Überraschende Siegerin Christina Schweinberger.

Foto: Plantur Pura

Geschlagene Favoritin Anna Kiesenhofer.

Foto: APA/ÖRV/Zingg

Es war ein Paukenschlag. Christina Schweinberger hat bei den österreichischen Staatsmeisterschaften sowohl im Zeitfahren als auch im Straßenrennen vor Anna Kiesenhofer triumphiert. In diesem Kampf auf Biegen und Brechen hätte es kaum knapper hergehen können.

Im Zeitfahren betrug der Vorsprung der 25-jährigen Tirolerin auf Kiesenhofer nach 14,4 Kilometern zwei Zehntel, im Straßenrennen bezwang Schweinberger die 31-jährige Olympiasiegerin aus Niederösterreich nach 87,5 Kilometern im Sprint.

Das muss man mit ein paar Tagen Abstand aufarbeiten. Und im Falle von Kiesenhofer auch erst einmal verarbeiten.

Christina Schweinberger (links) und Anna Kiesenhofer fuhren bei den Staatsmeisterschaften praktisch ein Parallelrennen.
Foto: Reinhard Eisenbauer

STANDARD: Schmecken Siege gegen eine Olympiasiegerin besonders gut?

Schweinberger: Der Vergleich mit Anna ist mir sehr viel wert. Ich wollte ihr näher kommen, hätte aber nicht gedacht, dass ich sie im Einzelzeitfahren schlagen kann. Ich hatte das Glück, zwei Zehntel schneller zu sein. Das ist ein Boost für mein Selbstvertrauen, davon werde ich lange zehren.

STANDARD: Wo lassen sich im Zeitfahren auf 14,4 Kilometern zwei Zehntel finden?

Schweinberger: Wenn man eine Kurve nicht ideal erwischt, kann man eine Sekunde verlieren. Ich muss nicht überlegen, wo ich zwei Zehntel gefunden habe oder wo Anna die Zeit verloren hat. Diese Suche wäre sinnlos.

STANDARD: Im Straßenrennen haben Sie Ihre Schwester als Titelträgerin entthront. Macht man so etwas?

Schweinberger: Es ist ein Zwiespalt. Kathrin wollte genauso Meisterin werden wie ich. Dieses Jahr hatte ich Glück, dass mir der Kurs entgegengekommen ist. Sie wurde Dritte. Wir fahren für unterschiedliche Teams, wenigstens bleibt es in der Familie.

STANDARD: Ihre Schwester muss Ihnen das Trikot der Meisterin übergeben.

Schweinberger: Ja, ich darf die Rennen im kommenden Jahr damit bestreiten. Meine Schwester hat dem Trikot in den vergangenen beiden Jahren alle Ehre gemacht. Ich möchte ihr nicht nachstehen.

STANDARD: Man hört, Sie hätten es früher mit dem Training übertrieben. Stimmt das?

Schweinberger: Ich habe früher 40 Stunden pro Woche gearbeitet und daneben 25 Stunden trainiert. Das war zu viel, das hat negative Effekte gehabt. Wahrscheinlich wäre ich mit zehn Stunden Training besser gefahren. Regeneration ist wichtig.

STANDARD: Wie haben Sie sich auf diese Meisterschaften vorbereitet?

Schweinberger: Ich habe nur trainiert, ich bin keine Rennen gefahren. Der Druck ist dadurch weggefallen. Als Sportlerin misst man sich an Ergebnissen. Wenn man eine gute Leistung abgeliefert hat, ist man viel wert. Bei einer schlechten Leistung ist man wenig wert. Das kann brutal sein.

STANDARD: Radprofis machen sich auch im Training über Instagram Konkurrenz. Kann man das ausblenden?

Schweinberger: Ich folge den Besten nicht mehr. Wenn ich sehe, dass die hunderte Kilometer pro Tag mit einem 35er-Schnitt fahren, tut mir das nicht gut. Ich denke dann, dass ich das auch können muss. Das erzeugt an jedem Ruhetag ein schlechtes Gewissen.

STANDARD: Es gibt auch Netzwerke wie Strava, in denen Radprofis ihre Trainingseinheiten tracken. Machen Sie da mit?

