In den vergangenen Tagen haben zahlreiche Menschen gegen die Entscheidung des Supreme Court in den USA demonstriert.

Foto: REUTERS/Evelyn Hockstein

Es ist der Beginn einer neuen Zeitenrechnung in den USA: jener nach Roe v. Wade, das fast 50 Jahre lang "Law of the Land" gewesen war und Schwangerschaftsabbrüche etwa bis zum sechsten Monat ermöglicht hatte. Wie haben die Bundesstaaten auf die Entscheidung des Supreme Court vom Freitag reagiert? Was ist Betroffenen nun wo untersagt? Ein Überblick.

Frage: Was ist Roe v. Wade?

Antwort: Ein Grundsatzurteil aus dem Jahr 1973, das festgelegt hat, dass Abtreibungen bis zum Beginn der Lebensfähigkeit des Fötus (etwa 23. oder 24. Woche) nicht bestraft werden dürfen. 1992 wurde das Urteil bestätigt, das Gericht erklärte aber staatliche Vorschriften, die keine "unzumutbare Belastung" für die Schwangere darstellten, als zulässig. Seither testeten vor allem konservativ geführte Bundesstaaten diese "Belastungsgrenze" regelmäßig aus.

DER STANDARD

Frage: Am Freitag hat der Supreme Court Roe v. Wade gekippt. Sind Abtreibungen jetzt im ganzen Land verboten?

Antwort: Nein, die Entscheidung liegt bei den Bundesstaaten. In jenen, die demokratisch regiert sind, wird sich nicht viel ändern. Jene, die republikanisch regiert werden, planen oder haben bereits strengere Gesetze.

Frage: Wie ist die Lage in den Bundesstaaten derzeit?

Antwort: Viele republikanische Regierungen hatten bereits sogenannte Trigger Laws in der Schublade, die mit der Entscheidung des Supreme Court in Kraft getreten sind. Andere hatten Gesetze von vor 1973 parat, die sie wieder in Kraft gesetzt haben. Bisher wurden seit Freitag in neun Bundesstaaten (Alabama, Arkansas, Kentucky, Louisiana, Missouri, Oklahoma, South Dakota, Utah und Wisconsin) Abtreibungsverbote umgesetzt, wobei diese in Louisiana und Utah von Gerichten mittlerweile wieder blockiert wurden. Für sieben weitere Bundesstaaten wird schon bald ein Verbot erwartet (Idaho, Mississippi, North Dakota, Tennessee, Texas, West Virginia und Wyoming). In fünf Bundesstaaten sind jetzt Einschränkungen in Kraft oder werden bald erwartet (Arizona, Florida, Georgia, Ohio und South Carolina). Unklar ist die künftige Lage in neun weiteren Bundesstaaten, wo zum Teil erst Gerichte entscheiden müssen (Indiana, Iowa, Kansas, Michigan, Montana, Nebraska, North Carolina, Pennsylvania und Virginia).

Insgesamt wird geschätzt, dass etwa in der Hälfte der US-Bundesstaaten Abtreibung wieder illegal werden würde – dabei befürwortet die Mehrheit der US-Bevölkerung, dass Schwangerschaftsabbrüche in den meisten Fällen legal sind. Zahlreiche Menschen sind am Wochenende landesweit gegen Abtreibungsverbote auf die Straße gegangen.

Frage: Gilt in all diesen Bundesstaaten (dann) ein komplettes Verbot ohne Ausnahmen?

Antwort: Nein, in einigen gibt es Ausnahmen für einen bestimmten Zeitraum (etwa 15 Wochen in Arizona oder sechs Wochen in Ohio) und/oder in Fällen von Inzest oder Vergewaltigung. Für die Bundesstaaten Alabama, Louisiana, Kentucky, Arkansas, Missouri und South Dakota gilt dies aber zum Beispiel nicht.

Frage: Wie argumentiert die Mehrheit am Supreme Court?

Antwort: Das Argument ist, dass die US-Verfassung kein Recht auf Abtreibung vorsieht – wörtlich gesehen entspricht das auch der Wahrheit. Doch Kritikerinnen und Kritiker argumentieren mit dem 14. Zusatzartikel zur Verfassung, der vorsieht, dass kein Bundesstaat Gesetze erlassen oder durchführen darf, "die die Vorrechte oder Freiheiten von Bürgern der Vereinigten Staaten beschränken". Das Gegenargument hierzu lautet, dies gelte nur für Freiheiten, die "tief in der Geschichte und Tradition der Nation verwurzelt sind" – Abtreibung zählt nicht für alle dazu.

Frage: Wie sieht die durchschnittliche Person aus, die eine Abtreibung durchführen lässt?

Antwort: In den USA sind die meisten Betroffenen zwischen 20 und 30 Jahre alt, verdienen wenig, haben bereits eines oder mehr Kinder und treiben innerhalb der ersten sechs Wochen ab.

Frage: Welche Auswirkungen haben Abtreibungsverbote?

Antwort: Studien zeigen, dass Verbote Abtreibungen nicht stoppen. Sie drängen Schwangere zu illegalen Eingriffen – die unsicherer sind und sie in Lebensgefahr bringen können. Zugleich ist bekannt, dass Abtreibungen, wenn sie professionell durchgeführt bzw. begleitet werden, ungefährlich sind. Dass die Verweigerung einer Abtreibung Gesundheitsrisiken mit sich bringt, belegte zudem die sogenannte Turnaway-Studie, die zwischen 2008 und 2010 in den USA durchgeführt wurde: Demnach hatten jene, denen eine Abtreibung verweigert worden war, im Vergleich häufiger mit körperlichen und psychischen Gesundheitsproblemen zu kämpfen. Außerdem erlebten sie nach der Geburt des Kindes einen Anstieg der Haushaltsarmut, der mindestens vier Jahre lang anhielt. 95 Prozent von jenen, die eine Abtreibung hatten, gaben aber fünf Jahre nach dem Eingriff an, dass dies für sie die richtige Entscheidung gewesen sei. (Text: Noura Maan, Grafiken: Robin Kohrs, 28.6.2022)