Um 18 Uhr ist es immer noch sehr heiß an diesem Dienstagabend im Juni im Wiener Stadtpark hinter dem Haubenrestaurant Steirereck, das immer wieder mal von Limousinen angefahren wird, dezente Stiernacken verhüllen dann ihre Muskeln unter schwarzen Anzügen und sind stolz auf ihre Knopferln im Ohr. Auf der Wiese daneben tummeln sich hunderte Erwachsene, viele von ihnen mit den Kindern, manche mit Bier, nicht wenige haben ihr Fahrrad im Gras geparkt. Entspannung ist angesagt.

Überall? Nein! Denn auf dem Asphalt neben der Wiese begrüßt Martin Kremser seine Klienten zum allabendlichen City-Boot-Camp. Werbespruch: "Always fun, never boring."

Allabendlich heißt, dass sein Camp bei Sonne und Regen, bei Schnee und Hagel stattfindet, aber eben auch bei heute schweißtreibend hoher Luftfeuchtigkeit und noch immer etwa 33 Grad. Der 31-Jährige hat acht Stationen im Kreis aufgebaut, mit Matten und Gewichten, mit Kettle-Bells und einem fetten Rope, das es in Wellen zu bewegen gilt. Die Anwesenden wissen natürlich, was sie gleich erwartet, manche sind daher schon rot im Gesicht, da hat Martin noch nicht einmal alle begrüßt. Freilich wissen sie auch, was sie nach der Begrüßung erwartet: das Aufwärmen.

Mountain-Climber und Mini-Quad-Jumps sind quasi die Aufwärmübung.
Foto: Christian Fischer

Ab ins Knie

Sie beginnen mit Mountain-Climbers und Mini-Quad-Jumps, die früher vielleicht mal Kleine-Kniebeugen-Sprünge hießen. "Bei den Mountain-Climbers sollt ihr richtig anschieben, mit den Handflächen fest am Boden, den Schultern genau über den Handflächen und dem Bauch fest angespannt", erklärt der Trainer. "Bei den Quads müsst ihr richtig in die Knie gehen!" Das wären dann jedenfalls schon mal gute kardiovaskuläre, also "Das Herz und die Gefäßsysteme betreffende", Übungen, erklärt er. Dazu lässt er das aufmunternde Physical in der Version von Dua Lipa laufen, das auf Instagram mindestens jedem zweiten Schmalbrüstler als Hintergrundmusik für seine Klimmzüge dient: "Come on! Come on!" singt sie also, während Martin seine Clients pusht: "Und nächste Runde! Und dranbleiben!"

Während Teilnehmer Benjamin "dranbleibt", hat er sogar noch ein wenig Luft zum kurzatmigen Plausch. Es ginge ihm "Spitze", wenn er hier sei, und das ist er seit immerhin fast acht Jahren. "Wenn ich es nicht tun würde, wär ich wahrscheinlich 200 Kilo schwer."

Daran soll ihn nun Roxanne hindern, über die The Police singen, und zwar in der 6:44-minütigen Extended Version, während der alle abwechselnd auf dem Stand laufend boxen und den Hampelmann machen sollen. Und bei jedem "Roxanne", das sie hören (und es sind einige!), müssen sie in die Knie gehen. Da läuft der Schweiß in die atmungsaktive Kleidung, und Cheesy bereut hörbar, dass er sich vor dem Camp noch ein Reisfleisch in den zu trainierenden Körper gestellt hat: Zu Eye of the Tiger will der Tiger schon nicht mehr recht hüpfen. "Bist du deppert!" und "Na geh!" stöhnen aber auch andere, und wenn Martin "Nur noch vier Mal!" ruft, empfinden das "Nur" manche als Hohn.

Beim City-Boot-Camp im Wiener Stadtpark wuchten die Teilnehmenden unter Martin Kremsers (li.) Anleitung bis zu 20 Kilo schwere Gewichte – und zwar bei wirklich jedem Wetter.
Foto: Christian Fischer

Nachdem alle erkenn- und hörbar aufgewärmt sind, formieren sich Pärchen an den jeweiligen Stationen, und Martin erklärt ihnen die Übungen: 20 Kilo über den Kopf wuchten und Ausfallschritt; auf der Matte sitzend die gestreckten Beine in die Höhe; einen Medizinball mit aller Kraft auf den Boden dreschen; das um einen Baum gewickelte Tau bewegen.

