Kommt eine Wartefrist beim Arbeitslosengeld? Die Grünen sind sehr skeptisch, die Touristiker wohl auch.

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Nach einem idealen Drehbuch hätte es für die türkis-grüne Koalition Schlag auf Schlag gehen sollen. Vor etwa einem Monat präsentierte die Regierung eine Pflegereform, die mehr Geld für Pflegepersonal und Investitionen in Ausbildung bringen soll. Vor zwei Wochen wurde das Antiteuerungspaket vorgestellt. Laut Drehbuch sollte vor dem Sommer noch die geplante Arbeitsmarktreform stehen. Bis Ende des ersten Halbjahres 2022 soll die Einigung klappen: So hatte es Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP) schließlich angekündigt.

Daraus wird nichts. Zu groß sind die Differenzen, wie mehrere, den Gesprächen nahestehende Personen betonen. Die Verhandlungen zur Arbeitsmarktreform stocken. Worum wird gestritten? Dem Vernehmen nach bleibt die Gretchenfrage, wie ein degressives Arbeitslosengeld finanziert werden kann. Zur Erinnerung: Kocher hatte sich ja darauf festgelegt, dass beim Arbeitslosengeld künftig ein Stufenmodell eingebaut werden soll. Aktuell bekommen Menschen, die ihren Job verlieren, ohne zusätzliche Familienleistungen etwas 55 Prozent ihres letzten Nettoverdienstes als Arbeitslosengeld ausbezahlt.

Das ist im europäischen Vergleich wenig. Wer das Arbeitslosengeld ausgeschöpft hat, erhält unbefristet Notstandshilfe, die um die 50 Prozent des Letztbezugs ausmacht.

Das Arbeitsministerium würde stattdessen gerne das Arbeitslosengeld anheben, auf 70 Prozent etwa, und dann absinken lassen auf das aktuelle Niveau der Notstandshilfe. Darunter wird es nicht gehen, das steht bereits außer Streit. Die Evidenz ist nicht sehr stark, aber es gibt doch eine vielzitierte Studie zu Ungarn, in der gezeigt wurde, dass so ein "front loading" beim Arbeitslosengeld Menschen etwas schneller in Jobs bringen kann.

Das Problem der Verhandler ist, dass sich die Reform selbst finanzieren soll, Finanzminister Magnus Brunner also nichts zuschießen will.

Wie kann sich das ausgehen? Am Anfang mehr Geld zu zahlen bedeutet ja Mehrausgaben. Nun sind Puffer eingebaut: Im vergangenen Jahr beliefen sich die Ausgaben für Arbeitslosengeld, Notstandshilfe und andere Zahlungen des AMS auf 6,9 Milliarden Euro. Demgegenüber betrugen die Einnahmen aus der Arbeitslosenversicherung 7,5 Milliarden. Aber garantiert sind solche Mehreinnahmen nicht, zumal die Konjunktur einbrechen kann.

14 Tage Wartefrist?

Eine Idee, um die Lücke zu schließen, wäre eine Wartefrist. In dieser Zeit würden Jobsuchende kein Geld bekommen. Bei Selbstkündigung gibt es bereits eine einmonatige Wartefrist. Dieses System könnte ausgedehnt werden. Während zunächst von einem Monat die Rede war, lautet eine Option aus Sicht des Arbeitsministeriums, eine zweiwöchige Frist einzuführen bei einvernehmlichen Trennungen. Bei Kündigungen durch den Arbeitgeber soll es keine Frist geben.

Für die Grünen kommt aktuell so ein Modell nicht infrage: Das bedeute ja eine Kürzung von Leistungen. Vorstellen könnten sie sich dem Vernehmen nach, dass Arbeitgeber in dieser Zeit die Kosten für Jobsuchende übernehmen und nicht das AMS, etwa in Form eines eigenen Beitrags bei Kündigungen von Mitarbeitern. Das wiederum wird der ÖVP nicht schmecken.

Ausgelotet worden sein sollen aber auch andere Möglichkeiten, um eine Finanzierung für ein degressives Modell zu finden. Ein Punkt dabei ist, bei der Altersteilzeit einschränkende Regelungen zu finden. Die Altersteilzeit soll es Betrieben finanziell erleichtern, ältere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bis zur Pensionierung zu beschäftigen. Dienstnehmer reduzieren dabei ihre Stunden, einen Teil davon bekommen sie dennoch ausbezahlt vom Unternehmen, das dafür vom AMS einen Zuschuss erhält.

Fällt das Blocken?

