Der Eindruck, dass Online-Recherchen sicherer sind als Feldstudien, ist trügerisch: In manchen Ländern ist die digitale Überwachung stark ausgeprägt und wird zur Verfolgung von Forschenden eingesetzt.

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Die Freiheit der Wissenschaft ist ein hohes Gut, das man in hiesigen Breiten für selbstverständlich hält. Das ist weltweit jedoch keineswegs der Fall: Insbesondere Sozialwissenschafter, die Feldforschung in autoritär regierten Staaten betreiben, wird die Arbeit und viel mehr noch das Leben schwergemacht: Zum einen fällt es dort häufig nicht leicht, Menschen zu finden, die sich trauen, die Fragen der Wissenschaft zu beantworten. Zum anderen sind auch die Forscherinnen und Forscher selbst immer wieder Repressalien der jeweiligen Regime ausgesetzt.

2018 verhafteten beispielsweise die Behörden in Dubai den britischen Doktoranden Matthew Hedges bei einem Forschungsaufenthalt wegen angeblicher Spionagetätigkeit. Nach einer Verurteilung zu einem Vierteljahrhundert Haft wurde er ein halbes Jahr später begnadigt und aus der Haft entlassen. Der Italiener Giulio Regeni bezahlte seine Recherchereise sogar mit dem Leben. Er wurde 2016 in Kairo ermordet aufgefunden. Der Fall wurde bis heute nicht aufgeklärt. Jedoch halten Menschenrechtsorganisationen und italienische Ermittler ägyptische Sicherheitskräfte für die Drahtzieher.

Student aus Wien angeklagt

Im Land am Nil sitzt derzeit auch ein Wissenschafter aus Wien im Gefängnis: Bei einem Familienbesuch wurde Ahmed Samir Santawy, Anthropologiestudent an der Central European University (CEU), im vergangenen Jahr inhaftiert. Der Vorwurf: Verbreitung von Falschmeldungen auf Social Media. Das Urteil: vier Jahre Haft. Die Strafe wurde zwar inzwischen vermutlich aufgrund internationaler Proteste im Februar annulliert. Samir Santawy wird jedoch weiterhin der Prozess gemacht. Die mehrfach verschobene erneute Urteilsverkündung wurde nun für den 4. Juli angesetzt.

Die Anklage deutet daraufhin, dass der Doktorand, der über Frauenrechte in Ägypten promoviert, eher wegen Äußerungen in sozialen Netzwerken als durch seine Forschung in den Fokus der ägyptischen Behörden in seiner Heimat geraten ist. "Das Regime ist sehr besorgt über die Aktivitäten von Staatsbürginnen und Staatsbürgern, die im Ausland studieren", berichtet Samirs Dissertationsbetreuerin Dorit Geva, Professorin am Institut für Soziologie der CEU.

Daher stehen Ägypter auch in der Ferne unter Beobachtung — vor allem in den sozialen Medien. Sobald sie wieder in der Heimat sind, werden ihnen systemkritische Äußerungen zum Verhängnis. Und solche Verfolgungen nehmen inzwischen sogar noch zu, konstatiert Jannis Julien Grimm vom Zentrum für interdisziplinäre Friedens- und Konfliktforschung an der Freien Universität Berlin: "Während des vergangenen Jahres haben nicht nur Ägypten, sondern auch andere autokratische Autoritäten wiederholt ausgetestet, wie weit sie bei der Unterdrückung von Wissenschaftern im Ausland auch gegenüber den jeweiligen Regierungen gehen können."

Zurückhaltende Politik

In Berlin traf es zum Beispiel Grimms Kollegin Alia Mosallam, die bei der Landung in Kairo festgesetzt wurde und erst nach Protesten auf Kaution wieder freigelassen wurde. Der Einspruch kam aber eher aus der Zivilgesellschaft und der wissenschaftlichen Community als von der Politik. "Die Reaktion der deutschen Regierung oder im Fall von Samir der österreichischen fiel schwach aus", kritisiert Grimm.

"Diese transnationale Repression kritischer Forscher hat keine wesentliche Veränderung der deutschen und europäischen Außenpolitik bewirkt." Und die Zurückhaltung der Politik hat Folgen: Als Konsequenz daraus schwächen laut Grimm viele Akademiker aus dem Nahen Osten— zumindest die, die eine Rückkehr planen — ihre Publikationen ab oder zensieren sich selbst.

Andere haben ihren Fokus sogar ganz auf andere Länder verlegt. Vielen sei es das Risiko eben nicht wert: "Warum soll man das eigene Wohlergehen oder das der Familie riskieren für einen Artikel im akademischen Exil, dessen Chancen marginal sind, die Karriereaussichten zu verbessern?"

Der Druck in diesen Ländern ist Grimm zufolge vor allem durch den Arabischen Frühling gestiegen: Zuvor billigten die Regime häufig kritische Forschung als Aushängeschilder gegenüber der internationalen Gemeinschaft. Seit der weitreichenden Protestbewegung im arabischen Raum vor zwölf Jahren werden sozialwissenschaftliche Untersuchungen aber als Triebfeder für Veränderung und Protest angesehen und daher vermehrt behindert und unterdrückt.

Forschung aus der Ferne

Das macht vor allem die Feldforschung vor Ort immer komplizierter. So ist der Aufwand bei der Vorbereitung solcher Recherchen enorm gestiegen. Aber vor allem der Schutz der Forschungsteilnehmer und damit einhergehend die Quellenpublikation werde deutlich herausfordernder. "Im heutigen Nahen Osten können viele von uns die Anonymität und den Schutz unserer Forschungspartner aufgrund der gestiegenen Überwachung nicht mehr garantieren." Diese Entwicklung habe zur Folge, dass nun viele Recherchen wieder vermehrt aus der Distanz — vor allem mit digitalen Werkzeugen — durchgeführt werden. Die Pandemie hat diesen Trend noch verstärkt.

Die Forschungsarbeit aus der Entfernung habe zwar den Vorteil, dass sie den Wettbewerb fairer mache: Besser finanzierte oder erfahrenere Forschende sind nun weniger im Vorteil. Dass die Online-Recherche für mehr Sicherheit aller Beteiligten sorge, sei aber trügerisch, da hierbei viel Material digital zugänglich sei — möglicherweise auch für jene, die lieber keinen Zugriff auf diese Daten haben sollten.

Grimm: "Das ist problematisch in Ländern, in denen die staatliche Überwachung so zügellos ist wie etwa in Ägypten. Wissenschaftliche Arbeit erfordert da häufig weniger statt mehr Datensätze und aufgezeichnete Kommunikation." Auf diesem Forschungsfeld kann schließlich jeder Beleg der Quelle fatal sein. (Johannes Lau, 2.7.2022)