Hirner: "Im Endeffekt scheitert es an Einschaltquoten. Das ist nicht nur bitter für die Sportart an sich, es ist auch im Sinne der Gleichberechtigung nicht verständlich, weil das IOC damit geworben hat, für Gleichberechtigung kämpfen zu wollen."

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Hirner: "Wenn wir jetzt aufgeben, dann schaut es auch für die Jungs nicht gut aus."

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Lisa-Maria Hirner muss pauken, sie maturiert gerade in ihrem dritten Fach (Englisch). Die Steirerin – eine Verwandtschaft mit dem gleichnamigen Redakteur wurde übrigens nicht überliefert – macht eine Lehre als Konstrukteurin mit Schwerpunkt Maschinenbau im nordischen Ausbildungszentrum Eisenerz und ist zudem mit anderen Baustellen beschäftigt: "Ich bin leider wegen Corona in Quarantäne. Es hat mich vergangene Woche in der Schule erwischt. Ich bin drei Tage gelegen, aber jetzt geht es wieder bergauf", sagt Hirner. Gewissermaßen bergab geht es mit ihrer erst seit vergangener Saison im Weltcup etablierten Sportart, nachdem sich das Internationale Olympische Komitee gegen eine Aufnahme ins Programm der Spiele 2026 entschied und damit Unverständnis erntete.

STANDARD: Kam die Entscheidung des IOC für Sie überraschend?

Hirner: Mit der Entscheidung hat definitiv keiner gerechnet, dass wir 2026 nicht dabei sind und nicht einmal für 2030 eine fixe Zusage bekommen. Es war im Moment einfach nur enttäuschend. Ich muss ehrlich sagen, dass ich ein bisserl mit den Tränen kämpfen musste. Es hat mich komplett überrumpelt, ich habe einfach so wie alle von uns etwas völlig anderes erwartet.

STANDARD: Ihre Reaktion?

Hirner: Ich habe mich gefragt, warum ich das überhaupt mache. Mein Ziel war vor allem Olympia, und das war mit einem Schlag weg. 2030 wäre schön, nur bin ich dann auch schon 26, und bis dahin kann viel passieren. Die Möglichkeit, dass ich doch nicht zu Olympia kommen könnte, hat mich komplett frustriert. Es war eine Mischung aus Grant, Frust und Enttäuschung. Jetzt möchte ich so schnell wie möglich wieder fit werden, damit ich wieder trainieren kann und damit wir ihnen zeigen, dass wir es verdient hätten, dabei zu sein.

STANDARD: Wie haben Ihre Kolleginnen reagiert?

Hirner: Wir haben miteinander telefoniert und uns darüber aufgeregt, was die Entscheidung soll. Es ist auch für die Athletinnen aus den anderen Ländern eine Welt zusammengebrochen. Wir haben alle miteinander gesagt, dass wir es trotzdem weiter durchziehen werden. Weil es kein gutes Bild abgeben würde, wenn wir uns jetzt alle hängen ließen. Und vor allem geht es ja nicht nur um uns, sondern um die gesamte Sportart.

STANDARD: Die Vorbereitung auf Olympia beginnt Jahre davor. Inwieweit hatten Sie schon für die Spiele in Mailand und Cortina geplant?

Hirner: Olympia ist für alle Sportler das Ziel. Da geht es nicht nur um die gezielte Vorbereitung, die zwei Jahre davor beginnt. Sie fängt viele Jahre früher an, weil man sich im Kopf darauf vorbereitet. Es ist das Ziel, wofür man Tag für Tag trainiert. Wenn dir dieses Ziel aus eigentlich unerklärlichen Gründen genommen wird, dann ist das schon bitter.

STANDARD: Haben Sie überlegt, sich etwa auf Skispringen oder Langlaufen zu spezialisieren?

