Mann im Rampenlicht: Martin Kušej trat 2019 als großer Erneuerer am Burgtheater an. Er will eine zweite Periode dranhängen. Seine bisherige Bilanz ist aber durchwachsen.

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Im Herbst wird der Posten des Burgtheaterdirektors neu ausgeschrieben. Amtsinhaber Martin Kušej will sich für eine zweite Runde (ab 2024) bewerben und gab sich bei der Spielplanpressekonferenz vor wenigen Wochen entschlossen: "Ich bin hier noch nicht fertig!" Vor drei Jahren ist er mit der Ankündigung angetreten, aus dem Burgtheater ein europäisches Nationaltheater machen zu wollen. Vielsprachigkeit war ihm ein Anliegen, ebenso ein Ensemble mit internationaler Färbung. Was ist aus den Plänen geworden? Welche Erfolgsmomente gab es? Wie hat die Pandemie der Kunst geschadet? Eine Zwischenbilanz der ersten drei Jahre.

Ensemble

Mit Kušej zog das bisher wohl internationalste Ensemble in das Haus am Ring. Aus Island, den Niederlanden, Israel oder Ungarn stammten die Schauspielerinnen und Schauspieler zum Auftakt 2019. Die Ansprüche an ein diverses Ensemble waren hoch und wurden eingelöst. Doch diese Pläne sind spürbar zum Erliegen gekommen. Acht Schauspieler verlassen mit Saisonende das Haus. Ist es nicht mehr attraktiv, am Burgtheater zu spielen, wenn Netflix ruft? So wird es jedenfalls schwierig, den von Kušej im Vorfeld hochgehaltenen Ensemblegeist zu pflegen.

Spielpläne

Dem europäischen Dramenkanon war das Haus – trotz seines "Teutschen Nationaltheater"-Status – stets verpflichtet. Der Spanier Calderón und der Franzose Molière blicken festgespachtelt runter von der Ringtheaterfassade. So neu war die Ansage eines europäischen Theaters also nicht. Auch waren mit dem Nature Theater of Oklahoma oder mit Jan Lauwers’ Needcompany schon zu Zeiten Matthias Hartmanns nichtdeutsche Compagnien ans Haus gebunden. Was also war bisher das neue Europäische unter Kušej?

Kušej hat den Spielplan jedenfalls geöffnet, Autorinnen entdeckt sowie Theatermacherinnen hereingeholt, die frischen Wind bringen sollten und dies teils auch getan haben: Tiit Ojasoo und Ene-Liis Semper, Thorleifur Örn Arnarsson, Robert Icke oder das irische Theaterduo Dead Center wären da zu nennen. Die Arbeit der Belgierin Anne-Cécile Vandalem fiel dem allerersten Lockdown zum Opfer.

Blickt man auf den kommenden Spielplan 2022/23, so birgt dieser keine solchen Überraschungen mehr. Im Großen Haus inszenieren alte Bekannte: Simons, Fritsch, Lanik, Kraft, Kušej sowie Koležnik und zum ersten Mal Ivo van Hove. Im Hinblick auf Stoffe könnte neben Shakespeare, Horváth, Raimund, Kehlmann, Dostojewski, Thomas Mann und Marieluise Fleißer das Familienepos Drei Winter der kroatischen Autorin Tena Štivičić interessant werden. Neue und junge Dramatik muss man aber mit der Lupe suchen. Ein Trend, mit dem nicht nur die Burg zu kämpfen hat.

Pandemie

Mit Digitalisierung konnte das Burgtheater in Lockdownphasen wenig anfangen. Zwar gab und gibt es nach wie vor Lesungen und Gesprächsformate begleitend zum Spielplan, aber Inszenierungen wollte das Haus nicht online anbieten. Mit Ausnahme der Silvesterpremiere Die Maschine in mir und des einmaligen Richard II-Streams hielt das Burgtheater fertig geprobte Inszenierungen zurück. Da gab es in manchem Stadttheaterbetrieb mehr Bemühen um das Abopublikum; das Burgtheater erschien träge.

Frauenquote Bekanntlich gibt es keine Quote, dennoch wird darauf geachtet. Das Burgtheater hat hier unter Kušej einen Riesenschritt gemacht und geradezu mustergültig Autorinnen und Regisseurinnen an Land gezogen. Zugegeben: Die beiden innerstädtisch mitkonkurrierenden Bühnen Theater in der Josefstadt und Volkstheater, die jeweils unterirdische Frauenquoten haben, machen es Kušej leicht. Die Wiederentdeckung von Autorinnen wie Anna Gmeyner und Maria Lazar kann sich der Direktor jedenfalls zu Recht auf die Fahnen heften.

Flops

Insgesamt ist das Burgtheater heute verwechselbarer geworden als noch 2019/20. Vieles ist nicht aufgegangen, auch wenn die Pläne einleuchtend und vielversprechend klangen – so etwa der hohle Gigant Dies Irae aus der ersten Spielzeit, Pelléas und Mélisande (2021) oder jüngst der kunstgewerblich versandete Troerinnen-Abend von Adena Jacobs.

Highlights

Einige Höhepunkte blieben aber in Erinnerung. So waren 2020 Jelineks Schwarzwasser ein heiß enträtseltes Vexierbild-Theater und Automatenbuffet auf ganzer Linie ein Überraschungserfolg. Auch hatte Castorf für Zdenek Adamec den Dreh raus, und Maria Stuart mit Birgit Minichmayr und Bibiana Beglau konnte überzeugen. Ein vielfach unterschätztes Highlight war Die Ärztin nach Schnitzlers Professor Bernhardi, ein raffiniert nachgebautes Konfliktnetzwerk um identitätspolitische Zuschreibungen. Es bleibt im Repertoire. (Margarete Affenzeller, 29.6.2022)