Angesichts des Angriffs fordert der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj erneut die Lieferung moderner Luftabwehrsysteme.

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Kiew/Moskau/New York – Nach dem russischen Raketenangriff auf ein Einkaufszentrum in der Ostukraine ist die Zahl der Toten auf 18 gestiegen. Das schrieb der Gouverneur des Gebiets Poltawa, Dmytro Lunin, am Dienstag auf Telegram. Die Rettungs- und Aufräumarbeiten in der Stadt Krementschuk liefen in der Nacht weiter. Nach jüngsten Angaben der ukrainischen Behörden wurden mindestens 18 Menschen getötet und 60 verletzt. Am Dienstagvormittag war von 36 Vermissten die Rede. Das Gebäude wurde zu großen Teilen zerstört.

"Die Besatzer haben mit Raketen auf ein Einkaufszentrum geschossen, in dem mehr als tausend Zivilisten waren", schrieb Präsident Wolodymyr Selenskyj auf Telegram. Er ersuchte den Westen mit Nachdruck um moderne Luftabwehrsysteme. Die Ukraine habe schon vor dem Krieg und direkt nach der russischen Invasion darum gebeten, betonte Selenskyj in der Nacht auf Dienstag. "Die Leute im Einkaufszentrum in Krementschuk verdienten die gleiche Sicherheit wie Leute in jedem Einkaufszentrum der Welt, ob irgendwo in Philadelphia oder Tel Aviv oder in einer Einkaufspassage in Dresden."

Russisches Militär widerspricht Ukraine

Das russische Militär bestätigte unterdessen den Angriff, bestritt aber, dass das Einkaufszentrum in Betrieb gewesen sei. Ziel des Angriffs seien Hallen gewesen, in denen Waffen und Munition aus den USA und Europa gelagert worden seien.

Die Detonation der Munition habe dann einen Brand "in einem nicht mehr betriebenen Einkaufszentrum" in der Nähe ausgelöst., teilte das russische Verteidigungsministerium am Dienstag mit. Die Ukraine hatte dagegen von einem Raketenangriff auf das Einkaufszentrum gesprochen und Russland dafür verantwortlich gemacht.

Trotz offensichtlicher Zerstörungen bestreitet Russland in dem seit mehr als vier Monaten andauernden Krieg immer wieder, zivile Ziele in der Ukraine anzugreifen – oder behauptet, dass diese nicht mehr genutzt werden. So sorgte beispielsweise Mitte März ein Angriff auf eine Geburtsklinik im südukrainischen Mariupol für Entsetzen. Russland erklärte damals, das Gebäude habe zu dem Zeitpunkt nur noch als Rückzugsort für ukrainische Kämpfer gedient. Die Ukraine sowie die Vereinten Nationen hingegen betonten, zum Zeitpunkt der Attacke seien dort Patienten behandelt worden.

Zweiter Raketeneinschlag in Sportstadion

In einem Video, das unter anderen Selenskyj verbreitete, war das brennende Gebäude mit dicken dunklen Rauchwolken zu sehen. Am Montagabend wurde der Brand örtlichen Behörden zufolge gelöscht. Die Rakete war am Nachmittag eingeschlagen. Angaben der ukrainischen Luftstreitkräfte zufolge sollen bei dem Angriff Luft-Boden-Raketen des Typs X-22 eingesetzt worden sein. Diese seien von Tu-22-Langstreckenbombern aus dem russischen Gebiet Kursk abgefeuert worden, hieß es. Der Sekretär des Sicherheitsrats, Olexij Danilow, sagte, dass eine zweite Rakete in ein Sportstadion eingeschlagen sei.

Selenskyj bezeichnete Russland nach dem Angriff als "größte Terrororganisation der Welt". Das müsse auch rechtlich festgestellt werden. "Und jeder auf der Welt muss wissen, dass es bedeutet, Terroristen Geld zu geben, wenn man russisches Öl kauft oder transportiert, Kontakte mit russischen Banken unterhält oder dem russischen Staat Steuern oder Zollabgaben zahlt", sagte Selenskyj.

Reaktionen beim G7-Gipfel

Die Attacke wurde im Westen verurteilt. Der G7-Gipfel drohte Russland mit Konsequenzen. "Wahllose Angriffe auf unschuldige Zivilisten sind Kriegsverbrechen. Russlands Präsident Putin und die Verantwortlichen werden zur Rechenschaft gezogen werden", hieß es in einer Erklärung der Gipfelteilnehmer am Montagabend.

"Der Angriff Russlands auf Zivilisten in einem Einkaufszentrum ist grausam", schrieb US-Präsident Joe Biden in der Nacht auf Dienstag auf Twitter. "Wir sind solidarisch mit dem ukrainischen Volk." Biden hält sich derzeit beim G7-Gipfel auf Schloss Elmau in Bayern auf.

Auch der britische Premierminister Boris Johnson verurteilte den Beschuss des Einkaufszentrums. "Dieser entsetzliche Angriff zeigt erneut, zu welchem Ausmaß an Grausamkeit und Barbarei der russische Staatschef fähig ist", meinte Johnson am Rande des G7-Gipfels.

Nehammer: Raketenangriffe unerträglich

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron bezeichnete den Anschlag als "absoluten Horror". Man teile den Schmerz der Familien der Opfer und die Wut über eine solche Schmach, schrieb der Staatschef am Montagabend in einem Tweet. Das russische Volk müsse die Wahrheit sehen.

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) betonte: "Die grausamen Raketenangriffe auf Zivilisten sind unerträglich. Ich verstehe nicht, wie man solche Verbrechen begehen kann. Das Blutvergießen muss endlich aufhören", forderte Nehammer am Montagnachmittag auf Twitter.

Die Ukraine wehrt sich seit mehr als vier Monaten gegen die russische Invasion. Die Vereinten Nationen haben bisher über 4.700 zivile Todesopfer erfasst, gehen aber wie die Regierung in Kiew von weitaus höheren Opferzahlen aus. (APA, 28.6.2022)