64.440 Namen österreichischer Jüdinnen und Juden, die von der NS-Diktatur ermordet wurden, sind in der Gedenkstätte vis-à-vis dem Landesgericht aufgelistet. Im Grauen Haus versucht ein Angeklagter den Geschworenen zu erklären, warum er sich nicht wiederbetätigt, wenn er "lustige Bilder" verschickt.

Foto: Andy Urban

Wien – Als "Andreas Wotan" war der 51-jährige Angeklagte im virtuellen Raum aktiv, unter seinem richtigen Namen Andreas L. auch in der analogen Wirklichkeit. Sowohl on- als auch offline soll sich der Unbescholtene im nationalsozialistischen Sinne wiederbetätigt haben, wirft ihm die Staatsanwältin bei seinem Geschworenenprozess unter Vorsitz von Claudia Zöllner vor.

Dass er dutzende einschlägige Nachrichten verschickt hat, auf die Innenseite seiner Eingangstür ein gelbes Hakenkreuz geklebt und die Büste eines Wehrmachtssoldaten in seiner Wohnung stehen hatte, gibt L. zu. Auch dass er an einer "nordischen Hochzeit" teilgenommen hat, zu der offenbar eine Hakenkreuzfahne und eine Kerze mit der Siegrune gehört, leugnet er nicht. Dennoch bekennt sich der wenig gesprächsbereite Angeklagte "nicht schuldig" – er habe keinerlei Absicht gehabt, sich wiederzubetätigen, erklärt er den Laienrichterinnen und Laienrichtern.

89 Anklagepunkte

Verteidiger Martin Mahrer hält die insgesamt 89 Anklagepunkte teilweise für überschießend. "Aus rein rechtlicher Perspektive ist der Tatbestand in den meisten Fällen erfüllt", gesteht er zu. Bei einzelnen Punkten versteht er aber die Anklagebehörde nicht. So wird L. auch vorgeworfen, Abbildungen der "Reichsflugscheibe" versandt zu haben – ein nach Überzeugung rechtsesoterischer Verschwörungsgläubiger ein von den Nationalsozialisten gebautes Flugobjekt, für dessen tatsächliche Existenz es keinerlei Beweise gibt. Durch Ufo-Glauben werde die NS-Diktatur aber nicht verherrlicht, ist Mahrer überzeugt.

L. selbst ist, wie erwähnt, wenig kommunikativ. Bereits bei der Überprüfung seiner Generalien macht er von seinem Recht Gebrauch, sich nicht dazu zu äußern. Auch auf Fragen der Prozessbeteiligten will er keine Antworten geben, er verliest lediglich eine "kurze zusammenhängende Erklärung", die zeigt, dass er sich als unschuldig verfolgtes Opfer sieht.

"In meiner Schulzeit habe ich viel über Demokratie und Menschenrechte gehört", beginnt er, und dass in Österreich entgegen zu Diktaturen wie Russland Meinungsfreiheit herrsche. Doch das stimme überhaupt nicht, deshalb "stehe ich hier vor einem Geschworenengericht", liest L. sitzend vor.

"Durch Polizei gequält"

Er werde "durch die Polizei gequält", ist er sich angesichts zweier Hausdurchsuchungen sicher. Allzu martialisch können die Beamten nicht aufgetreten sein: Bei einer der Amtshandlungen gelang es ihm, ein bereits konfisziertes Mobiltelefon wiederzuerlangen und dieses im Badezimmer auf die Werkseinstellungen zurückzusetzen. Übrigens erfolglos, Datenforensiker konnten den Inhalt doch wiederherstellen.

"Ich hatte niemals vor, mich im nationalsozialistischen Sinne zu betätigen", deklamiert der auch bei Organisationen wie Pegida, den Identitären oder der "Partei des Volkes" engagierte Angeklagte. "Eigentlich habe ich nur lustige und weniger lustige Bilder erhalten und versendet", das würden auch viele andere machen.

Was der Angeklagte unter Humor versteht, wird klar, als sich Vorsitzende Zöllner und ihre Beisitzer Eva Brandstetter und Christian Noe die eine Stunde dauernde Verlesung der 89 Fragen an die Geschworenen aufteilen. L. übermittelte beispielsweise Bildkombinationen von Juden in einem Vernichtungslager und Geldscheinen, die zu einem Ofen führen – samt der Aufschrift "Judenfalle". Ein anderes zeigte einen Aschehaufen, dazu den Text: "Das jüdische Mädchen Anne Frank." In einem Video ist ein Busfahrer zu hören, der auffordert: "Alle Ausländer müssen einsteigen, wir fahren nach Auschwitz." Angeklagt ist auch der Text: "Ein Volk, das sein Blut von Juden fernhält, wird ewig leben."

Dreijähriger Tatzeitraum angeklagt

Der angeklagte Tatzeitraum betrifft die Jahre 2015 bis 2018, dass es erst nun zur Verhandlung kommt, liegt auch daran, dass L. jede juristische Möglichkeit ergriff, gegen einzelne Verfahrensschritte Einspruch zu erheben. Trotz der langen Zeit für Ermittlungen bleiben aber Fragen offen – wo die Hütte ist, in der die auf Bildern dokumentierte "nordische Hochzeit" stattfand, fand die Polizei beispielsweise nie heraus.

Da er aber nicht nur seine "lustigen Bilder" verbreitet hat, sondern auch Abbildungen von Hitler, dem "Hitlergruß" und einschlägigen Symbolen, ist die Staatsanwältin in ihrem Schlussplädoyer überzeugt, in Kombination mit L.s Wohnungsdekoration könne man "zwangslos auf einen zumindest bedingten Vorsatz zur Wiederbetätigung schließen". Verteidiger Mahrer hat dem wenig entgegenzuhalten, er fordert nur die Geschworenen auf, einzelne der 89 Anklagepunkte freizusprechen, da nicht jeder Ausdruck rechter Gesinnung Wiederbetätigung sei.

Nach stundenlanger Beratung entscheiden sich die Geschworenen für einen nicht rechtskräftigen Schuldspruch in 35 Anklagepunkten, die Strafe sind drei Jahre, eines davon unbedingt. (Michael Möseneder, 28.6.2022)