Im Gastblog analysiert der Forstwissenschafter Rupert Seidl die aktuellen Veränderungen des Bergwaldes und deren zukünftige Auswirkungen.

Wälder sind langsame Systeme. Sie unterliegen zwar – so wie alle Ökosysteme – einem permanenten Wandel, die Änderungen im Wald sind jedoch meist so gering, dass sie vom Menschen mit freiem Auge oft kaum wahrgenommen werden. So verändert sich zum Beispiel die Dicke von Baumstämmen jedes Jahr nur im Millimeterbereich.

Wenn man also regelmäßig durch denselben Wald spazieren geht, kann man (abgesehen vom jahreszeitlichen Wandel) den Eindruck gewinnen, der Wald sei unveränderlich. Jedoch ist genau das Gegenteil der Fall: Die für unsere Zeit so charakteristische "große Beschleunigung" macht auch vor dem Wald nicht halt.

Die "große Beschleunigung" beschreibt die immer schneller werdende Veränderung der Biosphäre durch den Menschen.
Foto: http://www.igbp.net/globalchange/greatacceleration.4.1b8ae20512db692f2a680001630.html

Wald im Wandel

Unser Wald ist aktuell einem starken Wandel ausgesetzt. Der bis heute beobachtete globale Temperaturanstieg beträgt bereits mehr als ein Grad Celsius, und der Alpenraum erwärmt sich deutlich stärker als der globale Durchschnitt. Als Folge des globalen Wandels steigt auch die Baummortalität. In Mitteleuropa haben sich seit den 1980er-Jahren Störungen im Wald in Form von abrupten Öffnungen des Blätterdachs verdoppelt.

Die Jahre 2018 bis 2020 waren diesbezüglich nochmals starke Ausreißer nach oben; mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit löste die Dürre dieser Jahre die größte Welle der Baummortalität in Europa seit mindestens 170 Jahren aus. Um die Auswirkungen dieser Umweltveränderungen zu verstehen, sind Großschutzgebiete wie Nationalparks von besonderer Bedeutung, da dort die Effekte des Klimawandels nicht durch menschliche Landnutzung überlagert sind.

Der Nationalpark als Freiluftlabor

Der Nationalpark Berchtesgaden (Deutschland) wurde 1978 gegründet und zeigt die Veränderung des Waldes seit Mitte der 1980er-Jahre. Dazu wurden wiederholt mehr als 130.000 Bäume auf knapp 4.000 Untersuchungsflächen beobachtet. Der Nationalpark bietet damit eine einzigartige Möglichkeit, die in den vergangenen Jahrzehnten abgelaufenen Veränderungen des Waldes zu verstehen. Bergwälder, wie sie in Berchtesgaden vorherrschen, verändern sich langsam, da die Wachstumsperioden im Gebirge kurz sind und harsche Bedingungen die Etablierung von Bäumen einschränken.

Detaillierte Untersuchungen der über die letzten Jahrzehnte gesammelten Waldinformationen zeigen jedoch, dass sich auch der Bergwald in den letzten Jahrzehnten deutlich gewandelt hat, hin zu dichteren und strukturell vielschichtigeren Beständen mit höherer Baumartenvielfalt. Bemerkenswert ist hierbei vor allem, dass sich die beobachteten Veränderungen über die vergangenen Jahrzehnte deutlich beschleunigt haben.

Der Bergwald befindet sich in einem Wandel, der immer schneller wird.
Foto: Rupert Seidl

Diese Beschleunigung konnte für eine Vielzahl von untersuchten Größen nachgewiesen werden und betrifft sowohl die Bestandsstruktur als auch die Baumartenzusammensetzung. Als wichtigste Triebkraft hinter der beobachteten Beschleunigung konnte der immer schneller voranschreitende Klimawandel festgemacht werden.

Zukunftsszenarien für den Bergwald

Wie geht es weiter? Zur Beantwortung dieser Frage wurde die Entwicklung des Nationalparks unter 22 verschiedenen zukünftigen Klimaszenarien in einem Computermodell simuliert. Dabei zeigte sich, dass sich die in der Vergangenheit beobachtete Beschleunigung auch in den kommenden Jahren und Jahrzehnten weiter fortsetzen wird.

Bis circa zur Mitte des 21. Jahrhunderts verstärkt sich der Trend zu dichteren, komplexeren und diverseren Wäldern in den Simulationen des Nationalparks Berchtesgaden. In der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts nähert sich die Waldstruktur dann jedoch einem dynamischen Gleichgewicht an, es bildet sich eine Balance aus alten und jungen, dünnen und dicken Bäumen.

Für die Baumartenzusammensetzung zeigt sich in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts ein je nach Klimaszenario unterschiedlicher Trend: Bei nur moderater Erwärmung von weniger als zwei bis drei Grad Celsius erreichen auch der Nadelholzanteil und die Baumartendiversität ein dynamisches Gleichgewicht.

Baummortalität durch Borkenkäfer. Solche Störungen werden den Wald der Zukunft prägen.
Foto: Rupert Seidl

In extremeren Klimaszenarien kommt es jedoch zu einer drastischen Reduktion des Nadelholzanteils durch die deutlich steigende Aktivität des Borkenkäfers und einem damit verbundenen weiteren Anstieg der Baumartenvielfalt. Detaillierte Analysen zu den Ursachen dieser Veränderungsmuster zeigten, dass vor allem die stark vom Klima abhängigen Störungen den zukünftigen Wald prägen werden.

Reduzierte Kohlenstoffspeicherung, erhöhte Lawinengefahr

Unsere Bergwälder befinden sich aktuell in einer Phase des intensiven Wandels, der sich in den kommenden Jahrzehnten noch weiter verstärken dürfte. Die abnehmende Kältelimitierung führt dazu, dass Gebirgswälder bunter werden und die natürliche Dominanz des Nadelholzes auch im Bergwald zurückgeht. Davon kann die Artenvielfalt im Wald profitieren.

Wichtige andere Waldfunktionen können von diesen Entwicklungen jedoch negativ beeinflusst werden. So besteht zum Beispiel ein Schutzwald, der menschliche Siedlungen effizient vor Lawinen schützt, zu einem hohen Anteil aus immergrünen Nadelbäumen, die durch den Klimawandel zunehmend in Bedrängnis geraten. Häufigere Öffnungen des Kronendachs durch Mortalität können das Habitat für manche Arten verbessern, reduzieren jedoch auch die Kohlenstoffspeicherung im Wald und somit dessen Klimaschutzfunktion.

Die "große Beschleunigung" im Wald stellt somit auch die Waldbewirtschafter:innen vor große Herausforderungen, da vielschichtige Anpassungen notwendig sind, um auch in Zukunft eine Vielzahl von Waldfunktionen nachhaltig für die Gesellschaft bereitzustellen. (Rupert Seidl, 29.6.2022)