Bild nicht mehr verfügbar.

Viele Erzählungen von Frauen bieten einen kleinen Ausschnitt der Arbeitsbedingungen in der Filmbranche.

Foto: Getty Images

#MeToo in Österreich: Ein Instagram-Post von Regisseurin Katharina Mückstein über Übergriffe hat vergangene Woche Machtmissbrauch und sexuelle Übergriffe thematisiert, losgetreten wurde eine Diskussion, die hierzulande noch immer nicht laut und nicht oft genug geführt wird. Geschichten gibt es genug, die unter der Hand erzählt werden. Aber Recherchen zum Thema #MeToo in Österreich verlaufen oft nach einem Muster: "Suchst du Geschichten vom Theater oder vom Film?", hört man, weil sie so dermaßen zahlreich sind, dass sie fast schon eigene Genres haben.

Es kommen auch Geschichten aus dem Literaturbetrieb oder der Kabarettszene dazu. Sexualisierte Übergriffe und Machtmissbrauch sind überall gang und gäbe. Was solche Gespräche noch gemein haben: Niemand möchte "on record" Namen nennen, zu groß ist die Angst der Betroffenen, der Täter könnte die erzählte Situation wiedererkennen und damit die Frau zuordnen, die über ihn gesprochen hat. Zu groß ist die Wahrscheinlichkeit in dieser überschaubar großen Branche mit überschaubar vielen Mitspieler*innen (und Aufträgen), dass man wieder zusammenarbeiten wird, in einer Arbeitswelt, in der Grenzüberschreitungen die Regel sind und nicht die Ausnahme. Und oft klebt die Story dann an den Erzählenden, nicht am Täter. Das Bestürzende, das alle Geschichten eint, ist die Schilderung einer Arbeitswelt, die Tätern ein perfektes Umfeld bietet.

If you can't stand the heat

Bei einem Filmdreh sind 60-Stunden-Wochen noch harmlos, es können auch deutlich mehr sein. Aber man beißt sich durch, nimmt unerträgliche Situationen in Kauf, denn alle Beteiligten wissen, in ein paar Wochen ist es vorbei. "Du kannst dich supergut totarbeiten in dieser Branche", erzählt mir eine junge Frau, die am Set im Laufe eines Jahrzehnts in fast allen Abteilungen gearbeitet hat. Hinzu kommt der langlebige Mythos von den Opfern, die man für die Kunst eben bringen muss, "das muss man aushalten, sonst ist man hier falsch", heißt es dann, wenn man ganz normal Grenzen setzen will, Aufopferung wird mystifiziert. "Wir sind alle eine große Familie" ist das Gefühl, das am Set vermittelt wird – tatsächlich führt diese Emotionalisierung von Arbeitsbeziehungen dazu, dass ein Gespräch über Übergriffe quasi verunmöglicht wird. Oder, wie eine Person aus der Branche sagt: "Wir wissen ja, dass auch der meiste Missbrauch in der Familie passiert." Oft sind zudem die Anfangsjobs in der Branche mies bezahlt. "Du hast vier Stunden Schlaf zwischen Dienstende und Dienstanfang und kriegst das absolute Minimum bezahlt."

Und: Alle wollen angeblich diesen Job, du bist ersetzbar, und die nächste junge Frau rückt nach. Die Kombination aus "Du musst alles geben", finanzieller Abhängigkeit und dem Gefühl, ein Sprechen über Übergriffe käme einem Verrat an der Familie gleich, ist ein perfektes Biotop für Täter, die ungestraft beim nächsten Projekt weiter ihre Nummer durchziehen können. Die Vereinzelung von schlecht bezahlten jungen Frauen am Set, die oft keine solidarischen Alliierten oder auch nur Ansprechpersonen in Machtpositionen haben, tut ihr Übriges. Es sind die ersten Jobs in der Branche, wo junge Frauen besonders verletzlich sind, egal ob vor oder hinter der Kamera. Sie könne die Male nicht mehr zählen, wo sie am Set sagen musste, "Du sagst zu mir net Schatzi, und du greifst mir nicht am Arsch", erzählt mir eine Frau.

