Russland sitzt auf vielen finanziellen Reserven in Rubel, Euro und Dollar. Doch auf einen Teil kann das Land nicht mehr zugreifen – auch die Geschäftsfähigkeit mit dem Westen ist ob der Sanktionen stark eingeschränkt. Das bringt jetzt Investoren in Not.

Foto: dpa/Sven Hoppe

Staaten geben – so wie Unternehmen auch – oft Anleihen aus, um damit Geld einzunehmen. Staatsanleihen hat auch Russland begeben. Für diese Anleihen werden regelmäßig Zinszahlungen fällig. Nun warten Anleger seit Sonntag auf die Zahlung der aktuell anstehenden Zinsen.

Kann ein Staat seine Schulden nicht mehr bedienen, spricht man von einem Zahlungsausfall. Man sagt, dass das Land dann zahlungsunfähig ist. Bei Russland kommen aktuell aber die Sanktionen ins Spiel, die laut Russland die Auszahlung schwer machen, weil das Land zu großen Teilen vom internationalen Finanzkommunikationssystem Swift ausgeschlossen ist. Der russische Staatsfonds ist mit knapp 200 Milliarden Dollar gefüllt – Geld hat das Land also.

"Nicht unser Problem"

Dass die Zahlungen wegen Sanktionen blockiert würden, sei "nicht unser Problem", sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Montag laut der Agentur Interfax.

Dmitri Peskow, Sprecher des Kreml, wies darauf hin, dass es nicht Russlands Problem sei, wenn Zahlungen in den Westen blockiert würden.
Foto: imago images/ITAR-TASS

Die Ratingagentur Moody's hat wegen der nicht fristgemäß beglichenen Schulden bei internationalen Investoren nun einen Zahlungsausfall Russlands festgestellt. Konkret geht es um Zinszahlungen für zwei Staatsanleihen, die auch nach Ablauf einer Verzugsfrist von 30 Tagen nicht bei Gläubigern angekommen sind. Um eine Pleite im eigentlichen Sinne handelt es sich diesmal nicht. Aber was hier nun los, und was bedeutet das alles? Die wichtigsten Fragen und Antworten:

Frage: Wann ist ein Staat zahlungsunfähig?

Antwort: Grundsätzlich gilt ein Staat als zahlungsunfähig, wenn er seine Schulden nicht mehr bedienen kann, also Probleme mit der Zinszahlung oder der Schuldentilgung hat. Normalerweise treten solche Probleme auf, wenn Staaten über ihre Verhältnisse Geld ausgegeben haben und überschuldet sind oder aus sonstigen Gründen an Kreditwürdigkeit eingebüßt und ein Liquiditätsproblem haben. Typische Beispiele sind die frühere Staatspleite Argentiniens oder die Finanzprobleme Griechenlands während der Eurokrise ab dem Jahr 2010. Mit Russland verhält es sich aber ganz anders.

Frage: Was ist so besonders am russischen Fall?

Antwort: Russland ist aufgrund seiner Finanzlage eigentlich kein Fall für eine Staatspleite. Das Land verfügt über erhebliche finanzielle Mittel im In- und Ausland. Zudem ist der Staatsfonds prall gefüllt. Haupteinnahmequelle sind die großen Mengen an Rohstoffen, die Russland über die Jahre ins Ausland verkauft hat. Im Gegenzug hat das Land Devisen erhalten, also ausländische Währungen. Außerdem ist Russland im internationalen Vergleich nicht hoch verschuldet: Mit etwa 20 Prozent der Wirtschaftsleistung liegt die Schuldenquote deutlich niedriger als in vielen westlichen Industrieländern.

Frage: Warum hat Russland Probleme, seine Staatsschulden zu bedienen?

Antwort: Wichtigster Grund sind die scharfen Finanzsanktionen, die überwiegend westliche Länder wegen des Krieges gegen die Ukraine verhängt haben. Die Sanktionen schließen Russland und seine Banken faktisch vom Finanzsystem aus, das von westlichen Staaten dominiert wird. Ein erheblicher Teil der im Ausland lagernden Finanzreserven Russlands ist außerdem durch Sanktionen blockiert. Und US-Banken ist es inzwischen verboten, Zahlungen des russischen Staates an ihre Kunden weiterzuleiten. Diese Beschränkungen machen es Russland nahezu unmöglich, seine Gläubiger im Ausland zu bezahlen – obwohl die finanziellen Mittel eigentlich vorhanden wären.

Sonderkonstruktion für Auszahlung

Frage: Was tut Russland dagegen?