Eine beliebte Variante der Altersteilzeit ist das "Blocken": Dabei arbeitet ein Dienstnehmer zunächst voll und dann gar nicht mehr. Die Altersteilzeit wird geblockt. Dieses Modell führt laut Experten zu einer Frühpensionierung. Hier striktere Regeln zu finden könnte Geld bringen. 531 Millionen Euro zahlte das AMS insgesamt als Altersteilzeitgeld im vergangenen Jahr dazu. Rund 100 Millionen soll die Block-Variante gekostet haben.

Ein weiterer Punkt, der Sparpotenziale birgt, betrifft die Bildungskarenz. Hier zahlte das AMS im vergangenen Jahr fast 200 Millionen dazu. Viele Firmen vereinbaren Bildungskarenz für Mitarbeiter, die sie nicht mehr wollen – auf Kosten der Arbeitslosenversicherung. Zudem sind die Regeln für nachzuweisende Prüfungen von jeher recht lax. Für Studierende genügt der Nachweis von Prüfungen im Ausmaß von vier Wochenstunden. Hier striktere Regeln zu finden wird bei den Grünen wenig Anklang finden, vor allem bei Studierenden ist die Bildungskarenz ja beliebt.

Eine weitere Idee aus dem Arbeitsministerium lautet, die Zuzahlungen des AMS für Menschen mit niedrigem Arbeitslosengeld zu begrenzen. Viele Arbeitssuchende bekommen einen Ergänzungsbetrag vom AMS, wenn sie nur ein sehr niedriges Arbeitslosengeld erhalten. Dieser Ergänzungsbetrag entlastet in Wahrheit die Länder, die ansonsten Mindestsicherung zuzahlen müssen zum Arbeitslosengeld. Als unterste Stufe ist definiert, dass Leistungen nicht unterhalb der sogenannten Ausgleichszulage ausfallen dürfen. Diese beträgt derzeit 1.030,49 Euro. Hier geht es also nicht darum, den Arbeitslosen Leistungen zu streichen, sondern um die Frage, wer die Aufstockung bezahlt. Die Länder dürften sich gegen weitreichende hier Änderungen querlegen.

Grüne drängen bei Notstandshilfe

Die Grünen selbst haben ebenfalls viele Punkte angemeldet. Beim degressiven Modell sind sie durchaus gesprächsbereit, aber nur dann, wenn es insgesamt keine Kürzungen für Arbeitssuchende gibt. Und sie haben auch eigene Wünsche angemeldet: Sie wollen jedenfalls, dass künftig auch die Notstandshilfe mit der Inflation mitsteigt. Das dürfte in Jahren mit niedriger Inflation um die 80 bis 100 Millionen Euro kosten. Die Notstandshilfe beziehen Langzeitarbeitslose, die mindestens seit sieben Monate keinen Job finden.

Die Kosten der Indexierung sind überschaubar. Seit Jahren haben ÖVP-Politiker allerdings immer wieder getrommelt, dass es gelte, vor allem Langzeitarbeitslose aus der "sozialen Hängematte" zu holen. Hier eine Kehrtwende zu vollziehen und einer Indexierung zuzustimmen dürfte die ÖVP also Überwindung kosten.

Vorrang für Vermittlungen

Die Grünen wollen aber auch höhere Zuzahlungen bei Ausbildungen, die Menschen via AMS absolvieren. Und: Das AMS hat aktuell die Pflicht, Klienten primär in Jobs zu vermitteln. Nur dort, wo das nicht gelingt, dürfen Qualifikationsmaßnahmen angeboten werden. Hier wollen die Grünen eine Aufweichung dieser strikten Regeln.

Klärungsbedarf gibt es aber auch aufseiten der ÖVP. Eine Wartefrist wird besonders Unternehmen aus der einflussreichen Tourismusbranche nicht freuen, die Mitarbeiter regelmäßig zwischen zwei Saisonen kündigen und dann einstellen. Das könnte die Branche noch unattraktiver machen.

Zu den Forderungen, die weniger umstritten sein dürften, gehört eine Einschränkung bei Zuverdienstmöglichkeiten. Aktuell können Jobsuchende neben dem AMS-Geld geringfügig Geld dazubekommen. Das wird sich ändern. Zu Einschränkungen dürfte es aber nicht für Langzeitarbeitslose kommen, sondern nur für Menschen, die erst vor kurzem ihren Job verloren haben. Bei Langzeitarbeitslosen gilt die Zuverdienstmöglichkeit als ein Beitrag dafür, dass sich Menschen nicht zu weit vom Arbeitsmarkt entfernen.

Im Gespräch ist auch eine Anhebung der Familienleistungen. Aktuell erhalten Jobsuchende einen Familienzuschlag in Höhe von 0,97 Euro täglich für Kinder, dieser Betrag ist seit dem Jahr 2000 gleich geblieben. (András Szigetvari, 29.6.2022)