Permanente Misogynie

Oft wird gerätselt, wo die jungen Frauen hinverschwinden, die in dieser Branche anfangen und auch die Hälfte der Uni-Absolvent*innen ausmachen. Es sind die prekären Arbeitsbedingungen und die permanente Misogynie, der sie ausgesetzt sind. "Du bist mit den Jahren total zermürbt, weil dauernd Querschüsse kommen, gleichaltrige Männer haben diesen Dauerstress nicht." Frauen verlassen diese Branche also nicht, weil sie "nicht so viel aushalten", sie hauen den Hut drauf, weil sie viel mehr aushalten müssen und dafür weniger Anerkennung, Lob und Jobs bekommen. Auch bei der Kunst gibt es letztlich so etwas wie Hausarbeit, und auch hier machen sie meistens Frauen, schlecht bezahlt. Und wenn eine junge Frau einen tollen Job bekommt, gibt es sofort zehn ältere Männer, die behaupten, sie hätten das eingefädelt. Frauen, die ihre Filme nicht produziert bekommen, werden auch noch Produzentin ihres eigenen Films. Auch in der Filmbranche ist Doppelbelastung an der Tagesordnung. Man kann anders arbeiten, sich eigene Strukturen schaffen, aber auch das muss man sich leisten können.

Es ist auch die fehlende Anerkennung, die Frauen anfällig macht: Ein beliebtes Muster für Übergriffe ist das Genre "Lass uns gemeinsam etwas machen", wo arrivierte Männer aus der Branche junge Frauen "fördern". Das Projekt kommt letztlich nicht zustande, aber man hat am Ende eine übergriffige Erfahrung gemacht. Und wie bei allen Mustern, über die man unter vorgehaltener Hand spricht, kommt wie aus der Pistole geschossen "Meinst du leicht den Dings mit der Dings?", aber nein, den meint man gar nicht, aber die Muster ähneln sich stark.

Bei #MeToo geht es letztlich um Macht. Und letztlich auch um Verteilungskämpfe, wie die Diskussionen über eine Frauenquote bei der Förderung sehr deutlich zeigen. Die Vorstellung, es handelt sich um einzelne "Harvey Weinsteins", wenn man so will, ist falsch. Natürlich gibt es auch beim österreichischen Film ältere Männer, die berufliche Dinge unbedingt im Hotelzimmer besprechen wollen und die Tür im Morgenmantel öffnen. Aber die Täter sind auch jung und gutaussehend, bekannt und beliebt. Und auch ein unbekannter Studentenfilmer kann sich schon am Set übergriffig verhalten. Und selbst wenn andere am Set ein ungutes Gefühl haben – wie reagieren? Verfilmt hier jemand seine selbstgecastete Sexfantasie, oder machen wir gerade alle gemeinsam große Kunst? Nimmt hier gerade jemand Schaden? "Ich hab manchmal das Gefühl, wir haben alle kollektiv Stockholmsyndrom", erzählt mir jemand.

Stell dich nicht so an

Das Problem "stirbt nicht aus", es ist in die Arbeitsstrukturen quasi eingebaut. Und es wird auch unterrichtet: Man soll mit der Hauptdarstellerin schlafen, damit sie macht, was man will, hört man da. Jemanden "brechen" nennt man das am Theater, wird mir erzählt. Auch an Ausbildungsstäten für Schauspiel soll der Wille der Studierenden gebrochen werden. Alles für die Kunst, versteht sich – der der freie Wille und die Fähigkeit, eigene Grenzen zu ziehen, angeblich im Weg stehen.

Was muss also her? Welche Werkzeuge gibt es, um diesen Missständen zu begegnen? Menschen müssen bereits zu Beginn der Ausbildung lernen, wie sie Übergriffe erkennen und Grenzen setzen können, damit sie nicht erst Jahre später emotionale Manipulationen erkennen und Muster brechen können. Es braucht sehr viel Mut, sich in dieser eng vernetzten Branche über sexualisierte Übergriffe (aber auch arbeitsrechtliche!) zu äußern. Betroffenen muss Glauben geschenkt werden, nicht ihre Erlebnisse heruntergespielt werden. Täter müssen bereits beim ersten Übergriff drastische Reaktionen erfahren, das Wegschauen und Schweigen ganzer Teams über viele Jahre ermöglicht erst, dass Täter über Jahre und Jahrzehnte weitermachen können. Es braucht Führungskräfte, die sofort intervenieren, wenn von Übergriffen berichtet wird. Und es braucht Menschen, die konsequente Gleichberechtigung und Diversität leben und umsetzen, in Machtpositionen. Denn in einem Umfeld, in dem systematisch Übergriffe stattfinden, muss der Kampf dagegen ebenfalls systematisch sein und kein zusätzlicher Job der Betroffenen, während die Täter anonym bleiben und ihre Alliierten weiterarbeiten wie immer. Es müssen andere Strukturen geschaffen werden, die Tätern ihr Vorgehen verunmöglichen.

