Österreichs OMV muss an ihren Tankstellen die Treibhausgase reduzieren – und das tut sie mittels Klimaschutzprojekten im chinesischen Xinjiang.

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Viele nennen es Völkermord. Mindestens eine Million Angehörige der muslimischen Minderheit der Uiguren werden im Westen Chinas vom Regime interniert. Ehemalige Häftlinge berichten von Folter, sexueller Gewalt und Gehirnwäsche. Schwerwiegende Hinweise lassen darauf schließen, dass Frauen im gebärfähigen Alter sterilisiert und Männer im zeugungsfähigen Alter interniert werden. Dazu ist Zwangsarbeit an der Tagesordnung.

Erst Ende Mai sorgten die Xinjiang Files für weltweite Empörung – geleakte Dokumente aus Chinas Staatsapparat, die Internierungen und Misshandlungen zeigen.

Kritik an westlichen Konzernen

Kein Wunder, dass sich westliche Unternehmen, die in Xinjiang Geschäfte machen, Fragen gefallen lassen müssen. Zum Beispiel der deutsche Volkswagen-Konzern (VW), der ein Werk in der Hauptstadt Ürümqi betreibt. Oder das deutsche Chemieunternehmen BASF, das in Form von Joint Ventures an Produktionsstätten in der Stadt Korla beteiligt ist. Im Fall VW üben selbst Mitglieder des Aufsichtsrats Kritik an dem umstrittenen Engagement in Xinjiang; die Gewerkschaft IG Metall fordert den Rückzug aus der Provinz. VW wie auch BASF halten bis jetzt an ihren Projekten fest und beteuern, keinesfalls in Zwangsarbeit involviert zu sein.

Ein Bild aus den "Xinjiang Files", die Menschenrechtsverletzungen dokumentieren.
APA/AFP/THE VICTIMS OF COMMUNISM

Was Österreich betrifft, ist hingegen keine nennenswerte Wirtschaftsaktivität in Xinjiang bekannt. Allerdings gibt es, wie DER STANDARD erfuhr, eine Ausnahme: Österreichs teilstaatlicher Mineralölkonzern OMV, der größte Industriebetrieb im Land – sonst eher wegen seiner Verbindungen nach Russland im Gespräch und in der Kritik –, unterhält seit 2020 eine Art Partnerschaft mit einem lokalen Unternehmen in Xinjiang. Die Firma heißt Shaya Saipu Energy Limited. Was genau hat die OMV in der hochkritischen chinesischen Provinz zu schaffen?

Klimaschutz im Land der Ungeschützten

Details zu dem Projekt finden sich in einer Datenbank des österreichischen Umweltbundesamts (UBA). Das Vorhaben dient nämlich dem Klimaschutz.

Der Hintergrund: Seit dem Jahr 2018 gibt es in Österreich die Kraftstoffverordnung, die wiederum auf einer EU-Richtlinie basiert. Dieses Gesetz sieht vor, dass Kraftstoffe im Verkehrssektor zu zehn Prozent aus erneuerbaren Quellen kommen müssen statt aus klimaschädlichen fossilen. Falls Unternehmen aus der Kraftstoffbranche dieses Ziel nicht erreichen – und sie erreichen es nicht –, bleibt ihnen aber ein Schlupfloch: Sie können andernorts Klimaschutzprojekte finanzieren – und sich bis zu einem gewissen Grad die erzielten Einsparungen an Treibhausgasen auf das eigene Ziel anrechnen lassen. Die Ziele können "auch durch Übertragung der Verpflichtungen auf Dritte erreicht werden", so die Website des Umweltbundesamts.

Ölförderung, etwas klimafreundlicher

Genau das geschieht in Xinjiang. Das dazugehörige Projekt findet im Distrikt Shaya nahe des Flusses Aksu statt. Dort fördern mehrere große staatliche chinesische Unternehmen Erdöl. Bei Ölbohrungen entweicht höchst klimaschädliches Methangas in die Atmosphäre. Eben dieses wird im chinesischen Fall im Rahmen des besagten Projekts Shaya Saipu aufgefangen und weiterverwertet, damit die Ölförderung insgesamt klimafreundlicher abläuft. Konkret betreibt Shaya Saipu Gasrückgewinnung und -verwertung bei 17 Bohrlöchern. Wenn man so will, wird hier also Klimaschutz im Land der Ungeschützten betrieben – und die OMV lässt sich in Österreich die Einsparungen gutschreiben.

Das größte "Detention Center" des chinesischen Regimes befindet sich in der Stadt Dabancheng.
Foto: AP/Mark Schiefelbein

Fest steht dabei, dass all dies unter hochkritischen Bedingungen stattfindet. Wie aus unzähligen Experten- und Augenzeugenberichte hervorgeht, unterbindet das chinesische Regime jegliche Transparenz oder unabhängige Untersuchungen hinsichtlich der Frage, in welchen Wirtschaftssektoren in Xinjiang Zwangsarbeit in welchem Ausmaß zum Einsatz kommt. Auch die Ölindustrie der Provinz ist diesbezüglich immer wieder im Gespräch. Auswertungen von Satellitenbildern in den vergangenen Jahren zeigen überdies, dass viele der Internierungscamps jedenfalls in der Nähe wichtiger Ölfördergebiete liegen.

"Keine direkte Vertragsbeziehung"

Die OMV verrät auf STANDARD-Anfrage keine Details zu dem Projekt Shaya Saipu, etwa dessen finanziellem Umfang. Besonders glücklich ist man aber nicht mit dem Engagement, geht aus der Stellungnahme hervor. Man präferiere grundsätzlich "Emissionsreduktionen aus OMV-eigenen Projekten in Rumänien und Tunesien". Doch auf diesem Wege gelingen die erforderlichen Einsparungen nicht – deshalb gibt es eben auch Xinjiang. "OMV hat keine direkte Vertragsbeziehung mit dem genannten Unternehmen", so der Konzern weiter. Auf die Frage, ob man ausschließen könne, dass es zu Zwangsarbeit und anderen Menschenrechtsverstößen komme, verweist der teilstaatliche Konzern auf eine Prüfung des Umweltbundesamts, wie sie bei solchen Projekten verpflichtend ist. Daneben habe auch ein "externer akkreditierter Auditor" – konkret das deutsche Institut TÜV Süd – "soziale- und umweltrelevante Aspekte überprüft, und es wurde ein positives Ergebnis festgehalten", so die OMV.

Im Mai demonstrierten Uiguren in Istanbul – und zeigen Fotos ihrer inhaftierten Verwandten.
Foto: APA/AFP/OZAN KOSE

Tatsächlich attestierte der TÜV in einem Prüfbericht vom August 2020, der in der Datenbank des Umweltbundesamts einsehbar ist, dass ein "Assessment" der gesundheitlichen und sicherheitsmäßigen Auswirkungen des Projekts "positiv geführt" worden sei. Doch der Bericht handelt überwiegend davon, ob die Einsparziele bei den Treibhausgasen erreicht werden. Die kritische menschenrechtliche Lage in Xinjiang etwa kommt darin mit keinem Wort vor. (Joseph Gepp, 29.6.2022)