliste eingetragen. Zehn Jahre später belegten sie die Nazis als Jüdin mit einem Berufsverbot und zwangen sie zur Emigration. Klaar, die den Preis von Beths Großnichte Niva von Weisl überreicht bekam, zeigte sich berührt: Wegen der Erinnerung an die erste Anwältin Österreichs, aber auch weil es für sie schicksalhaft sei, dass es sich dabei um eine jüdische Anwaltstochter gehandelt hatte.

Spende an Frauenhäuser

In der ersten Republik, so Klaar, sei die Advokatur in Österreich "a Jewish Affair" gewesen, was an ihrer Diskriminierung lag: Der Zugang zu Staatsämtern, der Richterschaft und den Ministerien war Jüdinnen und Juden verwehrt. "Es ist ihnen nichts übrig geblieben, als sich dem freien Anwaltsberuf zuzuwenden", sagte sie.

Klaar erinnerte an ihren Vater, der nach dem Fall des Nationalsozialismus zurückkehrte, "weil er trotz aller Verbitterung und Kränkung lieber in Wien Rechtsanwalt sein wollte als in Philadelphia Lohnbuchhalter". Ihr Elternhaus habe sie politisch geprägt, ihr die Wichtigkeit und den Wert der Demokratie vermittelt und sie gelehrt, "dass es vorteilhaft ist, wenn in demokratischen Gesellschaften möglichst viele an dem in dieser Gesellschaft produzierten Gütern teilhaben können, um keine sozialen Spannungen entstehen zu lassen".

Ihr Preisgeld – 20.000 Euro – spendete Klaar dem Verein Wiener Frauenhäuser. Rechtsanwälte-Präsident Rupert Wolff lobte sie für ihr soziales Engagement, ihre klare Sprache sowie dafür, dass sie als Teil der Zivilgesellschaft ihr Leben der Rechtsstaatlichkeit gewidmet habe.

Ausnahmezustand als Dauerzustand?

Im Zuge der Tagung waren Juristinnen und Juristen in vier Panels am Wort, es ging um Ausnahmezustand und Rechtssetzung in Krisenzeiten, Grundrechtsschranken und Rechtsschutz. Bei letzterem Punkt ist gegen Abend auch Verfassungsgerichtshof-Präsident Christoph Grabenwarter am Wort. Am Vormittag ging es um den Ausnahmezustand und die Frage, ob das Postulat des durch seine Rolle in der Naziherrschaft belasteten Rechtsphilosophen Carl Schmitt noch Gültigkeit habe, dass darin keine Rechtsordnung mehr bestehe.

Die Antwort von Anna Bettina Kaiser, Professorin für Öffentliches Recht in Berlin: Nein, denn Gesetze und Verordnungen seien in der Coronakrise ja massenweise erlassen worden. "Weder in Deutschland noch in Österreich gab es eine Suspendierung der Rechtsordnung", meinte sie. Was man aber sehr wohl erlebe, sei eine "Normalisierung des Ausnahmezustands".

Wer sich in die Coronaproteste einordne, finde diese Rechtsordnung nicht mehr legitim, warf Rechtsphilosoph Alexander Somek ein. Solche "verrückten Dinge" müsse man zulassen, solange die Betreffenden die Verfassungsordnung weiter anerkennen würden. Denn: Dahinter stehe immer eine politische Auseinandersetzung. "Die Demonstration der Verrücktheit kann gleichzeitig eine Form des Fundamentalprotests sein", unterstrich Somek: "Und weil wir eine liberale Demokratie sind, müssen wir auch dieses Schillern aushalten." (APA, 27.6.2022)