Hochintensives Intervalltraining oder Tabata nennt sich das, 20 Sekunden "Gib ihm!" und zehn Sekunden Pause. Die meisten der Anwesenden haben den monatlichen Technik-Workshop besucht, sodass sie nicht "aus dem Rücken" heraus heben und sich gleich alles reißen oder zumindest zerren. Schon heißt es wieder "Come on!" Jimmy (58) hört solche Kommandos seit 2011, nur sechs Monate dazwischen musste er mal aussetzen, "weil sie mich niedergefahren haben am Zebrastreifen" in Ausübung seiner Tätigkeit als Biomülltonnenausleerer bei der MA 48. Das Boot-Camp habe ihm geholfen, wieder fit zu werden.

Ein bisschen Qual muss sein

Clemens, der mit Benjamin zusammen ein Pärchen bildet, kommt immer nach getaner Arbeit als Maschinenbauer, vor dem Job schafft er es nicht mehr, "weil ich um halb sieben in der Firma bin". Fitness, Spaß, Menschen treffen und Kopf frei kriegen – darum ginge es ihm, dessen Kopf nun kurz durch eine "Rothaarige" abgelenkt wird, die, so weiß er, bei Germany’s Next Topmodel als "Barbara aus Wien, bei der es eine Geschichte mit einem Zinshaus gab", mitmachte. Sie fährt in einer Limousine zum Eingang des Steirerecks, zwei satsumaesk gebräunte Muskelberge aus dem Fach "Security" öffnen ihr die Türe. Wie der schnaubende Clemens überhaupt noch einen Blick für solche Erscheinungen haben kann? "Multitasking!", lacht er.

"Bevor man mit dem wöchentlichen Boot-Camp startet, braucht es einen Technik-Workshop – sonst reißt man sich was!" Martin Kremser, Drill Instructor

Die superfitte Lini, die mit Benjamin zusammen ist, aber heute mit Karolina ein Fitnesspärchen bildet, kommt "drei-, viermal pro Woche, je nachdem", und das seit fünf Jahren, dazwischen war sie mal kurz im Ausland. "Viele bleiben sehr lange, nur wenige droppen bald wieder off", sagt sie, der es durchaus "ein bissi" Spaß macht, sich zu quälen. Fortschritte merke Karolina "auf jeden Fall", auch wenn sie anders als Lini "keine Frühaufsteherin" sei und daher immer nur abends käme. Danach gibt es nicht einmal Bier, "wenn, dann eher am Wochenende", sagt Lini. "Da machen wir dann so Get-togethers, wo man sich trifft." Ihre Gemeinschaft wäre verschworen, aber durchaus offen für Neue.

Karolina mag, dass das Training outdoor stattfindet, obwohl sie nicht so der Regenfan ist, "an die Kälte gewöhnt man sich eher". Es sei immer fordernd, egal wie lange man dabei sei, "es wird nie leichter". Gemäß seinem Werbespruch gestalte "der Martin das Training sehr abwechslungsreich", für ein paar Lacher zwischendurch sorgt immer Benjamin: "Ich hab so Hunger!", schreit er, der gleichzeitig mit Beginn seiner Mitgliedschaft beim Boot-Camp, die ihm einen "gefühlt siebenjährigen Muskelkater" bescherte, auch eine Ernährungsumstellung vorgenommen hat.

Bitte lächeln

"So! Eine letzte Station!", bleibt Martin unerbittlich, und auch Sabine motiviert sich um 18.50 Uhr ein letztes Mal: "Man kann ja nicht als Erste aufhören, die Blöße will ich mir nicht geben", sagt sie. "Der Martin pusht einen, danach ist man froh, dass man durchgehalten hat. Und in der Gruppe macht es mehr Spaß als alleine." Auf die kalte Dusche freut sie sich heute schon sehr, und nicht zuletzt an der Gesichtsfarbe (Rot) und der Schwitzleistung (in Litern) merkt man auch allen anderen an, dass sie nicht geflunkert, sondern richtig mitgemacht haben. "Was sie aber trotz des harten Trainings immer können", ist Martin abschließend stolz auf seine Truppe: "Lächeln!" Auch wenn es ein wenig gequält wirkt.

(Manfred Rebhandl, 29.6.2022)