Nun bestätigte er seine Ansichten noch einmal deutlich im zentralen Printorgan des russischen Staats.

Höller

Jahrzehntelang hatte sich Michail Piotrowski als liberaler Vorzeigeintellektueller in staatlichen Diensten positioniert. In einem programmatischen Interview outete sich der prominente Chef der Sankt Petersburger Eremitage vergangene Woche nun jedoch als Befürworter des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine. Er verdeutlichte damit die Radikalisierung von Kreml-nahen Eliten, die den Glauben an Kompromisse mit dem Westen sichtlich aufgegeben haben.

"Einerseits ist Krieg Blut und Mord, andererseits ist er Selbstbehauptung von Menschen und der Nation", erklärte er der staatlichen Rossijskaja Gaseta. An anderer Stelle hieß es: "Wir sind alle Militaristen und Anhänger des Imperiums (lacht)." Piotrowski hatte sich zuvor über eine "Attacke" gegen sein Land auf kulturellem Gebiet beklagt: Auf Befehl seien im Westen alle Verbindungen gekappt worden. Ausführlich war im Interview die Rede von "cancel culture" – jedoch nur im Ausland. Dass in Russland zahlreiche Kulturschaffende, die sich seit dem 24. Februar gegen den Krieg positionierten, de facto mit einem Ausstellungs- oder Auftrittsverbot belegt sind, bleibt unerwähnt.

Angriff der Kultur

Er habe nie erwartet, in liberalen westlichen Zeitungen zu lesen, dass die Eremitage eine imperiale Ideologie propagiere und ihr deshalb keine Bühne geboten werden solle, sagte er. Gleichzeitig beschrieb er die Auslandsaktivitäten seines auf westliche Kunst spezialisierten Museums just ausgerechnet mit Worten, die Russlands Mächtige für den Krieg gegen die Ukraine verwenden: Die letzten Ausstellungen seien ein "mächtiger Angriff der Kultur" und "eine Art Spezialoperation" gewesen – vielen habe dies nicht gefallen. "Aber wir greifen an. Und wir lassen unseren Angriff von niemandem stören", erklärte er.

Wut und Opportunismus

Während Vertreter der russischen Kulturszene die Äußerungen damit erklärten, dass der Museumsdirektor über das Verhalten langjähriger internationaler Partner verärgert sei, kommt diese Positionierung für genaue Beobachter nicht überraschend: Der 77-jährige Piotrowski, der Sohn des langjährigen Eremitage-Direktors Boris Piotrowski ist, seit Juli 1992 selbst im Chefsessel des Museums sitzt und dessen Sohn Boris seit 2021 als Vizegouverneur von Sankt Petersburg für Kultur zuständig ist, agierte stets wie ein opportunistischer Bürokrat.

Als dies nach dem Zusammenbruch der UdSSR nicht mehr angesagt war, verschwand etwa seine Karriere als KP-Sekretär eines Forschungsinstituts aus der offiziellen Biografie. In vergleichsweise liberalen Zeiten schrieb er 2007 im Vorwort zu Kriegsmemoiren eines Eremitage-Mitarbeiters, dass Kriege wie im 20. Jahrhundert nicht mehr vorkommen dürften, weil allen sonst das Ende drohe.

Putins Unterstützer

Als jedoch ein zunehmend militaristischer Wladimir Putin 2018 im Präsidentschaftswahlkampf neue Vernichtungswaffen vorstellte, saß auch Piotrowski als Unterstützer im Saal. Er habe bei dieser Präsentation wahrscheinlich auch geklatscht, erzählte der wichtigste Museumsdirektor seines Landes auf Nachfrage des STANDARD damals und schwadronierte, dass Raketen doch eine "Erweiterung des Raums der Freiheit und der Kultur" seien. (Herwig G. Höller, 28.6.2022)