Hirner: Natürlich gehen mir solche Gedanken durch den Kopf. Aber es hat einen Grund, warum ich in der Nordischen Kombination starte. Weil mir das Langlaufen taugt und weil ich auch das Skispringen brauche. Es fällt mir daher nicht leicht, einfach zu einer anderen Sportart zu wechseln. Im Moment kommt das für mich ohnehin nicht infrage, weil wir ja trotzdem einen coolen Kalender haben mit den Weltcupbewerben und der Weltmeisterschaft in Planica – auch wenn es den bitteren Beigeschmack hat zu wissen, nicht zu Olympia zu fahren. Ich werde aber trotzdem bei diesem Sport bleiben und weiterkämpfen. Wenn wir jetzt aufgeben, dann schaut es auch für die Jungs nicht gut aus.

STANDARD: Dass Sie bei den Olympischen Jugendspielen 2020 in Lausanne bereits Gold geholt haben, dient aktuell wohl nicht als Trostpflaster.

Hirner: Ich bin damals mit geringen Erwartungen hingefahren und dann mit zwei Goldmedaillen heimgefahren. Das war der Moment, der den Wunsch verstärkt hat, auch bei Olympia einmal ganz oben zu stehen.

STANDARD: Hinsichtlich einer Aufnahme ins Olympiaprogramm 2030 heißt es, dass eine Weiterentwicklung bei Vielfalt der Teilnehmer und beim Zuschauerinteresse maßgeblich sei. Ein Vorwurf lautete, dass im Weltcup nur Athletinnen aus zehn Nationen, quasi nur aus Europa, teilnehmen. Ein berechtigter Einwand?

Hirner: Diese Aussage ist falsch. Sie wurde leider erst im Nachhinein wieder zurückgenommen. Ich hätte nichts davon gehört, dass Länder wie die USA oder Japan seit neuestem zu Europa gehören. Man muss bedenken, dass es für uns Mädels eine sehr junge Sportart ist. Es gibt sie erst seit zwei Jahren. Die meisten Leute wissen gar nicht, dass auch Mädels diesen Sport ausüben. Und bei Olympia sollte es rein um den Sport und die Sportler an sich gehen. Dafür ist Olympia da. Um Geld, Sponsoren und Einschaltquoten dreht es sich ohnehin das ganze Jahr im Weltcup.

STANDARD: Der Beschluss ist auch insofern überraschend, als sich das IOC die Gleichstellung der Geschlechter auf die Fahnen geheftet hat.

Hirner: Die Fis und alle nationalen Organisationen haben sich dafür eingesetzt, dass unser Sport gepusht wird. Es ist wirklich schnell gegangen. Mit der ersten Teilnahme bei der WM vor zwei Jahren, mit einem vollen Weltcupkalender. Und wir haben von allen Seiten positive Rückmeldungen bekommen, auch auf Olympia hin. Im Endeffekt scheitert es an Einschaltquoten. Das ist nicht nur bitter für die Sportart an sich, es ist auch im Sinne der Gleichberechtigung nicht verständlich, weil das IOC damit geworben hat, für Gleichberechtigung kämpfen zu wollen.

STANDARD: Hat die Entscheidung des IOC Auswirkungen auf Ihren weiteren Karriere- und Lebensplan?

Hirner: Man muss abwarten, wie es sich entwickelt. Ich mache mir Gedanken, was wäre, wenn es sich nicht so entwickelt, wie ich mir das vorstelle. Aber es hat eh jeder Sportler einen Plan B. Von dem her lasse ich es auf mich zukommen und plane eher kurzfristig.

STANDARD: Ihr Plan B?

Hirner: Ich würde gerne studieren. Mich interessieren Psychologie oder auch Medizin sehr. Das sind aber anspruchsvolle Studien, die sich nicht so gut mit dem Sport verbinden lassen. Mich würde auch die Alpinpolizei interessieren. Aber definitiv nichts, wo ich ewig lang im Büro sitzen müsste. Ich möchte etwas mit Action machen. (Thomas Hirner, 28.6.2022)