Eine Gerichtszeichnung der angeklagten Ghislaine Maxwell am 28. Juni.

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New York – Eine Haftstrafe für Ghislaine Maxwell setzt einen vorläufigen Schlusspunkt hinter den Missbrauchsskandal um ihren Ex-Vertrauten und bestens vernetzten US-Multimillionär Jeffrey Epstein. Richterin Alison Nathan verurteilte die 60-Jährige am Dienstag in New York unter anderem wegen Menschenhandels mit Minderjährigen zu Missbrauchszwecken zu 20 Jahren Gefängnis und einer Geldstrafe von 750.000 Dollar (713.000 Euro) – sie nannte die Taten "entsetzlich" und "abscheulich".

Das gewählte Strafmaß lag wegen der besonderen Schwere der Taten leicht über dem gesetzlich vorgeschlagenen Rahmen von bis zu 19 Jahren und sieben Monaten. Am letzten Tag des Prozesses standen sich dabei noch einmal Täterin und Opfer gegenüber. Maxwell ergriff dabei selbst das Wort und sagte, dass sie mit den missbrauchten Frauen fühle. Der Schmerz, den diese erfahren hätten, tue ihr leid – doch sie schob die Schuld vor allem ihrem Ex-Partner zu. "Es ist das größte Bedauern meines Lebens, dass ich Jeffrey Esptein getroffen habe", sagte sie. Die Verbindung zu diesem werde immer auf ihr lasten. Die Verteidigung der 60-Jährigen hatte für eine deutlich mildere Haftstrafe von weniger als zehn Jahren plädiert.

Maxwell spielte zentrale Rolle

Zuvor hatten mehrere Opfer von Epstein und Maxwell gesprochen. "Zusammen haben sie undenkbare Dinge getan", sagte eine der Frauen. Die Verurteilte habe keine Reue: "Sie ist nicht traurig, und sie würde es wieder tun." Ein anderes Opfer berichtete von den schweren Folgen der Verbrechen, von psychischen Problemen und mehreren Selbstmordversuchen. Maxwell, deren Geschwister in der ersten Reihe im Zuschauerraum saßen, nahm die Aussagen äußerlich eher ungerührt hin, während einigen im Gericht Tränen in den Augen standen. Auffällig oft griff Maxwell dabei zu einem Becher, aus dem sie trank.

Maxwell war bereits im Dezember von einer New Yorker Jury schuldig gesprochen worden. Sie galt als rechte Hand des bis in höchste US-Kreise vernetzten Geschäftsmanns Epstein und spielte eine zentrale Rolle beim Aufbau eines Rings zum sexuellen Missbrauch von Mädchen. Maxwell hatte angekündigt, in Berufung zu gehen.

Die Gerichtsverhandlung hatte weltweit für Aufmerksamkeit gesorgt, weil sie für viele nach dem Tod Epsteins als Stellvertreterprozess gesehen wurde. Epstein hatte sich offiziellen Angaben zufolge im Sommer 2019 in seiner Gefängniszelle umgebracht.

Jahrzehntelanger Missbrauch

Das Interesse an dem Prozess war dementsprechend riesig. Auch am Dienstag, zur Verkündung des Strafmaßes, hatten sich neben vielen Schaulustigen wieder dutzende Journalisten aus der ganzen Welt stundenlang vor dem Gericht in Downtown Manhattan gedrängt, um in den Saal eingelassen zu werden.

In den vergangenen Tagen hatte es Unklarheit darüber gegeben, ob Maxwells Strafe tatsächlich verkündet würde, weil sie im Gefängnis wegen Selbstmordgefahr unter Beobachtung stand. Ihre Anwälte bestritten, dass die Angeklagte suizidal sei.

Jahrzehntelang soll der Missbrauch zahlreicher Minderjähriger auf Epsteins Anwesen in New York, Florida, Santa Fe und auf den Virgin Islands stattgefunden haben. Der Fall schlug in den USA auch deshalb hohe Wellen, weil der Unternehmer mit Prominenten wie den Ex-Präsidenten Bill Clinton und Donald Trump, dem Tech-Milliardär Bill Gates und dem britischen Prinzen Andrew bekannt war.

"Kultur des Schweigens"

Eine frühere Anklage gegen Epstein mündete in einen für den Unternehmer sehr vorteilhaften Deal, der ihm zum Symbol einer gesellschaftlichen Elite machte, die selbst mit Verbrechen durchkommt. Seine Beziehungen zu Prominenten und sein Tod führten zu zahlreichen Gerüchten und Verschwörungstheorien.

Maxwells Aufgabe beim systematischen Missbrauch durch Epstein war es der Anklage zufolge, das Vertrauen von Mädchen zu gewinnen und sie ihrem ehemaligen Partner – oft für sogenannte Massagen – zuzuführen. Einige Male sei Maxwell bei Übergriffen sogar anwesend gewesen. Auch habe sie eine "Kultur des Schweigens" aufgebaut, um die Taten geheim zu halten. Sie habe dies getan, um ihr eigenes Luxusleben bei Epstein aufrechtzuerhalten. Ihre Verurteilung basierte ähnlich wie bei Ex-Filmmogul Harvey Weinstein hauptsächlich auf Zeugenaussagen.

Auch Prinz Andrew involviert

Maxwell ist die Tochter des legendären britischen Verlegers Robert Maxwell (1923–1991). Sie war Anfang der 1990er-Jahre nach New York gekommen. Dort traf sie Epstein auf einer der zahlreichen Promipartys und war zeitweise mit ihm liiert. Epsteins Umfeld beschrieb ihre Rolle in seinem Leben als eine Mischung aus Angestellter und bester Freundin.

Eine Folge von Epsteins Verbrechen war heftiger Wirbel im britischen Königshaus: Prinz Andrew konnte einen Zivilprozess in den USA wegen Missbrauchsvorwürfen mit einem wohl millionenschweren Vergleich zwar stoppen – doch der Schaden auch für die Royals ist immens. Andrews militärische Rangabzeichen wurden ihm aberkannt. Auf die Anrede Königliche Hoheit muss er ebenfalls verzichten. Die Rückkehr in den engeren Kreis der Royals gilt als so gut wie unmöglich. (APA, 29.6.2022)