Pro-Life-Demonstrierende in Washington, D.C. In manchen Debatten schwingen Argumente weißer Nationalisten mit.
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Das Urteil des Obersten Gerichts in den USA hat in Windeseile dafür gesorgt, dass in etlichen Bundesstaaten Abtreibungen nicht mehr durchgeführt werden dürfen. Seitdem wird international heftig über die Entscheidung diskutiert. Dabei nutzen Mitglieder extremistischer Gruppen auch die Gelegenheit, um rechtsradikale Ideologien zu teilen. Wie diese Diskussionen in den vergangenen 20 Jahren aussahen, analysierte ein Forschungsteam um Kommunikationsforscher Yotam Ophir von der New Yorker State University in Buffalo und veröffentlichte die Ergebnisse nun im Fachjournal "Information, Communication & Society".

Dafür untersuchte das Team mehr als 30.000 Postings auf einer englischsprachigen rechtsextremen Website, die das Thema Abtreibung betrafen. Die Plattform "Stormfront" wurde bereits in den 1990er-Jahren von einem ehemaligen Mitglied des Ku-Klux-Klans gegründet. Da Neonazis dort unter anderem die Shoah – den Völkermord an Jüdinnen und Juden im Zweiten Weltkrieg – verharmlosen oder leugnen und damit gegen österreichisches und deutsches Recht verstoßen, wird die Seite etwa in deutschsprachigen und auch französischen Google-Suchen nicht angezeigt. Im Jahr 2015 hatte die Plattform geschätzt etwa 300.000 registrierte Mitglieder.

Argumente als Waffe

Genutzt wird sie von US-amerikanischen Neonazis und "White Supremacists", die der nationalsozialistischen Rassenlehre anhängen und Menschen mit europäischen Vorfahren gegenüber People of Color als grundsätzlich überlegen ansehen. Sie propagieren ihre Ideen, um Sympathisantinnen und Sympathisanten für ihre Ideologie zu gewinnen, die unter anderem antifeministisch, antisemitisch, queer- und islamophob, aber auch antikatholisch ausgerichtet ist.

Dies geschieht auch bei politischen Debatten rund um Abtreibung: Das Forschungsteam warnt, die Extremisten würden Argumente zu diesem Thema als Waffe einsetzen, um neue Mitglieder für ihre Gruppierung zu gewinnen, die sich für die Überlegenheit weißer – vor allem männlicher – Menschen einsetzt.

Rassistische Verschwörungserzählungen

Wenn es darum geht, dass sich Frauen, aber auch nichtbinäre Menschen und Transmänner für die Abtreibung eines Fötus entscheiden dürfen, haben viele Rechtsextremisten eine gespaltene Meinung zum Thema. Wenn sich weiße Frauen gegen ein (weiteres) Kind entscheiden, sehen sie dies zumeist als Mord an. Dies nähmen weiße Nationalisten als "Betrug an ihrer 'biologischen' und 'traditionellen' Geschlechterrolle" wahr, im Sinne derer diese Frauen für weißen Nachwuchs sorgen müssen, schreibt das Forschungsteam.

Im Gegensatz dazu sei es in ihrer Argumentation "akzeptabel" bis "wünschenswert", wenn Nichtweiße abtreiben, da die Vormachtstellung der Weißen dadurch weniger bedroht werde. Dies passt in die rassistische Verschwörungserzählung des "Großen Austauschs". So bezeichnen Rechtsradikale die Vorstellung, dass vor allem People of Color und Menschen muslimischen Glaubens in den USA und Europa die weiße Mehrheit durch Zuwanderung und Fortpflanzung ersetzen wollten und somit einen "weißen Genozid" hervorriefen. Extremistische Gruppen glauben, dass eine solche Transformation etwa durch unterschiedliche Eliten, die Europäische Union oder auch "die Juden" bewirkt werde. Daher drängen White Supremacists darauf, "die Bevölkerung der Dritten Welt dringend zu begrenzen".

Medienkompetenz und Auftreten im Mainstream

Durch derartige Diskussionsbeiträge können "extreme, rassistische Ideologien normalisiert" werden, schreibt das Forschungsteam. Die "gefährlichen rassistischen und frauenfeindlichen Ideen" würden "oft auf Plattformen von Extremisten geboren, sind aber auch in Politik und Diskurse, die dem Mainstream angehören, übergeschwappt", sagt Erstautor Yotam Ophir.

Um vor allem Kinder online besser zu schützen, sei es nötig, sie mit besseren Werkzeugen auszustatten, um sich im 21. Jahrhundert unter irreführenden Darstellungen, Falschinformationen und Verschwörungserzählungen wie der des "Großen Austauschs" zurechtzufinden und diese zu hinterfragen. "Wir müssen unsere Aufmerksamkeit auch der Tatsache widmen, dass derartiges Verschwörungsdenken auf Fernsehsendern wie Fox News und vertreten durch prominente politische Persönlichkeiten immer häufiger vorkommt", sagt Ophir. So vermittelte Fernsehmoderator Tucker Carlson Ideen zur "Großer Austausch"-Verschwörung und die republikanische Politikerin Marjorie Taylor Greene Verschwörungstheorien der Bewegung QAnon. Dadurch konnte das extremistische Gedankengut bereits Menschen erreichen, die ansonsten keinen Kontakt zur rechtsradikalen Szene haben. (sic, 28.6.2022)