Es muss klare Regeln geben, wie gearbeitet wird, um derzeit noch existierende Grauzonen wegzubekommen. "Intimitätskoordination" bei Sexszenen kann beispielsweise sicherstellen, dass sich beim Dreh alle Beteiligten wohlfühlen, vergleichbar der Stuntkoordination, die sicherstellt, dass physische Berührungen für alle "safe" ablaufen.

Ein Anfang ist genommen: Die Beratungsstelle #we_do! bietet Beratungen bei Übergriffen, Ungerechtigkeiten und Diskriminierungen an und begleitet Betroffene, wenn weiterführende Hilfe benötigt wird. Ab dem dritten Quartal 2022 soll die "Vertrauensstelle gegen Machtmissbrauch für die Bereiche Kunst, Kultur und Sport" kommen, sie berichtet auch an Förderstellen.

In einer dermaßen harten Branche brauchen junge Frauen Vorbilder, "dein Selbstbewusstsein in der Branche ist so abhängig davon", sagt eine Regisseurin. Erst wenn man sieht, wie Frauen es anders machen, traut man sich das selbst zu. Es fehlen zudem mächtige Produzentinnen in Österreich, die Regisseurinnen und Autorinnen den Rücken stärken können.

Wie Österreich sich selbst sieht

Derzeit werden auch Leute, über deren übergriffiges Verhalten viele Geschichten kursieren, weiter besetzt. Unternehmerisch wirkt es von außen völlig unverständlich: Die Besetzung einer Person, die bei gleicher Qualifikation die risikoreichere ist, kann nur als Statement verstanden werden, nimmt man doch eine mögliche Belastung oder Gefährdung des Teams und mögliche finanzielle Konsequenzen für die Produktion in Kauf.

Auch jetzt schon zählt zu den Empfehlungskriterien bei der Filmförderung "der Genderaspekt, die Berücksichtigung von Maßnahmen im Bereich Fair Pay sowie die Berücksichtigung der Diversität der Beteiligten" – das heißt, bei gleicher Qualifikation werden Projekte, die diese Aspekte beachten, vorgereiht. Die Bedeutung der gern verächtlich gemachten Kriterien ist riesig – immerhin hat diese Branche die Hoheit über die Bilder, wie wir uns als Land erzählen. Es geht letztlich darum, wie Österreich sich selbst sieht. Und das bedeutet eben mehr, als ab und zu eine Autorin ausbügeln zu lassen, wenn ein älterer Regisseur das mit den Frauenfiguren nicht so draufhat oder die Schublade von der "starken Frauenfigur" bedient werden muss.

So beeinflusst die ständige Benachteiligung von Frauen in letzter Konsequenz auch, wie Frauenfiguren im Kino und im Fernsehen aussehen. Dasselbe gilt natürlich auch für Menschen mit Behinderungen, für LGTBQ+-Personen, für Menschen mit Migrationshintergrund. Diversität vor der Kamera gibt es nur mit Diversität hinter der Kamera, bei der Besetzung der Förderungsinstitutionen und beim Drehbuch – und da geht es nicht nur um Kategorien wie Hautfarbe und ethnische Herkunft, Alter oder sexuelle Orientierung, sondern auch um körperliche Diversität, die hierzulande immer noch als "unbequem zu casten" gilt, was letztlich bestimmt, wer mit welchem Aussehen überhaupt Rollen und Hauptrollen bekommt.

"Wir erzählen Frauen, dass sie Hascherln sind, wir erzählen Menschen im Rollstuhl, dass sie comic relief sind, wir erzählen der Frau mit türkischen Wurzeln, dass sie die Putzfrau ist. Das, was dir an Geschichten erzählt wird, erzählt dir, was du sein kannst im Leben. Es muss uns jemand erzählen, dass wir eine Hauptfigur sein können", bringt es eine junge Frau auf den Punkt, und das gilt eben auch für die Akteur*innen dieser Branche selbst. (Julia Pühringer, 28.6.2022)