Antwort: Fällige Zinsen auf Staatsanleihen zahlt Russland weiter – allerdings nicht in Dollar oder Euro, sondern in Rubel. Dafür hat das Land ein neues Verfahren über seine Zahlungsstelle NSD eingerichtet. Das Problem ist jedoch, dass die Zahlungen von dort aus wegen der Sanktionen kaum an westliche Zahlungsstellen und damit an die westlichen Gläubiger weitergeleitet werden können. Strittig ist zudem die Zahlung in Rubel: Eigentlich sind Zinszahlungen bei Auslandsschulden in der Regel in US-Dollar oder Euro vorgesehen. Fachleute halten die Zahlung in der russischen Landeswährung daher für unzulässig.

Ratingagenturen achten auf die Zahlungsfähigkeit eines Landes. Im Fall von Russland können die Kreditwächter aber nicht wirklich aktiv sein, weil auch ihre Tätigkeit von den Sanktionen betroffen ist.
Foto: AFP / Joel Saget

Frage: Wer stellt fest, ob Russland zahlungsunfähig ist?

Antwort: Normalerweise ist das ein Fall für die Ratingagenturen. Die drei großen Bonitätswächter Standard & Poor's, Moody's und Fitch werden von Staaten und Kreditgebern bezahlt, um die Kreditwürdigkeit von Schuldnern zu beurteilen. Im Fall Russlands sind sie aber nicht aktiv, da Sanktionen der EU es ihnen verbieten, die Finanzlage zu bewerten. Moody's hat daher jetzt nur die nicht erfolgte Zahlung bewertet. Daneben gibt es das internationale Investorenkomitee CDDC, das aus großen Banken besteht. Es entscheidet bei Zahlungsproblemen, ob Kreditausfallversicherungen (CDS) fällig werden und die Käufer solcher Absicherungen Entschädigung erhalten. Ein solcher Fall kommt einem Zahlungsausfall und damit einer Staatspleite zumindest nahe.

Frage: Um welche Summen geht es aktuell?

Antwort: Die Summen sind vergleichsweise klein. Beispielsweise hat Russland es vor ein paar Wochen versäumt, im Zuge einer nachträglichen Zinszahlung auch Verzugszinsen in der Höhe von 1,9 Millionen Dollar (1,8 Millionen Euro) zu zahlen. Genau genommen handelte sich bereits hier um einen Zahlungsausfall des Staates. Bei den aktuellen Zinszahlungen geht es um deutlich höhere Summen. 29 Millionen Euro und 71 Millionen Dollar hätten an die Investoren fließen sollen. Gemessen an der Finanzkraft Russlands ist das aber noch immer wenig. So werden die gesamten – teilweise blockierten – Devisenreserven der russische Zentralbank aktuell mit knapp 600 Milliarden Dollar angegeben.

Völlig andere Lage

Frage: Ist die Situation mit vergangenen russischen Staatspleiten vergleichbar?

Antwort: Nein, die Ausgangslage ist eine ganz andere als bei Russlands vorherigem Staatsbankrott 1998. Damals waren die Ölpreise auf einem Tiefpunkt, und die Deviseneinnahmen Russlands aus den Rohstoffexporten reichten nicht aus, um die Schulden zu bezahlen. Diesmal hat Moskau genug Geld und bekundet auch den Willen, seine Schulden zu tilgen.

Frage: Was wären die unmittelbaren Folgen einer Zahlungsunfähigkeit für Russland?

Antwort: Da der Zahlungsausfall nicht mit akutem Geldmangel der russischen Regierung zu tun hat, sind die direkten Folgen erst einmal gering. Es ist nicht mit einer drastischen Rubelentwertung oder dem Kollaps des Bankensystems zu rechnen. Wird der Ausfall festgestellt, könnten Gläubiger von Russland aber die Rückzahlung aller Schulden verlangen – auch derer, die eigentlich noch nicht fällig sind.

Frage: Was wären die langfristigen Folgen einer Zahlungsunfähigkeit?

Antwort: Die könnten für Russland durchaus problematisch sein. Neue Anleihen kann Russland nicht aufnehmen. Die durch die Sanktionen eingeleitete Isolierung Moskaus vom globalen Finanzmarkt wird gefestigt. Möglicherweise ist auch das Eigentum russischer Staatsunternehmen im Ausland bedroht, beispielsweise von Gazprom. Kläger könnten vor Gericht diesen Besitz als Gegenleistung für entgangene Zinszahlungen einklagen.

Lage wird schon lange beobachtet

An den Finanzmärkten galt das Risiko schon seit Monaten als fest einkalkuliert, aber auch als überschaubar. Die Chefin des Internationalen Währungsfonds, Kristalina Georgiewa, bezeichnete das Engagement internationaler Banken in Russland bereits im März als "definitiv nicht systemrelevant". Dennoch ist es für Investoren nun mühsam, wenn sie nicht an ihr Geld herankommen. (dpa, bpf, 28.6.2022)