Tadej Pogačar (links) blickt seinem dritten Tour-Titel entgegen. Aber Jonas Vingegaard (rechts) will mehr als nur das Hinterrad des Slowenen.

Foto: AFP / Thomas Samson

Der Etappenplan.

Grafik: APA

Ein gealterter Skispringer, ein Wunderkind und ein Fischhändler gehen in eine Bar: So beginnt nicht irgendein halbseidener Witz. Es ist das Setting für das wahrscheinlich größte Radspektakel des Jahres – die Tour de France. Der Skispringer ist der Slowene Primož Roglič. Das Wunderkind: sein Landsmann Tadej Pogačar. Und der Fischhändler, das ist der dänische Shootingstar Jonas Vingegaard. Die Pointe kennen wir am 24. Juli – wenn wir wissen, ob und wer von den drei Topfavoriten die am Freitag im dänischen Kopenhagen beginnende große Schleife gewonnen hat. Verderben könnte den Spaß eine alte Bekannte namens Corona.

Dass die Namen Pogačar und Roglič hoch angeschrieben sind, birgt wenig Überraschungspotenzial. Der 23-jährige "Pogi" gewann für sein aus den Vereinigten Arabischen Emiraten finanziertes Team UAE die letzten zwei Austragungen der Tour. Bei der Slowenien-Rundfahrt vor zwei Wochen demütigte er die Konkurrenz nach Belieben. Auf der vierten Etappe war er mit seinem Teamkollegen Rafał Majka dem Feld so mühelos entfleucht, dass die beiden auf der Zielgerade per Schere, Stein, Papier ausschnapsten, wer den Tagessieg mitnehmen durfte (Majka gewann).

MrJani0951

Pogačars erster Verfolger ist Primož Roglič. Der 32-Jährige, der erst eine Laufbahn als Skispringer einschlug, um dann in den Radsport zu wechseln, siegte heuer bei Paris–Nizza und der Dauphiné-Rundfahrt mit vergleichbarer Dominanz. Der Haken: Dort war Pogačar nicht am Start. Zudem hat Roglič keine gute Beziehung zur Tour de France: Als Kapitän seiner niederländischen Mannschaft Jumbo Visma scheiterte er 2020 – an Pogačar. 2021 schied er wegen einer Verletzung aus.

Dänischer Kronprinz

Und hier kommt der dritte Mann auf der Liste ins Spiel: Noch vor einem Jahr war der 25-jährige Däne Jonas Vingegaard bestenfalls Insidern ein Begriff. Doch als sich bei der Vorjahres-Tour abzeichnete, dass sein Leader Roglič nicht ins Geschehen würde eingreifen können, schickten die sportlichen Leiter den schmalen Blonden in den Ring. Prompt wurde er Zweiter. Heuer erklärt ihn Jumbo Visma gleich vorab zum Co-Leader, gemeinsam mit Roglič. Man weiß um dessen Hang zu mentalen Einbrüchen, wie 2020, als er auf der entscheidenden vorletzten Etappe zwei Minuten auf und das gelbe Trikot an Tadej Pogačar verlor. Kommt ähnliches wieder vor, kriegt Vingegaard den Freibrief.

Ob die Harmonie zwischen Primož Roglič (links) und Jonas Vingegaard (rechts) auch hält, wenn's um Siege bei der Tour geht, wird sich weisen.
Foto: imago / Vincent Kalut

Vingegaard ist ähnlich jung wie Überflieger Pogačar. Das war's dann aber auch schon mit den Gemeinsamkeiten. Während Pogačar bereits mit 20 bei der Spanienrundfahrt Etappensiege sammelte wie andere Bierdeckel, arbeitete Vingegaard neben seiner Existenz als Berufsradler lange in einer dänischen Fischfabrik. Er wusste selbst nicht, ob es je für mehr reichen würde. Während Pogačar praktisch mit dem ersten ernstzunehmenden Gehaltszettel aus den Emiraten zu den Schönen und Reichen nach Monaco zog, renovierte Vingegaard mit Freundin und Kind ein Haus an der norddänischen Küste. Die ersten drei Tageswertungen der diesjährigen Tour sind für ihn folglich ein Heimspiel. Es warten Wind und Wetter, französisches Flair kommt erst danach. Was Vingegaard gegenüber Pogačar und Roglič zum Verhängnis werden könnte ist eine leichte Schwäche im Zeitfahren.

Der beste Rest

Nebenrollen im Rennen ums Gesamtklassement spielen etwa der unter neutraler Flagge fahrende Russe Alexander Vlasov (Bora Hansgrohe), der Brite Geraint Thomas (Ineos Grenadiers) oder Romain Bardet (DSM). Auf letzterem ruhen wie schon so oft die Hoffnungen der Franzosen auf den ersten heimischen Toursieger seit Bernard Hinault 1985 – doch fehlte ihm dazu stets die Konstanz.

Aus Österreich am Start sind Sebastian Schönberger (B&B Hotels KTM), Michael Gogl (Alpecin Deceuninck), Gregor Mühlberger (Movistar), Marco Haller, Patrick Konrad und Felix Großschartner (alle Bora Hansgrohe). Sie werden vornehmlich treue Helferdienste für ihre jeweiligen Kapitäne leisten, Schönberger der Außenseiterrolle seiner Mannschaft gemäß sein Heil in Fluchtgruppen versuchen. Patrick Konrad, letztjähriger Etappensieger, muss warten, welche Freiheiten ihm sein Team heuer einräumt. Von großem individuellen Erfolg blieb seine Saison bislang verschont. Der jüngst zum Staatsmeister gekrönte Großschartner zeigt sich etwas besser in Schuss.

Neo-Staatsmeister Felix Großschartner zeigt sich heuer vor allem im Zeitfahren stark. Bei der Tour wird er primär seinen Kapitän Alexander Vlasov unterstützen.
Foto: EPA / Gian Ehrenzeller

Am Ende aber könnte ohnehin jede Prognose Makulatur sein. Bei der Tour de Suisse vor zwei Wochen erreichte wegen eines Corona-Ausbruchs nur das halbe Fahrerfeld das Ziel. Wiederholt sich Ähnliches während der drei Wochen in Frankreich, ist der Spaß bald vorbei. Ebenso humorlos war übrigens auch die Polizei, die am Montagabend die Hotelzimmer des Teams Bahrain Victorious in Kopenhagen filzte. Nähere Hintergründe wurden vorerst nicht bekannt. Sollte die Tour allerdings auf einen Dopingskandal zusteuern, dann wäre das von allen möglichen Pointen die schlechteste. (Michael Windisch, 29.6.2022)