Schweinberger: Man gibt preis, was man preisgeben will. Genauso wie in anderen gesellschaftlichen Bereichen. Es entsteht ein übertrieben positives Bild. Ich war eine Zeitlang dabei, ich habe es wieder sein gelassen. Ich schau mir das nicht mehr an. Jetzt bin ich zufriedener. (Philip Bauer, 30.6.2022)

Christina Schweinberger (25) aus Jenbach in Tirol fährt für das belgische Team Plantur-Pura. In den kommenden Tagen entscheidet sich, ob sie für die Tour de France Femmes im Juli nominiert wird.

STANDARD: Darf man einer vierfachen Staatsmeisterin zu einem zweiten Platz gratulieren?

Kiesenhofer: Gratulationen zu einer Platzierung sind problematisch. Mein Platz hängt nicht unwesentlich von der Stärke meiner Konkurrenz ab. Aber man kann mir zu meiner Leistung gratulieren, die war sehr gut. Ich habe mein Bestes gegeben.

STANDARD: Haben Sie Schweinberger so stark erwartet?

Kiesenhofer: Nein. Mir wurde gesagt, dass sie diese Saison gut unterwegs ist. Dass sie so stark ist, hätte ich nicht gedacht. Ich war gut vorbereitet, habe meine Ausrüstung optimiert. Aber kein Erfolg ist garantiert.

STANDARD: Ist die Konkurrenz gegen eine Olympiasiegerin besonders motiviert?

Kiesenhofer: Ich denke nicht. Für mich würde es keinen Unterschied machen. Alle sind so extrem motiviert, man kann diese Motivation kaum noch steigern. Man denkt auf der Straße nicht darüber nach, wer wann irgendeine Medaille gewonnen hat.

STANDARD: Welchen Stellenwert haben die Staatsmeisterschaften für eine Olympionikin?

Kiesenhofer: Ich könnte jetzt sagen, das Rennen wäre nicht so wichtig für mich, aber das wäre gelogen. Ich habe die vergangenen fünf Monate nur für diesen Sonntag gearbeitet. Ich bin jeden Tag für dieses Ziel aufgestanden. Ich wollte es wirklich. Aber ich bin gescheitert.

STANDARD: Sie verbergen Ihre Enttäuschung nicht.

Kiesenhofer: Es ist kein Fehler, eine gewisse Erwartungshaltung zu haben. Eine Silbermedaille hat nicht für jede denselben Stellenwert. Wenn ich davon ausgehe, zu gewinnen, ist der zweite Platz eine Enttäuschung.

STANDARD: Sie gratulierten der Siegerin über die sozialen Medien. Sind Sie eine gute Zweite?

Kiesenhofer: Was ist eine gute Zweite? Eine gute Verliererin?

STANDARD: Ich wollte das Wort vermeiden.

Kiesenhofer: Ich hätte Kleinigkeiten besser machen können. Und das ärgert mich furchtbar. Aber ich möchte nicht in Details gehen. Sonst klingt das nach einer Ausrede. Ich habe Riesenrespekt vor Christinas Leistung. Man kann ihr nur gratulieren.

STANDARD: Sie sagten, der erste Titel sei der schönste. Nutzen sich Siege ab?

Kiesenhofer: Eigentlich hängt die Freude eher von der investierten Arbeit ab. Für den ersten Titel habe ich am meisten gegeben. Bei den anderen Titeln war ich Favoritin. Wenn man dann gewinnt, hat man eben abgeliefert. Das löst keine riesige Euphorie aus.

STANDARD: Muss man nach Titeln in Serie erst wieder lernen, Niederlagen zu akzeptieren?

Kiesenhofer: In jedem Rennen kann es nur eine Siegerin geben. Die Öffentlichkeit jubelt, wenn harte Arbeit aufgeht. Aber in den meisten Fällen geht harte Arbeit im Sport nicht auf. Es gibt keine Belohnung, keinen Applaus. Es ist normal, nicht zu gewinnen. (Philip Bauer, 30.6.2022)

Anna Kiesenhofer (31) aus Niederkreuzstetten in Niederösterreich ist Olympiasiegerin im Straßenrennen und Österreichs Sportlerin des Jahres 2021. Sie fährt für das Team Cookina Graz.